© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

„Wie in einem Action-Film“
Billy Six ist zurück. Doch immer noch sind viele Fragen offen: Wieso wurde er verdächtigt, Agent des BND zu sein? Was hat er in Maduros gefürchtetem Spezialgefängnis „El Helicoide“ erlebt? Warum erhebt er den Vorwurf, von der Bundesregierung verraten worden zu sein?
Moritz Schwarz

Herr Six, wem verdanken Sie Ihre Freiheit?

Billy Six: Meiner Familie, dem Ehepaar Petr und Stepanka Bystron, am Ende dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, aber auch der Uno-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet und vielen, vielen mehr, die sich für mich eingesetzt haben. Interessant ist allerdings die Frage: Wem verdanke ich meine Freiheit nicht?

Sie sagen, das Auswärtige Amt (AA) habe Sie in venezolanischer Haft „verrecken lassen wollen“. Bleiben Sie dabei?  

Six: Ja, der größte Gegner während der Gefangenschaft war nicht der Staat Venezuela, sondern die Bundesregierung! Und ich werde alles tun, damit keinem Deutschen mehr passiert, was mir passiert ist. Denn der nächste hat vielleicht nicht mehr so viel Glück wie ich.

Wieso Glück?

Six: Ich hätte ermordet werden können, so wie Elisabeth Käsemann 1977 in Argentinien. Doch kurz vor meiner Inhaftierung sind die Direktoren des Geheimdiensts und des Gefängnisses „Helicoide“ ausgewechselt worden. Sie haben die Haftbedingungen erheblich verbessert, so wird dort nun nicht mehr gefoltert.

Warum?

Six: Man begreift, daß Maduro nicht ewig herrschen wird, und will im Zweifel auf der richtigen Seite stehen. Einer sagte mir: „Maduro wird gehen, wir bleiben!“

Für Verwirrung sorgt die Behauptung, Sie hätten sich Ihrer Entlassung widersetzt.

Six: Im venezolanischen Fernsehen war verkündet worden, daß mich am 13. März eine Gesandtschaft der Uno-Menschenrechtskommissarin besuchen wolle, die ich zu diesem Zeitpunkt – nach dem Verrat der Bundesregierung – für meine letzte Hoffnung hielt. Ich wurde jedoch weggebracht, so daß ich die Kommission verpaßte. Am 15. März ging ich von einer erneuten „Falle“ aus.

Wann wurde Ihnen klar, daß es anders war?

Six: Der Gefängnisdirektor selbst kam in meine Zelle und sagte: „Die lassen dich frei!“ Er reichte mir sein Telefon, am anderen Ende irgendeine Führungsfigur der Justiz. Ich sollte diesmal ohne Häftlingskluft und ohne Handschellen nach draußen gehen.

War es nicht gefährlich, sich zu widersetzen?

Six: Es war mir gelungen, einen gewissen Spielraum zu erlangen, den andere Gefangene nicht hatten. Ich konnte mit Hungerstreiks Forderungen durchsetzen, mit dem Gefängnisdirektor diskutieren oder mit Wärtern Schach spielen.

2013 waren Sie bereits in Syrien in der Gewalt eines Diktators. Was war nun anders?  

Six: Syrien war brutal, obwohl ich als Ausländer ebenfalls bevorzugt behandelt, sprich, nicht gefoltert oder ermordet worden bin. Die Isolationshaft damals war härter, nicht mal die Wärter sprachen mit mir, ich hatte null Kontakt zur Außenwelt, wurde bedroht, erhielt eine Ohrfeige, und ich wurde Augen- und Ohrenzeuge von Folter. Auf dem Flur mußte ich an den Blutlachen der Geschundenen vorbeigehen, deren Schreie nachts bis in meine Zelle drangen. Caracas war „entspannter“. Aber auch hier gab es Angst, Erschöpfung und Unsicherheit: Zunächst die Furcht, keine Medizin mehr zu bekommen. Ich hatte mich mit dem in Venezuela verbreiteten Dengue-Fieber infiziert, das ohne Medikamente schlimm enden kann. Dann die Sorge einer langen Haft: mir drohten bis zu dreißig Jahre – vielleicht mit Überführung in eines der „Penales“, also ein reguläres Gefängnis, die die Hölle sind.

Wie haben Sie durchgehalten?

