© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Dit is Berlin
Rot-Rot-Grün: Der Senat wirtschaftet die Hauptstadt kontinuierlich herunter / Initiative fordert Enteignung von Wohnungsunternehmen
Peter Möller


Die Meldung war für die Berliner Landespolitik ein Schock. Die Ratingagentur Moody’s warnte davor, daß die Kreditwürdigkeit Berlins herabgestuft werden könnte. Anlaß ist die anhaltende Diskussion in der Hauptstadt um die mögliche Enteignung von Wohnungskonzernen. Im April beginnt ein von einer Initiative gestartetes Volksbegehren, das zum Ziel hat, Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in der Hauptstadt besitzen, zu vergesellschaften.
Da das Grundgesetz entschädigungslose Enteignungen verbietet, würde ein Erfolg des Volksbegehrens das klamme Berlin teuer zu stehen kommen. Die Senatsverwaltung schätzt die Kosten für die dann fälligen Entschädigungen bei 240.000 betroffenen Wohnungen auf bis zu 36 Milliarden Euro. „Die Entschädigung würde Berlins Verschuldung auf einen Schlag in die Höhe treiben und den Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung entgegenwirken, die das Land in den letzten Jahren geleistet hat“, warnte Moody’s-Analyst Harald Sperlein im Tagesspiegel.

Der öffentliche Raum verwahrlost zunehmend

Dennoch wird die Enteignungs-Initiative von der mitregierenden Linkspartei nach Kräften befeuert und von den Grünen mit Wohlwollen begleitet. Lediglich die Verantwortlichen der SPD lehnen die Initiative ab – wenn auch sehr zurückhaltend. Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) warnte in der vergangenen Woche als Reaktion auf die Mitteilung von Moody’s eher pflichtschuldig vor Enteignungen. „Diese Politik mache ich mir nicht zu eigen.“ Ähnlich vorsichtig hatte sich Ende Februar auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) geäußert. „Das ist nicht mein Weg und nicht meine Politik“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ein flammendes Plädoyer gegen Enteignungen klingt anders.
Um so deutlicher meldete sich nach der Warnung von Moody’s die Wirtschaft zu Wort. „Die Überlegung an den Finanzmärkten, Berlins Kreditwürdigkeit herabzustufen, muß dem Senat eine deutliche Warnung sein“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, Christian Amsinck, dem Tagesspiegel. „Dies würde bedeuten, daß das Land in Zukunft deutlich höhere Zinsen für neu aufgenommene Kredite zahlen müßte.“ Er verwies darauf, daß der Senat derzeit Milliarden-Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr, für den Schulbau, für die Rekommunalisierung der Energienetze, für den Rückkauf von Wohnungen im großen Stil oder für Entschädigungen nach Enteignungen plane.
Das fahrlässige Agieren der Senatsspitze in der Frage der Enteignungen ist nur ein besonders eklatantes Beispiel für einen fatalen Trend in der Berliner Landespolitik: Die Stadt wird vom rot-rot-grünen Regierungsbündnis, das einst als Vorbild für eine deutschlandweite Linksregierung gepriesen wurde, sehenden Auges immer tiefer in die Krise geführt. Das fängt beim Versagen im Kampf gegen Wohnungsnot und explodierende Mieten an und hört beim immer verbissener geführten Kampf gegen den Individualverkehr oder der zunehmenden Verwahrlosung des öffentlichen Raums und ganzer Stadtviertel noch lange nicht auf. Der rot-rot-grüne Senat betreibt immer offener eine Politik, die sich nicht am Nutzen für die Stadt als Ganzes orientiert, sondern knallharte ideologiegetriebene Klientelpolitik.Beispiel Wohnungsnot: Obwohl in Berlin, das jährlich um rund 40.000 Einwohner wächst, immer mehr Wohnungen fehlen, bekommt die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher (Linke), die Krise nicht in den Griff. Es wird einfach zuwenig und zu langsam gebaut. Das hat mehrere Gründe: Vor allem will Lompscher der eigenen linken Klientel nicht auf die Füße treten. Und so scheitern sogenannte „Nachverdichtungen“ von Stadtraum nicht selten am Widerstand und dem Protest linker Initiativen, die ihre „Freiräume“ bedroht sehen und durch die neuen Nachbarn eine Gentrifizierung, also Aufwertung ihres Kiezes befürchten. Erst jüngst verhinderte in Charlottenburg der dortige Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) den Bau von 1.100 Wohnungen. Auf dem dafür vorgesehenen Grundstück soll stattdessen eine Grünanlage entstehen.

