© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Frisch gepresst

Türkei nach 1914. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges kennzeichneten schwankende Beurteilungen der Schlagkraft der türkischen Armee die Berliner Militärs. Während noch im Mai 1914 der Generalstabschef Helmuth Johannes Ludwig von Moltke („Die türkische Armee ist absolut wertlos. Sie hat keine Waffen, keine Munition, keine Kleider“) und selbst Kaiser Wilhelm II. die Armee des Osmanischen Reiches als völlig trostlos ansahen, beurteilte der Leiter der Militärmission in der Türkei, Generaloberst Liman von Sanders, Ende Juli die Lage weitaus optimistischer. Entsprechend sah er deren Reorganisation „soweit gefördert, daß die Türkei im Kriegsfall vier bis fünf gut ausgerüstete und aktionsfähige Armeekorps“ stellen könne. Einen Tag nach Kriegsausbruch unterzeichneten beide Seiten am 2. August 1914 den deutsch-türkischen Bündnisvertrag. Am 29. Oktober erfolgte der aktive Kriegs­eintritt der Türkei auf seiten der Mittelmächte. Daß das Urteil der „absoluten Wertlosigkeit“ etwas übereilt gewesen war, zeigte sich spätestens 1915, als die Türken mit Unterstützung der Verbündeten die Anladung von Commonwealth-Truppen bei Gallipoli vereitelten. Dennoch kündigte Istanbul exakt zum vierten Jahrestag in Anbetracht des Zusammenbruchs der verbündeten Balkanstaaten Bulgarien und vor allem Östereich-Ungarn die deutsche Militärmission auf. Die erste wissenschaftliche Darstellung der Geschichte des Osmanischen Reiches in deutscher Sprache beschreibt die politischen und militärischen Ereignisse in dieser Zeitspanne sehr detailliert. Funde russischer Akten, so Autor Heinz A. Richter, hätten „bislang unbekannte historische Tatsachen ans Licht gebracht.“ (ctw)

Heinz A. Richter: Das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg. Harrassowitz, Wiesbaden 2018, gebunden, 224 Seiten, 40 Euro





Vormärz. Dem schlechten Leumund der deutschen Schicksals-epoche zwischen dem Wiener Kongreß 1815 und der Revolution von 1848 möchte der Bochumer Politologe Wilhelm Bleek entgegenwirken. Mit „Vormärz. Deutschlands Aufbruch in die Moderne“ stellt der Emeritus dem von politischer Reaktion und unpolitischem Biedermeier getrübten Bild dieser Jahre ein lichtes Portrait gegenüber, erhellt von demokratischen, patriotischen und zivilisatorischen Fortschritten. Diesen widmet er sich jeweils in eigenen Kapiteln, statt die herkömmliche Einteilung des Stoffs in chronologisch geordnete Zeitabschnitte zu wählen: Zu den Ereignisse, die er ausgewählt hat, gehören sowohl bekannte „Klassiker“ der Zeit, wie das Wartburg- und das Hambacher Fest, aber auch zum Beispiel die Errichtung des Kölner Doms (als patriotische Inspiration), der Bau Bemerhavens (als Schritt in den globalen Verkehr), das Erscheinen des ersten „Baedeker“ (als Zeichen kommenden Massentourismus), die Wiederaufführung der Matthäus-Passion durch Mendelssohn-Bartholdy (als Neuerweckung der Musik Bachs) oder die Schaffung des Schleswig-Holstein-Liedes (als Manifestation nationaler Sehnsucht). Herausgekommen ist ein anregendes Lesebuch, das den „anderen“ Vormärz, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, interessant beleuchtet. Und das dank seiner Struktur einlädt, querbeet zu schmökern und je nach Interesse von Thema zu Thema zu springen, ohne, wie in anderen Darstellungen, die entlang des Zeitstrahls aufgebaut sind, gezwungen zu sein, streng von vorne nach hinten zu lesen. (mo)  

Wilhelm Bleek: Vormärz. Deutschlands Aufbruch in die Moderne 1815–1848. C.H. Beck, München 2019, gebunden, 310 Seiten, 28 Euro