Six: Erfahrung, Gottvertrauen und das Training bei der Bundeswehr für Journalisten in Krisengebieten, bei dem wir lernten, sich in so einer Lage strikt auf Positives zu konzentrieren, egal was. Notfalls „freut“ sich das Kaninchen sogar, endlich dem Wolf zu begegnen, schärfte uns der Psychologe ein. Hauptsache, du schaffst dir einen positiven Fixpunkt! Und in Caracas gab es etliche, etwa daß es mir gelang, Kassiber herauszuschmuggeln.

Wie das?

Six: Durch wohlgesonnene Mithäftlinge und Wärter, die ich bestochen habe. Die Durchsuchung war schlampig gewesen, sie hatten mehr als 800 US-Dollar übersehen. Das ist richtig viel Geld, damit hätte ich das ganze Gefängnis unterhalten können. Ein Wärter verdient dort umgerechnet fünf Dollar im Monat. Leider wurde ein Teil des Geldes bei Zellenrazzien entdeckt. Sie suchten ein verstecktes Telefon, das ich gar nicht hatte.

Dann verschlechterten sich Ihre Haftbedingungen. Warum?

Six: Sie steckten mich in eine andere Zelle, um das ihnen unerklärliche „Datenleck“ zu stopfen: ein fensterloser Betonbunker, zwei auf fünf Meter, mit Bett, Tisch, Stuhl. Immerhin durfte ich mir Bücher leihen. Bis auf den belastenden Entzug von Tageslicht und den Bewegungsmangel war es erträglich. Oft fehlte es allerdings auch an Waschwasser, zeitweise an Strom. Belastend war die Dauerüberwachung durch bis zu drei Wächter und eine extra installierte Korridor-Kamera, um zu verhindern, daß der mit der deutschen Regierung verbündete Gefangene Juan Requesens – ein mittelwichtiger venezolanischer Oppositioneller – mir „wieder Geld zusteckt“. Nachdem die Bundesregierung öffentlich seine Freilassung gefordert hatte, durfte ich auch nicht mehr in den Gemeinschaftsraum: sie wollten jeden zufälligen Kontakt verhindern.

Warum war das so?

Six: El Helicoide ist das Gefängnis für die wichtigsten Staatsfeinde – derzeit etwa 150. Der Name bedeutet übrigens „Schneckenhaus“, da das Gebäude spiralförmig gebaut ist. Die Versorgung ist besser als in anderen Haftanstalten. Andererseits weiß niemand, wann er dort je wieder herauskommt: Viele sitzen dort seit Monaten und Jahren ohne Gerichtsverfahren. Einige warten gar seit Monaten auf die Umsetzung ihres Freispruchs.  

Weshalb?

Six: Weil die Geheimdienste Staat im Staate sind. Trotzdem war ich froh, nicht in einem „Penal“ zu sein. Dort muß die Familie dir das Essen bringen. Sonst bleibt nur, im Gefängnismüll nach Eßbarem zu wühlen. Das gleiche gilt, falls du erkrankst: kein Geld, keine Medizin. Vor allem aber kann man sich ohne Geld keinen Schutz kaufen.Die „Penales“ werden vom „Pran“, dem „König“ einer Gefangenen-Gang, kontrolliert. Wer sich gutstellt, kommt selbst an Drogen und Prostituierte. Die Gangs sind bewaffnet, es gibt Bandenkriege.

Also twitterte der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko zu Recht, das Helicoide sei doch „vergleichsweise komfortabel“?

Six: Im Vergleich womit? Wer Geld hat, lebt in den „Penales“ besser. Außerdem weiß dort jeder, wann seine Haftzeit zu Ende sein wird. Bis vor kurzem wurde im Helicoide noch gefoltert. Jetzt wird das anderswo erledigt: Einer wurde zu uns verlegt – mit einem, wie er erzählte, durch den Schlag mit einem Pistolengriff zerstörten Augapfel.

Nochmal O-Ton Hunko: „Ob Herr Six wirklich als Journalist unterwegs war oder eher als rechtsextremer Aktivist, können wir natürlich nicht beurteilen. #freebilly“

Six: Wer mich nie getroffen hat, ist von der Negativ-Propaganda beeinflußt. Herr Hunko hat anständigerweise inzwischen gegenüber meinen Eltern seine damaligen Äußerungen bedauert und sehr geholfen. Bei der Hetzrede seiner Parteikollegin Simone Barrientos während der Aktuellen Stunde im Bundestag gegen meine Person klatschte er nicht.

Warum wurden Sie überhaupt verhaftet?

