© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Der Diplomat, der auch derb kann
Rußlands Vertreter in der Welt: Sergej Lawrow ist Patriot, Diener seines Staates und einer der fünf dienstältesten Außenminister
Thomas Fasbender


Der Krimkrieg 1853 bis 1856 war, nach der petrinischen Öffnung 150 Jahre zuvor, die erste traumatische Erfahrung der Russen in ihrem Verhältnis zu Europa. Daß die Westmächte Frankreich und Großbritannien sich eher mit dem Sultan verbündeten als Rußland weiteren Einfluß auf ihrem Kontinent zu gönnen, mündete in eine Entfremdung, die sich im 21. Jahrhundert vollendet. Immerhin förderte die Tatsache, daß Preußen in dem Konflikt neutral geblieben war, den Mythos der deutsch-russischen Seelenverwandtschaft. Um so vielsagender ist es, daß der 1856 zum Außenminister und später zum Kanzler des Russischen Kaiserreichs berufene Alexander Gortschakow als wichtigstes Vorbild des russischen Außenministers Sergej Lawrow gilt.

Beide üben ihr Amt in einer schwierigen Phase aus. Lawrow, der 1950 geborene Sohn eines Armeniers aus Tiflis und einer Russin, Absolvent der Moskauer Eliteuniversität MGIMO, begann die Diplomatenlaufbahn mit 22 Jahren in Sri Lanka. Zwanzig Jahre später war er stellvertretender Außenminister, ab 1994 dann russischer Vertreter bei den Vereinten Nationen und im UN-Sicherheitsrat.

Ein Profi in der Kunst des Möglichen

Von dort berief Präsident Wladimir Putin ihn 2004 an die Spitze des Außenministeriums. Seitdem sind 15 Jahre vergangen, und mit Ausnahme der Kollegen in Oman, Samoa und Turkmenistan ist Lawrow inzwischen der dienstälteste Außenminister der Welt. Heiko Maas ist schon der sechste deutsche Amtsinhaber, mit dem er es in Berlin zu tun hat. Da fällt es schon schwer, die alle ernst zu nehmen.

Lawrow ist ein Profi ersten Ranges, perfektes Englisch, mit allen Wassern gewaschen, weltoffen und globalisiert, dabei doch Russe genug, um mit breitem Kreuz austeilen und einstecken zu können. Im Freundeskreis schätzt man ihn für sein Gitarrenspiel, begleitet von heiser gesungenen Liedern im Stil des Sowjet-Dissidenten Wladimir Wyssozki. Nachgesagt wird ihm die Neigung zu Tabak, zu schottischem Whisky und italienischer Küche. Dabei verfügt er über eine ausgeprägte poetische Ader. Die inoffizielle Hymne seiner alten Moskauer Universität, des MGIMO, mit dem Refrain „Lernen bis zum Umfallen, saufen bis zum Schluß“ ist definitiv aus seiner Feder.

Daß er das Parkett ebenso gut beherrscht wie derbe Flüche, wissen manche Politiker, die mit ihm zu tun hatten. Unvergessen ist, wie er bei einer Pressekonferenz 2015 während der Übersetzung ins Arabische das Wort „Idioten“ ins Mikrofon hauchte. In Rußland, wo politische Korrektheit als Merkmal westlicher Dekadenz gilt, kommt das allemal gut an. Die Fähigkeit, gleichzeitig weltgewandt und als Russe authentisch zu sein, verschafft ihm zu Hause und international Respekt.

Bei alledem ist er ein Karrierediplomat, der den Berufspolitikern nicht in die Suppe spuckt. Dem engsten Zirkel der Macht, jenen zehn oder fünfzehn Männern, die im Kreis um Präsident Putin die russische Politik bestimmen, gehört Lawrow nicht an. Er ist der erste Botschafter seines Landes, ein Staatsdiener im besten Wortsinn, der umsetzt, was sein Präsident als russisches Interesse definiert. Daß er dabei nicht katzbuckelt, ist anzunehmen. Rußland durchlebt eine Zeit, in der es vergleichsweise einfach ist, Patriot zu sein. Die Umstände und die Gegenspieler sind bekannt, auch die eigenen Ambitionen. Politik ist für Lawrow, genauso wie für sein Vorbild Gortschakow und dessen Zeitgenossen und Freund Otto von Bismarck, nichts anderes als die Kunst des Möglichen. Und aus der Realisierung des Möglichen wird die Kunst des Erfolgs.

Unter Lawrows Ägide hat die russische Außenpolitik auch in einer ihrer Stammregionen, im Nahen und Mittleren Osten, wieder erfolgreich Fuß gefaßt. Das russische Herangehen ist für die Herrscher dort so viel lebensnäher als das der Europäer mit ihrem postchristlichen Moralbegriff. Und wenn Sergej Lawrow irgendwelchen westlichen Vertretern einer „wertebasierten Außenpolitik“ gegenübersitzt, die sein Politikverständnis für hoffnungslos veraltet halten, wird er sich einen seiner Flüche denken oder wieder unterdrückt ins Mikrofon hauchen: „Idioten.“