© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Sehr amateurhaft
Das Außenministerium und der Fall Billy Six: War der Journalist gefangen im Konflikt um die Zukunft und die reichen Rohstoffe Venezuelas?
Martina Meckelein


Es mag wie ein Kalauer klingen, ist es aber nicht, sondern die erschütternde Realität: Das Deutsche Auswärtige Amt mißt mit zweierlei Maß. Forderte sein Chef, der deutsche Außenminister Heiko Maas, im Fall des in Venezuela inhaftierten deutschen Reporters Billy Six nur die Einhaltung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ein, sprach sich dasselbe Ministerium im Fall eines venezolanischen Oppositionellen für dessen Freilassung aus der Haft aus.
 Doch damit nicht genug. Sich häufende außenpolitische Fehlentscheidungen provozieren intern immer öfter Kritik an der Spitze des Hauses. Es scheint, daß Billy Six in einer überaus problematischen Zeit zwischen alle Fronten – mindestens aber die Rußlands und der USA – geraten ist. Die JUNGE FREIHEIT fragte einen deutschen Regierungsbeamten, wie er die Vorgehenweise im Fall Billy Six einschätzt.

„Es ist gut vorstellbar, daß das Auswärtige Amt keine Kenntnis über russische Aktivitäten im Fall Six hatte“, so der Experte zur JUNGEN FREIHEIT. „Insofern hat das Auswärtige Amt auch nicht gelogen. Ohne offizielle Verbalnote kann es sich darauf zurückziehen zu sagen, es wisse nur das, was es in der Zeitung lese oder wie in diesem Fall: von nichts. Übrigens ist es durchaus vorstellbar bei dem Verhältnis zwischen Deutschland, Rußland und Venezuela, daß das Auswärtige Amt nicht im mindesten informiert wurde, von keiner Seite.“

Jahrelang war es ein Glaubenssatz der deutschen Außenpolitik, sich in Süd­amerika neutral zu verhalten. Das änderte sich spätestens 2018. Am 20. Mai vergangenen Jahres führte Venezuela eine vorgezogene Präsidentschaftswahl durch. Maduro wurde zum zweiten Mal gewählt. Die USA und die EU erklärten, seine Wiederwahl nicht anzuerkennen. Eine Hyperinflation preßt immer noch das Land aus, Tausende von Venezolanern verlassen bis heute ihre Heimat.

Es waren und sind diese verheerenden Verhältnisse, über die Six berichtete. Wie scharf die Maduro-Regierung gegen Journalisten und Kritiker vorgeht, ist dem Auswärtigen Amt durchaus geläufig. Schließlich sprach es sich für die Freilassung eines seit Sommer  inhaftierten Oppositionellen aus. Interessant ist in dessen Fall allerdings nicht nur der Einsatz der Bundesregierung für den Mann, sondern auch ihre Wortwahl.
Außenamt forderte

Freilassung von Venezolaner

Auf der Regierungspressekonferenz am 7. Januar 2019, in der es auch um den Fall Billy Six ging und die bisherigen Interventionen seitens des Auswärtigen Amtes, stellte ein Journalist folgende Frage: „Der aktuelle Parlamentspräsident Venezuelas hat das Militär aufgerufen, die Demokratie wiederherzustellen. Wie steht die Bundesregierung zu diesem De-facto-Putschaufruf gegen den gewählten Präsidenten Maduro?“ Der Sprecher des Auswärtigen Amtes Christopher Burger beantwortete sie wie folgt: „Ich kenne die Äußerungen nicht im einzelnen – es tut mir leid –, und deswegen kann ich darauf nun auch nicht im einzelnen eingehen. Aus unserer Sicht ist es von besonderer Bedeutung, daß die demokratisch gewählte Nationalversammlung in Venezuela wieder in ihre verfassungsgemäße Rolle eingesetzt wird. Deswegen fordern wir auch die Freilassung des gewählten Abgeordneten Juan Requesens, der trotz parlamentarischer Immunität seit August 2018 inhaftiert ist.“
Einen Monat später, Februar 2019, eskaliert auf diplomatischer Ebene die Situation. Bis zum 5. Februar 2019 erklären 19 EU-Staaten, darunter Deutschland, den oppositionellen Politiker Juan Guaidó – er war bisher Präsident der Nationalversammlung – als Übergangspräsidenten anzuerkennen. Heute zählt dieser knapp 60 Staaten zu seinen Unterstützern.

