© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Frisch gepresst

Farbenblind. Entgegen dem Buchtitel betont Reni Eddo-Lodge, sie werde „nie aufhören über Hautfarbe zu reden“. Das tut die schwarze Britin in ihrem Buch zumeist im anklagenden Ton einer jungen Frau, die allem strukturellen Rassismus zum Trotz studieren konnte und mittlerweile eine mehrfach ausgezeichnete Journalistin ist. Sie reflektiert, wie erschöpfend es sei, mit Weißen über Rassismus zu reden, reichert dies mit Fallbeispielen rassistischer Vorfälle aus ihrem Leben oder der britischen Geschichte an. Freilich wird betont, daß die Universitätsleitungen zu weiß und zu männlich seien. Nach der Lektüre weiß der Leser mehr über die Gedankenwelt einer antirassistischen Feministin als über das ominöse „white privilege“, von dem sehr oft die Rede ist. (ag)

Reni Eddo-Lodge: Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche, Klett-Cotta 2019, 263 Seiten, broschiert, 18,00 Euro 





Nation von Migranten. Auswanderungswellen in die USA oder nach Rußland gehörten ebenso zur Bevölkerungsgeschichte Deutschlands wie die Einwanderungswellen von vertriebenen Sudetendeutschen oder Ostflüchtlingen. Der Historiker Jan Plamper erzählt die Geschichten der „Plusdeutschen“– zu denen er ein Viertel der hiesigen Bevölkerung zählt – und versucht, historisch für eine „offene und bunte“ Gesellschaft zu argumentieren, in der es vor allem um die Vermischung von Kulturen und gegenseitiger Akzeptanz gehe. Kulturelle Grenzen sollten aufgehoben, Herkunftssprachen wertgeschätzt und in Schulen gefördert werden. Die Bundesrepublik habe mit der Aufnahme der Vertriebenen aus dem deutschen Osten bereits bewiesen, daß eine Integration von 12,5 Millionen Menschen möglich sei. So bestand etwa Mecklenburgs Bevölkerung 1950 zu 44 Prozent aus Vertriebenen, die ausgegrenzt wurden, weil sie „andere Kleidung trugen, anders kochten und einen anderen Dialekt sprachen“. Das müsse nicht sein: wenn man die Vertreibungen  – der Deutschen wie der Syrer – „als eine Form der Migration sieht und einpaßt in ein Selbstverständnis der Deutschen als Nation von Migranten.“ (mp)

Jan Plamper: Das neue Wir. Warum Migration dazugehört. Eine andere Geschichte der Deutschen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019, broschiert, 391 Seiten, 20 Euro





Utopismus. Harald Welzer ist ein klassischer Linker. Der Soziologe hat Spaß an Utopien. Warum er deshalb aber ein „erprobter Zukunftsarchitekt“ sein soll, bleibt das Geheimnis des Werbestrategen vom S. Fischer Verlag. Denn vieles, was Welzer für eine Zukunft heraufbeschwört, in der es unseren Kindern mal besser gehen wird, hat eine Menge mit Ideologie und weniger mit der Realität zu tun. Im Grunde ist es jede Menge alter sozialistische Wein aus neuen Schläuchen. Gerechtigkeit und Solidarität? Mit dem „bedingungslosen Grundeinkommen“ kein Problem. Wirtschaft ist grundsätzlich bedenklich, solange diese nicht „gerecht“ sei. Zudem brauchten Städte keine Autos und jeder auf der Welt Freizügigkeit. Schulen sollen weniger Bildung vermitteln denn „Orte des Ermutigens zur Freiheit“ sein. Wer Bedenken an diesen Visionen anmeldet, ist in Welzers Augen natürlich gleich ein „Weltuntergangsexperte“. Beiträge zu einer „wirkungsvollen Strategie“ gegen diese Miesmacher lieferten immerhin das „Peng!-Kollektiv“ oder das „Zentrum für Politische Schönheit“ mit ihren „witzigen“ Aktionen. (bä)

Harald Welzer: Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftutopie für freie Menschen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019, gebunden, 320 Seiten, 22 Euro