Six: Weil eine Einheit des Militärgeheimdienstes DGSIM vermutlich auf Gratis-Getränke aus war. Also fielen sie, in Venezuela nicht unüblich, für eine „Personenkontrolle“ in die Dorfdisko ein, wo ich mich gerade aufhielt. Das war am Abend des 16. November 2018 nahe Punto Fijo, wo sich die zweitgrößte Ölraffinerie der Welt befindet. Da ich meinen Paß nicht dabeihatte, fuhren sie mit mir ins Hotel, unterwegs schenkten sie mir noch eine Malzbrause. Im Hotel begutachteten sie mein Zimmer und fotografierten den Paß. Die Sache schien erledigt, doch ein ungutes Gefühl blieb. Als ich am nächsten Tag vom Strand zurückkam, blickte ich plötzlich in die Pistolenmündungen zweier Agenten, die mich in mein Zimmer sperrten. Auf dem Hof war inzwischen ein etwa 15köpfiges Überfallkommando mit automatischen Gewehren im Anschlag in Stellung gegangen – äußerst martialisch, wie in einem Action-Film. Rüde wurde ich festgenommen und abtransportiert.

Hatten Sie Angst?

Six: Es war ja nicht mein erstes Erlebnis dieser Art. Es wirkte völlig übertrieben. Aber ich hatte ein gewaltiges Problem – das ich jedoch für lösbar hielt. Kritisch waren die Fotos auf meiner Kamera und dem Rechner – Ölanlagen, Militärs, Rebellen –, meine Interviews und Artikel zur innenpolitischen Lage und besonders moniert wurden vermeintliche Nahaufnahmen von Staatschef Maduro.

Was genau hatte das zu bedeuten?

Six: Nichts Besonderes. Alles war Teil meines Foto-Tagebuchs, darunter Recherchen zur Lage des Landes. Die Militärs hatte ich bei der Parade am 5. Juli, dem Nationalfeiertag, fotografiert, Maduro bei einer öffentlichen Kundgebung im Mai auf der Avenida Bolivar. Wegen der Nahaufnahmen glaubte der Geheimdienst, ich hätte mich ganz nah an ihn herangeschlichen, um die Sicherheitszone auszuspionieren. Dies vor dem Hintergrund des versuchten Drohnen-Bombenanschlags auf ihn vom 4. August. Dabei hatte ich nur von Ferne auf Maduro fokussiert. Und meine Treffen in Kolumbien mit der FARC-Guerilla – als Kommunisten viele Jahre Verbündete Venezuelas – wurden als „Rebellion mit Paramilitärs“ gedeutet.

Verbündete? Wo war dann das Problem?

Six: Das ist eben Venezuela. Warum half mir die Regierung schließlich, das Land zu verlassen, obwohl ein Gericht dies untersagte? Warum monierten sie mein „illegales Bankkonto“, aber sperrten es nicht? Der lokale DGSIM-Chef schlug triumphierend auf den Tisch, als er das „spannende Material“ auf meinem Rechner fand. Er glaubte, einen dicken Fisch an der Angel zu haben. Also ließen sie mich bereits am zweiten Tag vor einem Militärgericht unter anderem wegen Spionage anklagen.

Was hat es mit dem Bankkonto auf sich, über das im Prozeß verhandelt wurde?

Six: Venezuela hat akuten Bargeldmangel. Deshalb nahm ich das Angebot eines Unternehmers an, mit mir zu einer Bank zu gehen, um ein Konto zu eröffnen. Er und der Abteilungsleiter sitzen seit November ebenfalls in Haft. Denn ohne dauerhaften Aufenthaltstitel hätte ich kein Konto eröffnen dürfen. Es existiert jedoch bis heute, auch wenn Fremde sich mittlerweile Zugang verschafft zu haben scheinen.

Welche Verbindung unterstellten man Ihnen zum Drohnen-Attentat auf Maduro?

Six: Ich weiß aus meiner Akte, daß es bereits acht Tage vor meiner Verhaftung einen Ermittlungsvorgang gab. Vermutlich geriet ich wegen meiner kritischen Berichte ins Visier. Sowie wegen meiner scheinbar penetranten Nähe zum Staatschef. Ich war schon einmal nahe dem Präsidentenpalast für zwei Stunden festgenommen worden. Den Drohnen-Attentätern wäre es beinahe gelungen, Maduro zu töten. Es folgten viele Festnahmen und ein Umbau des politischen Geheimdiensts SEBIN. Als sie im Dezember Geld in meiner Zelle fanden, nahmen sie an, dieses habe mir Juan Requesens zugesteckt, den sie als mutmaßlichen Chef-Attentäter des Drohnen-Anschlags verdächtigen und dessen Vater ein Freund des damaligen deutschen Botschafters Daniel Kriener ist. Endgültig verdächtig aber wurde ich wohl, als die Bundesregierung öffentlich die Freilassung Requesens forderte und die Venezolaner vermutlich meine Unterhaltung über das Attentat mit Botschafter Kriener abhörten, der sich für die rund zwanzig inhaftierten mutmaßlichen Tatbeteiligten interessierte.

