© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Prinzip Hoffnung
Christian Vollradt


Ende nächster Woche soll es endlich klappen: Mariana Harder-Kühnel wird zum dritten Mal als Kandidatin der AfD für das Amt einer Vizepräsidentin des Bundestags antreten. Zweimal war die Abgeordnete gescheitert, zuletzt am 13. Dezember vergangenen Jahres. Da hatten in geheimer Wahl 241 Abgeordnete für und 377 gegen die Kandidatin gestimmt (bei 41 Enthaltungen). Erforderlich wären mindestens 355 Stimmen gewesen.

Das Präsidium des Parlaments ist damit auch anderthalb Jahre nach der Bundestagswahl noch immer nicht der Geschäftsordnung gemäß besetzt (JF 7/19). Denn die besagt: „Jede Fraktion des Deutschen Bundestages ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten.“ Fünf – erfolglose – Anläufe hatte die AfD insgesamt unternommen; ihr erster Kandidat Albrecht Glaser erhielt in drei Wahlgängen keine Mehrheit, einen vierten Versuch verwehrte der Ältestenrat. Gegen den 77jährigen Hessen hatte man seitens der anderen Fraktionen ins Feld geführt, er habe mit seiner Äußerung, der Islam sei eine politische Ideologie und keine Religion, faktisch die Bekenntnisfreiheit für Muslime in Abrede gestellt.

Solche oder ähnliche Vorbehalte gegen Frau Harder-Kühnel persönlich gibt es offenbar nicht. Im Gegenteil hört man zumindest aus Kreisen der Union sogar durchaus anerkennende Worte über die familienpolitische Sprecherin der AfD. Bernd Baumann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, bestätigte vor Journalisten, wonach Gespräche mit Vertretern aller Fraktionen (bis auf die Linke) im Vorfeld „nicht den geringsten Punkt der Kritik an der Person von Harder-Kühnel“ ergeben hätten. Übereinstimmend heißt es bei Union, FDP und Grünen, man gebe keine Empfehlung, die Kandidatin abzulehnen. Immerhin sind im dritten Wahlgang die Hürden auch niedriger. Diesmal würde es ausreichen, wenn die 44jährige Juristin mehr Für- als Gegenstimmen erhielte. Die Enthaltungen „zählen“ nicht. Wer also einerseits der AfD endlich den ihr zustehenden Vize-Präsidenten ermöglichen möchte, andererseits aber Skrupel hat, jemanden von der AfD zu wählen, könnte sich enthalten.

Ob es klappt, ist schwer vorherzusagen. Mit der Wahl Harder-Kühnels wäre einerseits jemand im Präsidium, dem die meisten Abgeordneten eine neutrale Sitzungsleitung zweifelsohne zutrauen; zugleich wäre die AfD in diesem wichtigen Gremium nicht mehr unfair ausgegrenzt. Der häufig unterstellte Märtyrereffekt entfiele so. Während sich die Kandidatin selbst zuversichtlich äußerte, überwiegt bei einigen ihrer Fraktionskollegen die Skepsis. Sollte es auch beim dritten Versuch nicht klappen, kündigte die AfD den Gang nach Karlsruhe an. Außerdem im Köcher: die Drohung, künftig in jeder Sitzungswoche einen neuen Kandidaten zu präsentieren und so den Betrieb des Bundestags mit immer neuen Wahlgängen künstlich ins Stocken zu bringen.
Doch das würde mit Sicherheit eine nächste Eskalationsstufe nach sich ziehen. Die Gegenseite könnte ihrerseits die Geschäftsordnung des Bundestags ändern. Mit einfacher Mehrheit.