© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Ein Mann und seine Tat
Der Historiker Christian Jostmann nimmt den Leser im Jubiläumsjahr mit auf die epochemachende Weltumsegelung des Ferdinand Magellan
Matthias Bäkermann

Die Bilanz des portugiesischen Seefahrers Fernao de Magalhaes war bei Lichte betrachtet gar nicht so berauschend. Die Erde hat er nie ganz umsegelt, auf halber Strecke endete seine Reise tragisch. Selbst vorherige Fahrten eingerechnet, konnte er nicht alle Längengrade überqueren. Auch ging er in der Annahme fehl, daß sein Sehnsuchtsziel, die Gewürzinseln, auf dem „spanischen Teil der Erde“ lagen; die falschen Vorstellungen des Navigators über die Ausmaße des Pazifiks endeten für viele Seeleute tödlich. 

Als Führer einer Flotte gab der autoritäre und wenig konziliante Magellan erst recht keine gute Figur ab; Meutereien brachten die Mission mehrfach an den Rand eines Fiaskos. Letztlich kehrte von den fünf Schiffen mit 240 Mann Besatzung nur eines nach Spanien zurück, wo vom Deck 18 halbverhungerte Gestalten wankten. Die mitgebrachten Nelken und andere Schätze waren zwar ein Vermögen wert, allerdings hatten der Kaiser und seine Geldgeber zuvor auch ein ebensolches Kapital für die Flotte und ihre Ausstattung ausgegeben. Für seine Landsleute blieb er immer ein Verräter. „In seiner Tat wahrhaft Portugiese, nicht aber in seiner Treue“, beschrieb ihn der Dichter Luis de Comoes (1525–1580). Und für manche Historiker der Gegenwart ist Magellan nur ein böser Ahnherr des europäischen Kolonialismus, ein Vorreiter des Nord-Süd-Konflikts. „Europas Vormacht in den Teilen der Welt, die heute Dritte Welt genannt werden, resultiert aus der Geschichte, die sich in dieser ersten Umsegelung der Erde widerspiegelt“, mahnte der Deutsche-Welle-Journalist Rüdiger Siebert bereits 1987 in seinem Magellan-Buch „Entdecker im Zwielicht“. Für heutige Vertreter der „Critical Whiteness“ dürfte dieses Urteil sogar noch zu milde erscheinen.

Der Portugiese wähnte Molukken auf der spanischen Erdhälfte

Doch was fasziniert auch 500 Jahre nach dem Aufbruch des Entdeckers zu seiner „herrlichsten Odyssee in der Geschichte“ (Stefan Zweig)? Warum rangiert er spätestens seit Alexander von Humboldt auf mindestens gleichem Niveau wie Christoph Kolumbus oder Vasco da Gama? Durch die spätere Benennung der am Südhimmel sichtbaren Zwerggalaxien als Magellansche Wolken ist er sogar wortwörtlich allem Irdischen enthoben worden. Und wie der Historiker Christian Jostmann in seiner fesselnden Biographie beschreibt, hätte die Weltumsegelung zwischen 1519 und 1522 mit all ihren Triumphen und Niederlagen, dem Erhabenen wie Skandalösen das Format für eine ganze Abenteuerserie.

Den Anfang machte ein Strich. Von der Südspitze Grönlands bis in südlichste Gefilde teilte eine Demarkationslinie inmitten des Atlantischen Ozeans die Welt unter den beiden führenden Seefahrernationen auf. Papst Alexander VI. wollte mit seiner Bulle von 1493 Streit frühzeitig unterbinden, der sich spätestens nach der Entdeckung Amerikas abzuzeichnen begann. Die bisherige Führungsmacht Portugal war damit immerhin Herr über Afrika und Asien bestätigt, dessen Reichtümer im Europa der Frühen Neuzeit sprichwörtlich waren. Spanien hatte keinen Anteil an diesen handfesten Schätzen, die höchste Gewinne an den Handelsplätzen zwischen Venedig, Genua und Antwerpen abwarfen, allerdings waren die Entdeckungen jenseits des Atlantiks derart verheißungsvoll, daß der portugiesische König Johann II. umgehend gegen den Schiedspruch protestierte. Immerhin konnte er im Vertrag von Tordesillas ein Jahr später erwirken, daß die Linie etwas westlich verschoben wurde, was eine spätere Kolonisierung Brasiliens durch Lissabon erst ermöglichte. Völlig unklar blieb jedoch, wo auf der anderen Seite der Erde die Sphären Spaniens und Portugals aneinanderstießen. Niemand war bis dahin in diese Terra incognita vorgestoßen.

Anfang des sechzehnten Jahrhunderts festigte Portugal seine Positionen im Indischen Ozean. Neben dem Ausbau von Festungen an der afrikanischen Küste (Mosambik, Tansania) konnten die hochseetüchtigen Naos und Karavellen Handelsplätze wie Goa in Indien und sogar Malakka im heutigen Malaysia erobern. Die Kombination von Segeln und Kanonen verschaffte den Europäern überall den entscheidenden Vorteil. Der junge portugiesische Adelige Magellan war bei diesen Expeditionen dabei und bestand manche Feuertaufe. 