Das heißt, durch die Interventionen Berlins sind deutsche Staatsbürger in Venezuela inzwischen stärker gefährdet?

Six: Ja, ganz klar. Aber die deutsche Botschaft weigert sich, die spezifischen Reisehinweise anzupassen. Aus Sicht der venezolanischen Führung gilt die Bundesrepublik nämlich neben den USA und Kolumbien als Venezuelas größter Feind. Botschafter Kriener wurde nach seinem Empfang für Ersatzpräsident Juan Guaidó, anders als die Spitzen-Diplomaten zehn anderer Staaten, nur deshalb ausgewiesen, weil die BRD scheinbar schon seit Monaten an Putschversuchen mitwirkt. Man muß wissen, die deutsche Industrie hat traditionell viel in Venezuela investiert. Aber Maduro hat sie vom Privileg ausgeschlossen, die Landeswährung in Devisen zu tauschen. Es fehlt einfach hinten und vorne, und politisch unwichtige Staaten wie Deutschland fliegen als erste raus. Seitdem verdienen Siemens, Linde oder Lufthansa in Venezuela nur noch Bolivares, und die sind international nichts wert. Deshalb hat Berlin erhöhtes Interesse an Maduros Abgang, und deshalb auch die rasche Anerkennung von Übergangspräsident Guaidó. Es ist also nicht so, wie es uns gerne verkauft wird, daß es „nur um Demokratie und Menschenrechte“ gehe.

Dann zielte Ihre Verhaftung gar nicht darauf, Sie als Journalisten mundtot zu machen, sondern war sogar nachvollziehbar?

Six: Sowohl als auch. Die Venezolaner gehen grundsätzlich davon aus, jeder Reporter könnte ein verkappter Agent sein. Ich habe die deutsche Botschaft darüber informiert, aber sie hat die konkrete Bedrohungslage für Journalisten nur dezent und unzureichend angepaßt. Und tatsächlich erhob die Militärstaatsanwaltschaft am 18. November ganz offiziell Anklage gegen mich: wegen „Spionage“ (Fotos von Fabriken und der Militärparade), „Rebellion“ (Treffen mit der FARC) und „Verletzung von Sicherheitszonen“ (Nahaufnahmen von Maduro), die ich als Agent des BND – davon gingen sie aus – gemacht hätte.

Wurden Sie bedroht oder geschlagen?

Six: Nein, das Verhör war hart, ich war angekettet, aber es blieb im Rahmen. Allerdings hätten sie erkennen müssen, daß sie sich Unfug zusammenreimten.

Wie können Sie da so sicher sein?

Six: Bereits am zweiten Tag übergab mich der Militärgeheimdienst DGSIM auf Beschluß des Militär-Tribunals an den politischen Geheimdienst SEBIN – dort hieß es, mein Fall sei „lächerlich“. Ich konnte ohne Handschellen im Ermittlungsraum warten – ebenfalls während des Transports Richtung Caracas. Gegen mein Versprechen, mich anständig zu benehmen, gingen sie mit „00Six – James Bond de Alemania“ in ein Lokal für ein ordentliches Frühstück. Als wir später das Helicoide erreichten, dann wieder mit Handschellen, kam dessen Vize-Direktor, um mich zu begrüßen, wobei er erwähnte, daß man mich „leider“ festhalten müsse. In den folgenden Tagen hörte ich immer wieder, daß ich gar nicht eingesperrt gehöre. Sowie den Hinweis, ich sei ja nun mal quasi eine Altlast des DGSIM. Noch im Dezember konnte ich mit den Wärtern fast jeden Tag Schach spielen, einmal sogar, auf meinen Wunsch, mit Andrea, einer wunderschönen Mitgefangenen.  

Warum kamen Sie nicht frei, wenn selbst der SEBIN Sie für unschuldig hielt?

Six: Das AA in Berlin hat mich durch seinen ausbleibenden Protest gegen die Verhaftung und seine Forderung nach einem „fairen Prozeß“ verdächtig gemacht. Außerdem muß man sich aus dem Spinnennetz eines solchen Verfahrens erstmal befreien. Meine Lage sollte sich bis Ende Februar vorerst verschlechtern.

