© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Ruhig Blut bewahren
Debatte: Krankenkassen könnten Pränataltest bezahlen / Lebensschützer warnen
Sandro Serafin


Ein Piks, die Abnahme weniger Milliliter Blut und wenige Tage später weiß die Schwangere Be-scheid: Seit 2012 sind in Deutschland „nicht-invasive Pränataltests“ (NIPT) auf dem Markt, mit denen sich ab der 10. Schwangerschaftswoche über das Mutterblut mit einer hohen Wahrscheinlichkeit herausfinden läßt, ob ein Ungeborenes eine Genmutation etwa in Form einer Trisomie 21 („Down-Syndrom“) aufweist.

Bisher mußten Schwangere den mindestens 129 Euro teuren Test selbst bezahlen. Nach dem Willen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) soll sich das nun ändern. Am Freitag beschloß das Gremium vorläufig, daß die Kassen die Kosten in Zukunft übernehmen müssen – zumindest bei Schwangerschaften mit „besonderen Risiken“. Zur Begründung verweist der G-BA auf die hohe Testgüte des Bluttests bei Risikoschwangeren. Zudem birgt der Test nicht die Gefahr einer Fehlgeburt, wie es bei bis zu einem Prozent der „invasiven“ Pränataluntersuchungen, etwa der Fruchtwasseruntersuchung, der Fall ist.

Vor allem Behindertenverbänden bereitet jedoch genau das Bauchschmerzen. Weil der Bluttest so unkompliziert ist, könnten alle Schwangeren ihn zukünftig standardmäßig in Anspruch nehmen, warnen die Kritiker. Laut dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) würden in diesem Fall „fast alle“ Föten mit Trisomie 21 identifiziert. Dann könnte es bald keine Menschen mehr mit Down-Syndrom geben, so die Befürchtung. Denn Schätzungen zufolge werden neun von zehn Babys mit Trisomie 21 abgetrieben, wenn die Eltern von der Behinderung wissen.

Dieser Sorge versucht der G-BA entgegenzutreten. Dem Ausschuß gehe es nicht „um eine Reihenuntersuchung aller Schwangeren“, betonte der Vorsitzende Josef Hecken. Auch ein „ausschließlich statistisch begründetes Risiko für eine Trisomie“, etwa ein hohes Alter, reiche für eine Kostenübernahme noch nicht aus. Ansonsten bleibt der G-BA jedoch bezüglich des Anwendungskreises schwammig. Eine „Risikoschwelle“, bei deren Überschreitung die Kosten übernommen werden sollen, wird ausdrücklich nicht definiert. Dennoch halten Vertreter der Evangelischen Kirche und des Bundesverbands Lebenshilfe, darunter die Vorsitzende und ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), diesen Mittelweg für gangbar. Es könne nicht sein, „daß nur Wohlhabende sich die sichere Untersuchung leisten können“, so Schmidt schon 2015.

„Schritt zur Vermessung   des Menschen“

Andere lehnen die Kostenübernahme indes ganz ab: Hier gehe es um eine „selektive Fahndung“ ohne therapeutischen Nutzen, kritisierte ein Bündnis bereits 2017. Pränataltests stellten Behinderungen grundsätzlich als „vermeidungswürdig“ dar. Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer warnt davor, daß sich der Druck erhöhen könnte, „ein ‘perfektes’ Kind zu gebären“. Eltern, die sich für ein behindertes Kind oder gar von vornherein gegen einen Test entscheiden, könnten in Erklärungsnot geraten. Und auch wenn die Kosten zunächst nur bei Risikoschwangeren erstattet würden, sei zu erwarten, daß der Test „letztlich als Regelleistung für alle Schwangeren etabliert wird“, warnten Rüffer und drei weitere Abgeordnete schon 2016 in einem Brief an den G-BA.

Spätestens bei einer Massenanwendung täten sich aber große Probleme auf. Ärzte warnen, daß Schwangere dann nur noch auf den Bluttest zurückgreifen könnten, der aber nichts über behan-delbare Krankheiten des Ungeborenen aussagt. Außerdem sind laut IQWiG bei einer flächendeckenden Anwendung rund 17 Prozent der positiven Ergebnisse fälschlicherweise positiv. Frauen könnten sich übereilt für einen Abbruch entscheiden, ohne eine richtige Diagnose durch eine invasive Methode eingeholt zu haben. Denn die ist erst nach der 12-Wochen-Frist möglich, in der Abtreibungen straffrei gestellt sind. Deshalb hatte die Patientenvertretung im G-BA schon vor der jetzigen Entscheidung vergebens eine Kostenerstattung erst nach der 12. Woche gefordert.

Grundsätzlich steht in Frage, ob der G-BA die ethische Dimension angemessen berücksichtigt hat: Der Ausschuß prüft neue ärztliche Methoden vor allem auf ihren „Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit“. Deshalb hatte der Ausschußvorsitzende selbst den Bundestag schon 2016 nachdrücklich aufgefordert, sich der Frage ebenfalls anzunehmen. Im vergangenen Jahr dann nahmen über hundert Abgeordnete verschiedener Fraktionen kritisch zu dem Thema Stellung.

In der zweiten Aprilwoche soll es im Bundestag eine „Orientierungsdebatte“ geben. Auf die Entscheidung zum Bluttest werden die Parlamentarier wohl keinen Einfluß mehr nehmen können. Nach einem Stellungnahmeverfahren will der G-BA voraussichtlich im August endgültig über die Kostenübernahme entscheiden. Die Abgeordneten aber werden ganz grundsätzliche Fragen zur Gendiagnostik klären müssen. Im November vergangenen Jahres zeichnete das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ein Schreckensszenario: „Die immer leistungsfähigeren Tests werden ein Schritt hin zur Vermessung des Menschen sein, wobei der Maßstab nicht die Menschenwürde, sondern das Vorhandensein erwünschter Eigenschaften oder die Nützlichkeit ist.“