© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Schmieröl und Wurst
Jens Høvsgaard erzählt eine spannende Geschichte – nur leider mehr schlecht als recht. Der ausgeschüttete Zettelkasten hätte es auch getan
Albrecht Rothacher

Dieses Buch irritiert. Titel und Klappentext kündigen die Enthüllung eines Mega-Skandals an: „Wer bei Nord-Stream die Fäden zieht, wer an diesem Billionengeschäft mitverdient und wie des russischen Präsidenten Wladimir Putins Netzwerk die Europäische Union spalten und unter russische Kontrolle bringen will.“ Das ist starker Tobak. Auch wenn Sputnik das Traktat bereits als antirussische Propaganda entlarvt haben will, enttäuscht es als Werk eines investigativen Journalisten in großen Teilen.

In mindestens drei Vierteln des Bandes schwafelt der Autor zu Themen, die nicht das geringste mit Nord-Stream und russischen Gasexporten zu tun haben, so als habe er einen ungeordneten Zettelkasten zum Zeilenschinden ausgeschüttet. Das Attentat auf Sergej Skripal in Salisbury, die Umbettung der Ex-Zarin Dagmar („Maria Fjodorowna“) 2006 nach Sankt Petersburg – Frau des 1894 gestorbenen Zars Alexander III.–, die teuren Apanagen deutscher Ex-Bundeskanzler. Dazu die Lobbyisten-Tätigkeiten von SPÖ-Alt-Bundeskanzlern wie Alfred Gusenbauer und Werner Faymann. Alles von moderatem Interesse, nur haben sie mit dem Kernthema nicht das geringste zu tun. Also: „Thema verfehlt. Setzen. Sechs“?

Høvsgaard erzählt eine spannende Geschichte. Es gibt jene halb-konspirativen Zusammenkünfte in Berliner Schwulenkneipen und St. Petersburger Edellokalen, wo sich Altkanzler Gerhard Schröder, der Putin-Funktionär Mat­thias Warnig sowie die niedersächsischen Schröder Adlaten Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel zum Ausmauscheln der beiden Ostsee-Pipelines treffen.

Von Putin-Funktionären und Schröder-Adlaten

Warnig ist eine interessante Figur. Im Spreewald 1955 geboren wurde er bald Hauptamtlicher der Stasi, spionierte als solcher von der DDR Handelsvertretung in Düsseldorf aus und kam als Hauptmann mit dem KGB-Oberstleutnant Putin in Dresden in freundschaftlichen Kontakt. In St. Petersburg konnte er die Dresdner-Bank-Filiale eröffnen, als Putin dort als Vizebürgermeister für wirtschaftliche Auslandskontakte zuständig war. Dann machte er sich 2006 bei der Abwicklung des Yukos-Ölkonzerns des inhaftierten Chodorkowski verdient und sitzt – wie andere bewährte Siloviki, die Veteranen des Geheimdienstapparates – in den Aufsichtsräten von Rosneft, Transneft, den Banken VTB und Rossiya, sowie von Nord-Stream, gleichsam wie die Spinne im Netz.

Dazu muß man wissen: Ab 2005 forderte Putin auch von seinem Transitpartner Ukraine marktwirtschaftliche Preise. Es folgten Endlosdispute über Gastransit, Gebühren, dubiose Mittlerfirmen und Entnahmen um die Sojus-Pipelines. Gelegentlich – so etwa 2006 und 2009 – drehten die Russen den Ukrainern in der Mitte der Winterkälte wegen angeblicher Reparaturarbeiten das Gas ab, was auch die abhängigen Endabnehmer in Moldawien, der Slowakei oder Bulgarien schädigte. Rußland wollte lieber die Ukraine aus dem Geschäft hebeln, versenkte 9 Milliarden Euro an Gasröhren in der Ostsee von Karelien bis Lubmin in Vorpommern, als zu verhandeln.

Steinmeier und Gabriel schützten das Nord-Stream-Projekt

Warnig wurde nun Chef von Nord-Stream-1 und Schröder der Chef des Aufsichtsrates. In seinen letzten Kanzlertagen segnete dieser bekanntlich das Geschäft ab, und seine Gehilfen Steinmeier und Gabriel, die ihm ihre politische Karriere verdanken, sorgten als Minister dafür, daß es bestehen blieb.

Nun gab es noch die Kleinigkeit der Transitgenehmigungen in der Ostsee zu klären. Balten und Polen waren verständlicherweise feindselig. So kontaktierte Schröder seine sozialdemokratischen skandinavischen Premiersfreunde aus alten Tagen. Nach opulenten Mahlen rekrutierte er Göran Persson, Schwedens Premier von 1996 bis 2006, für ein Salär von einer Million Schwedenkronen, um seinen Nachfolger Frederik Reinfeldt, der das Nord-Stream-Projekt ursprünglich ablehnte, zu lobbyieren. Paavo Lipponen, Finnlands Premier von  1995 bis 2003, erhielt ein Gehalt von 1,5 Millionen Euro im Jahr für die nötigen finnischen Genehmigungen. Der Autor diskutiert in großer Länge, ob Lipponen selbst Stasi-Agent war (S. 75ff). Beweise liefert er allerdings keine.

In Dänemark war die Geschichte komplizierter. Niemand wurde geschmiert. Allerdings hatten die Russen dänische Exporte von Schweinefleisch und Bier nach einem TschetschenenKongreß im Land blockiert, und als Dänemark sich 2002 geweigert hatte, Tschetschenenführer auszuliefern. Für die Genehmigung, die Pipeline nördlich Bornholms zu legen (denn südlich hatten die Russen anno 1945 zuviel Wehrmachtsmunition in der Ostsee versenkt), durften dank Schröders Vermittlung die Dänen ab 2009 dann wieder Schnitzel, Wurst und Bier nach Rußland verkaufen, bis im Jahre 2014 die russischen Gegensanktionen nach der Krim-Annexion wieder alles blockierten.

Es geht nicht nur um Gas, es geht auch um die Wurst

Es gibt noch andere lustige Korruptionsgeschichten. Mit dem Geld von Warnig erhielten Ornithologen der Universität von Gotland von Schröder plötzlich 5 Millionen Schwedenkronen, um seltene Entenarten zu erforschen. Der Hafen erhielt 50 Millionen Schwedenkronen für Renovierungsarbeiten und ein Museum. Alle örtliche Kritik am Nord-Stream-Projekt erstarb darauf auf Gotland. Andere Häfen erhofften sich lukrative Aufträge für den Pipeline-Bau und die spätere Wartung.

In Deutschland machten sich die Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, zunächst Erwin Sellering und derzeit Manuela Schwesig, sowie in Brandenburg Ex-Premier Matthias Platzeck (alle SPD) als unbedingte Putin-Versteher verdient. Leider gelingt es dem Autor nicht, auch nur ansatzweise die Gasversorgungsproblematik der EU darzustellen und wie die neue EU-Entscheidung, Betreiber und Gaseigner auch in Zulieferpipelines zu trennen, den in diesem Jahr laufenden Nord-Stream-2-Bau und seinen Betrieb beeinflussen wird.

Jens Høvsgaard: Gier, Gas und Geld. Wie Deutschland mit Nord Stream Europas Zukunft ruiniert. Europa-Verlag, Berlin 2019,  gebunden, 327 Seiten, 22 Euro