Am 21. März wurde Ihr Fall auf Antrag der AfD in einer Aktuellen Stunde im Bundestag behandelt. Politiker der Linken und anderer Parteien sprachen Ihnen erneut ab, Journalist zu sein, schließlich waren Sie nicht akkreditiert. Warum nicht?

Six: So leicht gibt es da keine Akkreditierung, zumal als freier Journalist. Die wollen keine Reporter, die über die miserable Lage im Land berichten – zumal aus den drei Top-Feindstaaten. Eine Ausnahme machten sie zu den Wahlen im Mai. Dennoch hatte ich für eine dauerhafte Akkreditierung die Unterstützung der deutschen Botschaft gesucht. Auskunft auch dort: aussichtslos. Sowie: Es sei im Grunde egal, weil das in Venezuela sowieso keinen interessiere. Schlimmstenfalls drohe eine Ausweisung wegen Verstoßes gegen Arbeitsbestimmungen. Will man als Journalist etwas herausfinden, kann man nicht warten, bis man überall grünes Licht hat. Ein Günter Wallraff verschweigt seine Tätigkeit sogar ganz und wird für diesen Journalismus gefeiert! Wollen wir ernsthaft auf Berichterstattung aus formalen Gründen verzichten?

Warum waren Sie überhaupt in Venezuela?

Six: Es ging mir um drei Fragen: Erstens, funktioniert der Sozialismus? Zweitens, woher kommen die Probleme: Sind sie hausgemacht oder, wie Maduro sagt, Folge ausländischer Subversion? Drittens, welche Darstellung Venezuelas entspricht der Realität: Die der etablierten oder der alternativen Medien?

Und welche ist es?

Six: Beider Darstellung geht an der Realität vorbei, weil beide ihrem Wunsch-Narrativ folgen.

Zum Beispiel?

Six: Die Etablierten etwa konzentrieren sich selektiv auf die Menschenrechtslage.

Was daran verfehlt die Realität?

Six: Von allen Problemen Venezuelas ist dieses Thema am wenigsten wichtig.

Was meinen Sie?

Six: Die staatlichen Menschenrechtsverletzungen nehmen in der Berichterstattung unserer etablierten Medien großen Raum ein. Doch im Alltag der Venezolaner spielen sie bestenfalls eine Nebenrolle. Die Etablierten bilden in ihrer Berichterstattung also mehr die eigene soziale Interessenlage ab als die des Landes. Dabei ist es Aufgabe von Auslandsberichterstattung, das zu vermitteln, was Menschen anderer Länder und Kulturen tatsächlich bewegt. Damit will ich nicht sagen, daß Folter und Mord nicht passieren. Doch das gibt es auch in anderen Ländern der Region. Es ist nichts, was Venezuela speziell macht. Und die Zahl der Betroffenen ist gering.

Aber Sie hätten dem Regime doch selbst zum Opfer fallen können.

Six: Das ändert aber nicht die Tatsachen.

Haben Sie Beweise dafür, daß die Bundesregierung Sie „verrecken lassen“ wollte?

Six: Sie hat nie gegen meine Verhaftung protestiert und nie meine Freilassung gefordert. Im Gegenteil: Sie forderte einen Prozeß und „konsularische Betreuung“, wie für jeden Verbrecher. Deshalb bin ich nicht sofort freigekommen wie all die anderen ausländischen Journalisten, etwa aus den USA, Frankreich, Spanien, Chile und Kolumbien. Der unverhohlene Einsatz Berlins für den mutmaßlichen Attentäter Requesens hat meine Lage dann zusätzlich verschlimmert.   

Wie war Ihre „konsularische Betreuung“?

Six: Am Anfang war ich noch euphorisch, dann häuften sich die Enttäuschungen. Zum Beispiel wurden beim ersten Besuch Fotos von mir gemacht, um diese meinen Eltern zu schicken. Zwei Monate später sagte die Chefin der Rechts- und Konsularabteilung kleinlaut, Botschafter Kriener selbst habe die Weitergabe untersagt.  

Warum sollte er das getan haben?

Six: Das öffentliche Interesse an meinem Fall, das er offenbar vermeiden wollte, wäre sofort spürbar gestiegen. Wie schließlich ein später gemachtes Foto von mir, das im März publiziert wurde, bewies. Da war Kriener schon weg.

Warum hat die Botschaft Sie eigentlich erst fast zwei Monate nach Ihrer Verhaftung erstmals besucht? Ist das so üblich?