Da die Portugiesen immer mehr Positionen im Indischen Ozean kontrollierten und damit auch asiatische Zwischenhändler ausschalteten, wuchs der Ehrgeiz, direkt zur Quelle der Gewürze, die in Europa mit Gold aufgewogen wurden, vorzustoßen: zu den winzigen Molukken-Inseln am Äquator zwischen den Philippinen und Papua-Neuguinea, wo exklusiv Gewürznelkenbäume wuchsen, oder zu den Banda-Inseln nördlich von Timor, wo einzig die Magnolienart Muskat wuchs, deren hochbegehrte Nüsse und Samenkapseln bisher nur über verschlungenste Pfade bis nach Europa kamen. Bei einer Expedition zu diesen Inseln war Magellan ebenfalls mit von der Partie, bis einsetzende Monsunwinde kurz vor dem Erreichen der Bandasee die Schiffe zur Rückkehr nach Malakka zwangen.

Nachdem Magellan wieder in seiner Heimat war, schied er bald aus den Diensten aus; ob in Ungnaden, wie später manche meinten, läßt Jostmann, der sich – ad fontes! – hauptsächlich an den Originaltexten der Zeitgenossen orientiert, bewußt offen. Magellans Sehnsucht nach den sagenhaft reichen Gewürzinseln blieb jedoch wach. Und die Erfahrung, daß jene von Malakka erst nach einer weiten Reise nach Osten erreichbar waren, festigte seine These, daß die Molukken wohl in der spanischen Welthälfte liegen müßten. Der in Brüssel ausgewachsene Habsburger Karl V., der 1517 Spaniens Krone übernahm und als König erstmals seinem Reich die Aufwartung machte, ließ sich von dem Portugiesen überzeugen, mit einer Expedition Klarheit zu verschaffen. Bestenfalls wäre der Weg südlich des neuentdeckten amerikanischen Kontinents, der Portugals Hemisphäre nicht tangieren müßte, sogar kürzer als jener um das Kap der Guten Hoffnung und die durch Weiten des Indischen Ozeans.

Letzteres sollte sich als Trug herausstellen. Immerhin gelang es Magellan, nach verzweifelter Suche entlang der immer karger und unwirtlicher werdenden Küste Südamerikas, im südlichen Patagonien einen Seeweg nach Westen zu finden. Es sollte einer der wenigen Glücksfälle auf seiner Reise sein, daß beim Durchsegeln der später nach ihm benannten Passage ausnahmsweise einmal östliche Winde wehten, ansonsten wäre in der Enge der Magellanstraße beim Kreuzen gegen die sonst vorherrschenden Stürme vom Pazifik ein Scheitern wohl unvermeidlich gewesen. Weniger glückhaft war danach allerdings die Reise durch den Stillen Ozean. Durch die von günstigen Passatwinden entlang des Äquators vorgegebe Route umgingen die drei verbliebenen Schiffe die Inselwelt Polynesiens. So gelang es der von Hunger, Durst und Skorbut gebeutelten Mannschaft erst auf den Marianen, ihre Vorräte aufzufüllen.

Im westlichen Pazifik sollte die Flotte unter dem kaiserlichen Banner des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation dann erstmals für Spanien und das Christentum kolonisatorisch in Aktion treten. Auf den Philippinen unterwarfen sich einige Stämme den europäischen Seglern mit ihrer Eisenrüstung und den Kanonen. Magellans Versuche, Portugals Divide-et-impera-Strategie in Indien  auch auf den Philippinen anzuwenden, endete jedoch fatal. Er ließ sich in innere Konflikte hineinziehen und fand dabei den Tod. Daraufhin wendeten sich die gerade Unterworfenen gegen die plötzlich ihre Verletzlichkeit offenbarenden Konquistadoren. Nur mit Müh und Not konnten die Spanier fliehen.

Magellan hatte eine Durchquerung des Indischen Ozeans nie geplant

Der führerlosen und stark dezimierten Flotte gelang es immerhin noch, die Molukken zu erreichen und die Laderäume mit Nelken und Sandelholz zu füllen. Doch statt – wie von Magellan geplant – die Rückreise über den Pazifik zu nehmen, entschied sich die Mannschaft des letzten verbliebenen Schiffs, durch die portugiesische Hemisphäre, das heißt den Indischen Ozean und um das Kap der Guten Hoffnung, zu segeln. Damit mußten sie aber auch deren Nachschubbasen umgehen.

Auf den Kapverdischen Inseln waren die Spanier schließlich am Ende. Um den Hungertod zu entgehen, gaben sie sich gegenüber den Portugiesen auf der Insel als schiffbrüchige Amerikareisende aus und wurden fürs erste versorgt. Mißtrauen erregte jedoch schon bald die Ladung an Nelken an Bord. Da zudem im Logbuch und in allen Tagebüchern der spanischen Besatzung wegen des Überquerens der Datumsgrenze ein Tag fehlte, schwante den Portugiesen bald, daß sie es mit Weltumseglern zu tun hatten, die auch durch fremde Sphären unterwegs waren. Ein Teil der Besatzung wurde festgenommen und in Eisen gelegt, bevor eine Rumpfmannschaft mit ihrem Schiff in Richtung Spanien fliehen konnte. Dort fand am 6. September 1522 ihre Odyssee ein Ende.

Christian Jostmann: Magellan oder Die erste Umsegelung der Erde. C.H. Beck, München 2019, gebunden, 336 Seiten,  Abbildungen, 24,95 Euro