Rußland schickt militärische Unterstützung

„Diese Anerkennung Guaidós war ein totaler Fehler“, so der Regierungsbeamte zur  jungen freiheit. „Und zwar einmal deshalb, weil Deutschland jetzt in den Augen vieler Lateinamerikaner in einen Topf mit den ‘verhaßten Gringos’, also den USA, geworfen wird. Außerdem muß man mal nachrechnen, daß drei Viertel der Staaten der Welt Guaidó eben nicht anerkennen.“
Auch der deutsche wissenschaftliche Dienst des Bundestages sieht die Anerkennung von Guaidó kritisch. Am 15. Februar 2019 führt der Dienst aus: „Mit dem Verweis auf Artikel 233 der venezolanischen Verfassung positioniert sich Deutschland gleichzeitig in einer strittigen Frage des venezolanischen Verfassungsrechts. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der ‘Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates’ völkerrechtlich ebenso fragwürdig wie die (vorzeitige) Anerkennung eines Oppositionspolitikers als Interimspräsidenten, der sich im Machtgefüge eines Staates noch nicht effektiv durchgesetzt hat.“

Unverständlich für den Regierungsbeamten ist die Vorgehensweise des Auswärtigen Amtes aus noch einem weiteren Blickwinkel: „Eben weil zu diesem Zeitpunkt ein deutscher Staatsbürger in einem venezolanischen Geheimdienstgefängnis einsaß. Das ist sehr amateurhaft.“

Daß Deutschland einem deutschen Staatsbürger und Journalisten in venezolanischer Haft helfen sollte, was im Fall Billy Six von ihm selbst verneint wird, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber welchen Grund sollte Rußland haben, einem deutschen Journalisten zu helfen?
„Rußland hat durch diese Aktion eine Duftmarke gesetzt. Es hat gezeigt, daß es in Venezuela etwas zu sagen hat. Nach dem Motto: ‘Leute, das ist unser Hinterhof. Wenn wir wollen, passiert das, was wir wollen.’ Übrigens ging Rußland in Syrien ebenfalls so vor. Auch dort war Six inhaftiert. Ich vermute, die russische Intervention folgte damals wie heute derselben Agenda.“
Am vergangenen Sonntag landeten zwei russische Flugzeuge auf dem internationalen Flughafen in Caracas. Laut dem venezolanischen Journalisten Javier Mayorca sei „mit dem ersten Flugzeug  Vasily Tonkoshkurov, der Stabschef der  russischen Bodentruppen, nach Venezuela gekommen.“ Mit der zweiten Maschine, einem Frachtflugzeug Antonov AN-124, seien 35 Tonnen Material in Caracas gelandet, wie auch der russische Nachrichtensender Sputnik bestätigte.

US-Präsident Donald Trump kritisierte prompt die russische Unterstützung für Venezuela und drohte mit Konsequenzen. Laut der Welt soll er eine Militärintervention angedeutet haben. Aber warum?

Der Linken-Abgeordnete Harri Grünberg sagte in einem Gespräch mit dem Internetradio KenFM, daß die USA Interesse an den Ölvorkommen Venezuelas – den größten der Welt – hätten. Auch Deutschland habe, so der Politiker, wirtschaftliche Interessen. Venezuela ist reich an Rohstoffen. Es besitze das zweitgrößte Gold- und auch Coltan-Vorkommen der Welt. Das Erz ist ein Grundstoff für die Herstellung von Kondensatoren und wird in der Produktion von nahezu jedem elektronischen Gerät benötigt. Laut Grünberg  habe in Venezuela China den Zugriff darauf. Deutschland sei ins Hintertreffen geraten.

Der Regierungsbeamte meint: „Ob die Stimmung im deutschen Auswärtigen Amt schlecht ist? Die fühlen sich jetzt angepißt.“