Six: Überhaupt nicht. Schon im Dezember sagte mir ein „Comisario“, daß die Botschaft gerne kommen könne, aber nicht danach frage. Schließlich, so der Gefängnisdirektor, habe er Botschafter Kriener eingeladen, mich zu treffen.

Gibt es dafür Beweise? Vielleicht hat er Sie mit dieser Behauptung ja angelogen.

Six: Wenn es nicht stimmt, warum dementiert die Botschaft diese Behauptung nicht? Warum legt sie nicht die Verbalnoten vor, mit denen sie sich um den Besuch bemüht haben will?

Die Botschaft verweist auf Ihre „intensive konsularische Betreuung“, zu Unrecht?

Six: Ich sage nicht, daß sie nichts getan haben, aber das war alles pro forma. In den wichtigen Fragen hat die Botschaft Hilfe unterlassen! Meine Eltern baten sie etwa, mir dringend benötigte Medizin gegen die Folgen meines Dengue-Fiebers ins Gefängnis zu bringen – ihre Antwort: das lasse der SEBIN nicht zu. Nun raten Sie, wer mir schließlich die Arznei beschafft hat? Eine venezolanische Menschenrechtsorganisation! Die hat sie einfach am Gefängnistor abgegeben. Und was noch fehlte, hat SEBIN selbst für mich gekauft! Verstehen Sie nun, warum ich jedes Vertrauen verloren habe? Die Botschaft sagte auch, sie könnte mir keinen Anwalt besorgen – und es würde sich ganz sicher auch keiner finden. Meine Eltern, die kein Wort Spanisch sprechen, keine Erfahrung mit so etwas haben, 10.000 Kilometer entfernt und noch nie in Venezuela waren, besorgten mir aber gleich zwei Anwälte – und das sogar kostenfrei! Und noch schlimmer: Entscheidend für meine Verteidigung war, zu beweisen, daß ich Journalist bin. Also brauchte ich dringend Artikel von und über mich. Ganz wichtig war die Reportage über meinen Besuch bei der FARC, die die JF im Sommer abgedruckt hatte. Ich bat die Botschaft, mir all dies zu besorgen, was sie auch zusagte – aber nie umsetzte! Und Sie, Herr Schwarz, wissen selbst, daß meine Eltern schließlich Sie darum gebeten haben, mir die entsprechende JF-Ausgabe zukommen zu lassen, und zwar über den Kurierdienst des Auswärtigen Amtes, weil der Versuch per DHL gescheitert war. Und Ihnen die Botschaft zudem schrieb, daß der Postweg wegen der Lage des Landes derzeit aussichtslos sei. Und Sie selbst haben meinen Eltern schließlich die schriftliche Antwort des Auswärtigen Amtes zugeleitet, in der dieses die Hilfe seines Kurierdienstes verweigerte!

Zwischen „im Stich lassen“ und „verrecken lassen wollen“ ist aber ein Unterschied.

Six: Am 7. Januar forderte die Bundesregierung wie gesagt die Freilassung Juan Requesens. Ich habe ihn im Helicoide übrigens persönlich kennengelernt, im Dezember öfter mit ihm gesprochen. Er mußte über sechs Monate auf seinen Prozeß warten, was gegen das Gesetz ist. Ich kann nicht sagen, ob sie ihm das Drohnenattentat zu Recht anlasten oder ob das eine Lüge ist. Jedenfalls gibt es eine offizielle Anklage und ein später widerrufenes Geständnis Requesens. Er ist Venezolaner, kein Deutscher, und ihm wird das Attentat direkt vorgeworfen, für das ich nur gespäht haben soll. Wo ist die Logik, daß Deutschland seine Freilassung öffentlich fordert, meine aber nicht? Zudem: Requesens erzählte mir, daß die deutsche Regierung mehr als jede andere finanzielle und politische Hilfe für ihn leiste. Angela Merkel habe seine Schwester persönlich empfangen. Meinen Eltern dagegen wurde ein Gespräch mit Außenminister Maas oder auch nur einem Staatssekretär verweigert! Der öffentliche Einsatz der Bundesregierung für Requesens war natürlich eine Provokation gegenüber Maduro und fand zwei Tage vor dem anvisierten Besuch des Botschafters bei mir statt. Man hat also eiskalt riskiert, daß die Venezolaner daraufhin unter Umständen mit einer Absage des Botschaftsbesuchs und anderen Sanktionen gegen mich reagieren könnten! Und das haben sie auch: So wurde ich komplett isoliert – nix mehr mit Gemeinschaftsraum! Und dann die Anerkennung Juan Guaidós als Übergangspräsident, die einen absoluten Affront gegenüber der Regierung Maduro darstellte, obwohl diese einen deutschen Staatsbürger in der Hand hatte! Selbst Experten haben darüber den Kopf geschüttelt. Und im Gefängnis haben mich die SEBIN-Leute verwundert gefragt: „Was ist mit deiner Regierung los? Wer bist du? Warum setzen sich andere Journalisten nicht für dich ein?“

Wissen Sie, warum die Bundesregierung sich weigerte, Ihre Freilassung zu fordern?