Dieser weitverbreiteten Abwehrhaltung im linken Milieu ist es auch zu verdanken, daß sich niemand im Senat traut, zumindest den Rand des riesigen Tempelhofer Felds mit dringend benötigten Wohnungen zu bebauen, seitdem 2014 durch ein erfolgreiches Volksbegehren eine Bebauung des 380 Hektar großen Areals vorerst verhindert wurde. Das Gelände selbst ist auch mehr als zehn Jahre nach dem Ende des Flugbetriebes wenig mehr als ein Flughafen ohne Flugzeuge. Die Berliner Politik hat es nicht einmal geschafft, aus der weitgehend baumlosen, windigen Freifläche, die größer als der Berliner Tiergarten ist, einen ansprechenden Park zu machen.

Dafür hat der Senat nun die Berliner Kleingärten ins Visier genommen, um an Bauland zu kommen. Ab 2020 müssen voraussichtlich 15 Kleingartenkolonien mit rund 1.400 Parzellen verschwinden, um Platz für Bauvorhaben zu schaffen. Unter den verunsicherten Kleingärtnern herrscht bereits große Aufregung, da noch nicht klar ist, welche Gärten letztendlich betroffen sein werden. Vermutlich erwartet der Senat von den Kleingärtnern weniger Widerstand als von den gut organisierten und kampferprobten „Aktivisten“ und Initiativen in den einschlägigen Stadtteilen.

Keine Einigkeit in der Opposition

Besonders deutlich wird der Niedergang der Stadt unter ot-Rot-Grün (ode rauch „r2g“) auch im Öffentlichen Nahverkehr. Während Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos) Anfang März unumwunden verkündete, ihr Ziel sei die Abschaffung des Autos, hat sich die Nutzung von Bussen sowie S- und U-Bahnen zu einem ständigen Ärgernis entwickelt. Vor allem das U-Bahnnetz leidet zunehmend unter Mißwirtschaft. Immer häufiger fallen Züge aufgrund von technischen Mängeln oder Vandalismus aus, was zu Verspätungen und überfüllten U-Bahnen führt. Gleichzeitig breitet sich die Drogen- und Obdachlosenszene in vielen U-Bahnhöfen ungehindert aus und durchstreifen übelriechende Bettler die Züge.

Diese Entwicklungen haben nicht erst 2016 mit der Bildung des rot-rot-grünen Senats begonnen. Der Pannenflughafen BER, der ursprünglich 2012 eröffnet werden sollte, ist dafür ein eindrückliches Beispiel. Doch unter r2g hat sich das Tempo des Niedergangs noch einmal verschärft, selbst wenn man dem Linksbündnis die Stromausfälle, von denen mehrere Stadtteile in den vergangenen Wochen heimgesucht wurden, nicht zurechnet. Das jüngste Beispiel für eine an gesellschaftlichen Randgruppen ausgerichtete Politik, die am Bedarf der Gesamtbevölkerung vorbeigeht, lieferte dieser Tage Justizsenator Dirk Behrendt. Der Grünen-Politiker will 7,3 Millionen Euro bereitstellen, um 1.200 der rund 4.600 Berliner Haftplätze mit Tablets und W-LAN zu versorgen, berichtet die B.Z.

Viele Berliner, von denen gut 17 Prozent staatliche Leistungen beziehen, scheinen dennoch zufrieden zu sein. Die Regierungsparteien liegen in der jüngsten Forsa-Umfrage zusammen bei 57 Prozent. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2016 hatten sich 52,4 Prozent der Wähler für Rot-Rot-Grün ausgesprochen. Allerdings gibt es innerhalb des Bündnisses interessante Verschiebungen: Auch in Berlin hat die SPD wie auf Bundesebene massiv verloren und liegt nun hinter den Grünen und der Linkspartei nur noch auf Platz drei. Von den drei bürgerlichen Parteien CDU, FDP und AfD, die sich auf keine gemeinsame Oppositionslinie einigen können, geht für den Linksblock derzeit übrigens keinerlei Gefahr aus.


Volksbegehren zur Enteignung

Die Berliner Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ will am 6. April ein Volksbegehren mit dem Ziel starten, Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen „zu vergesellschaften“. Für einen entsprechenden Antrag sind mindestens 20.000 gültige Unterstützungsunterschriften erforderlich. Wird der Antrag für zulässig befunden, hat ein Volksbegehren Erfolg, wenn mindestens sieben Prozent der zum Abgeordnetenhaus Wahlberechtigten (derzeit ca. 170.000) innerhalb der viermonatigen Eintragungsfrist zugestimmt haben. Der börsennotierten Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen AG, einer Tochter der Deutschen Bank, gehören in Berlin 111.000 Wohnungen. Sie besitzt damit den größten privaten Bestand der Stadt. Die meisten Berliner Immobilien des Unternehmens (95.000 Wohnungen) waren zuvor in Landesbesitz. Ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Helge Sodan (Freie Universität) im Auftrag der Berliner Wohnungswirtschaft kommt zum Ergebnis, daß eine Enteignung von Wohnungsunternehmen gegen Grundgesetz und Landesverfassung verstoßen würde.