Six: Nein. Die Regierung schweigt dazu.

Sie wissen allerdings nicht, ob das AA nicht parallel Geheimverhandlungen geführt hat. Vielleicht war es Teil eines „Deals“, auf die Forderung nach Freilassung zu verzichten, um Maduro nicht zu brüskieren.

Six: Gibt es irgendeinen Hinweis dafür? Die Überstellung meines Falls von einem Militär- an ein Zivilgericht haben meine Eltern über wohlwollende hochkarätige Kontakte organisiert. Die deutschen Behörden haben erst Tage danach davon erfahren und waren völlig perplex. Sie waren in den letzten Wochen von allen Informationen abgeschnitten und bestellten deshalb meinen Anwalt ein, um sich auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Und was meinen Sie mit „Maduro nicht brüskieren“ – nach dem, was ich Ihnen eben alles dazu erzählt habe! Die Bundesregierung hat immer wieder darauf verwiesen, daß ich mich einem Verfahren stellen sollte. Zeitgleich erklärte sie öffentlich, daß Venezuela kein Rechtsstaat sei und ohne legitime Regierung. Zudem waren die Vorwürfe gegen mich ja offensichtlich reiner Unfug, selbst SEBIN war anfangs unwillig, die „Reporter ohne Grenzen“ haben diese öffentlich als „lächerlich“ bezeichnet und meine Freilassung gefordert. Die Bundesregierung aber zeigte, daß sie das Verfahren gegen mich respektierte – wodurch der Farce meiner Anklage erst quasi ein seriöser Anstrich gegeben wurde! Andere Staaten haben das nicht mitgemacht, haben von Caracas gefordert, ihre Journalisten sofort freizulassen und hatten damit alle rasch Erfolg! Ja, darunter sogar die USA, Maduros Todfeind Nummer eins – nämlich im Fall Cody Weddle, ein Bekannter von mir, der die Berichterstattung zu meinem Fall in den USA ins Rollen gebracht hatte. Alle diese Journalisten kamen zur gleichen Zeit schnell wieder frei. Mich dagegen hat man schmoren lassen. Was, wenn es in dieser Zeit einen Putsch oder Krieg gegeben hätte, in dessen Wirren wir Insassen des Helicoide alle massakriert worden wären?
Sie sagen, ohne Ihre Eltern wären Sie verloren gewesen.

Warum?  

Six: Meine Eltern haben ihre Arbeit gekündigt, eigentlich für eine Radreise durch Indien. So war es ihnen nun zeitlich möglich, meine Rettung zu organisieren. Ohne sie und die von ihnen auf die Beine gestellte mediale Kampagne säße ich immer noch in Caracas und würde auf meinen Prozeß warten – wer weiß, wie lange! Mit der Botschaft allein wäre ich verloren gewesen. Deshalb auch unsere Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Bundesregierung.

Glauben Sie, damit eine Chance zu haben?

Six: Der Versuch ist eine Pflicht. Entscheidend ist, den Skandal öffentlich zu machen. Und das kann gelingen, denn die Sache geht jeden an, denn jeden kann es einmal treffen! Dazu kommt die jüngste Entwicklung: Während der Aktuellen Stunde im Bundestag hat SPD-Staatsminister Niels Annen gesagt, der deutsche Botschafter habe am 21. November beim venezolanischen Vizeaußenminister „vorgesprochen und gegen die Verhaftung von Herrn Six protestiert“ – obwohl bisher das Gegenteil behauptet wurde. Das belegt eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion sowie ein Brief Außenminister Maas’ an meine Eltern. Hat der Staatsminister des AA also im Bundestag gelogen? Das wäre ein neuer Skandal!

Nun hat allerdings Ihr eigener Anwalt Ihnen in einem Zeitungsinterview widersprochen, was die Hilfe des AA angeht.

Six: Das hat er nicht! Denn ich habe nie behauptet, daß das AA meine Ausreise nicht organisiert hätte. Dazu wurde die Botschaft von den venezolanischen Behörden aufgefordert. Die Aussagen meines Anwalts werden einfach fehlinterpretiert und zwar von Journalisten, die unwillig sind, unsere konkreten Vorwürfe gegen das AA – die wir auf unsere Facebook-Seite FreeBillySix gestellt haben – richtig zu lesen. Und die trotz unserer Anrufe nicht merken wollen, daß es gar keinen Widerspruch gibt. Sie schreiben eine Pressemeldung, in der sie behaupten: „Anwalt widerspricht“ Quatsch! Fake-News! Die Verfasserin, die Tagesspiegel-Journalistin Madlen Haarbach, hatte übrigens nach meiner Freilassung mit meinem Anwalt gar keinen Kontakt. Wie zufällig schaffte es dieser Einzelbericht dennoch in die Aktuelle Stunde des Bundestags – wo er von Rednern der etablierten Parteien als „Beweis“ gegen mich angeführt wurde.

Wie verlief Ihre Ausreise tatsächlich?

Six: Von „intensiver Betreuung“ habe ich offenbar eine andere Vorstellung als das AA. Den „Samstag versaut“, „Fußballspiel verpaßt“, „keine Entspannung auf der Veranda“, das waren die mir gegenüber unverhohlen geäußerten Kommentare der Botschaftsangestellten, die völlig überrumpelt, ja geradezu schockiert schienen, mich zu sehen. Sie sind ihrer Minimal-Pflicht gegenüber dem Staat Venezuela nachgekommen. Dem Paß, den sie mir neu ausstellten, fehlte der Einreisestempel: In Venezuela ein Grund, sofort erneut verhaftet zu werden! Es war die Parlamentsabgeordnete Delsa Solozano, nicht Angehörige der Botschaft, die mich sicher ins Flugzeug brachte und bis Frankfurt begleitet hat.

Das AA bestätigt Lawrows Rolle bei Ihrer Befreiung nicht. Warum nicht?

Six: Das AA weiß gar nichts, meine gesamte Befreiung lief ohne und gegen sie. Die Bestätigung aus Moskau gibt es. Die Russen sind Verbündete Venezuelas und verhelfen einem deutschen Staatsbürger – dessen Staat der Gegner ihres Verbündeten ist – zur Freiheit. Und das AA dankt es ihnen nicht einmal. Es ist nicht zu fassen!

Nun reklamiert die AfD Ihre Befreiung für sich. Werden Sie politisch vereinnahmt?

Six: Meine Eltern hatten alle Abgeordneten des Bundestags angeschrieben. Davon haben aber, ohne AfD, nur 35 der übrigen Parteien reagiert. Jedoch haben diese sich „nur“ ans AA gewandt. Nur zwei haben direkt in Venezuela interveniert: der CDU-Abgeordnete Martin Patzelt und einer der Linken, der aber offenbar seinen Namen nicht genannt wissen will. Außerdem haben sich der CDU-Abgeordnete Hans-Jürgen Irmer und der Linke Andrej Hunko für die Verbesserung meiner Situation ausgesprochen. Ansonsten war es unter den Parteien nun mal nur die AfD, die sich für meine Freilassung eingesetzt hat. Dafür bin ich sehr dankbar! Und sehr gerne wäre ich SPD, FDP, Grünen, Union oder Linken als Ganzes ebenso dankbar – leider aber habe ich keinen Grund dazu. Meine Eltern, die AfD und auch Deniz Yücel waren im Dezember der Meinung, es sei wichtig, eine breite Koalition für meine Befreiung aufzubauen, um dem Vorwurf einer „politischen Instrumentalisierung“ zu entgehen. Doch die etablierten Parteien und System-Medien wollten nicht. Die sich verschärfende Lage in Venezuela veranlaßte meine Eltern, die AfD um den Alleingang zu bitten. Anders also als für das AA stand für die AfD mein Schicksal, das Leben eines Menschen, im Mittelpunkt!





Billy Six befand sich vom 17. November 2018 bis 16. März 2019 in den Händen venezolanischer Geheimdienste und kehrte nach 119 Tagen Haft am 19. März nach Deutschland zurück. Der Journalist, geboren 1986 in Berlin, berichtete bereits aus diversen Krisen- und Kriegsgebieten, darunter Libyen, Syrien und die Ukraine. 2014 erschien sein Buch „Marsch ins Ungewisse“, für das Peter Scholl-Latour ein Vorwort schrieb. 


Fotos: Venezolaner demonstrieren Mitte März gegen Maduro: „Die etablierten Medien bilden in der Auslandsberichterstattung mehr ihre eigene soziale Interessenlage ab als die des Landes“

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