© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Alles auf eine Karte gesetzt
Autoindustrie: VW investiert Milliarden in E-Autos und fordert Verkaufshilfe durch den Steuerzahler
Paul Leonhard


Volkswagen fuhr immer im Zeitgeist: Der Kübelwagen machte Wehrmacht und SS, Käfer und Bulli das Wirtschaftswunder mobil. Der vor 45 Jahren präsentierte Golf ist das meistgebaute Kompaktmodell der Welt. Dank Pionierinvestitionen in Brasilien, Mexiko, China und dem einstigen Ostblock sowie mit zwölf Marken (von Audi über MAN und Porsche bis Škoda) ist der Konzern mit elf Millionen Fahrzeugen (2018) vor Nissan-Renault-Mitsu­bishi (10,5 Millionen) und Toyota (10,3 Millionen) der größte Autohersteller der Welt. Trotz Dieselskandals waren drei Konzernmodelle (Tiguan, Jetta und Audi Q5) voriges Jahr die meistverkauften deutschen Autos in den USA. Und ein Grünen-Schreck, der Deutschland vorenthaltene Fünf-Meter-SUV Atlas, steigerte seinen US-Absatz um 120 Prozent.

44 Milliarden Euro für politische Modethemen

Bei 235,8 Milliarden Euro Umsatz legte das Ergebnis nach Steuern von 13,7 auf 15,6 Milliarden Euro zu – trotz 25 Milliarden Euro teurer Strafzahlungen allein in den USA. In Deutschland stieg die Mitarbeiterzahl voriges Jahr um 1,8 Prozent auf 292.729 und im Ausland um 4,8 Prozent auf 371.767. Doch diese Erfolgsgeschichte ist bedroht. Daß der Konzern mit automatisierten Routinearbeiten, Materialeinsparungen und einer geringeren Modellvielfalt ab 2023 die Herstellungskosten in Deutschland um jährlich 5,9 Milliarden Euro senken will, ist angesichts profitablerer Konkurrenten wie Toyota nachvollziehbar.

Doch der Klima-Zeitgeist verteuert Autos und macht sie für viele unbezahlbar: Heute ist ein Polo für 14.000 Euro zu haben, künftig wird ein vergleichbares Modell 20.000 Euro kosten. Denn die EU hat mit Zustimmung der Bundesregierung die CO2-Grenzwerte verschärft. Bei Nichteinhaltung drohen Brüsseler Strafzahlungen (JF 5/19). Hinzu kommt die Abgasreinigung bezüglich Stickoxid, Feinstaub & Co.: Diesel würden im Schnitt 2.000 bis 2.500 Euro teurer, Benziner um 1.000 bis 1.500 Euro, sagte Konzernvertriebsleiter Christian Dahlheim in der Automobilwoche.

Doch das ist nicht alles: Für Elektromobilität, Digitalisierung und das Modethema Mobilitätsdienste (Car-Sharing, automatisiertes Fahren, Flugtaxi & Co.) sollen bis 2023 44 Milliarden Euro ausgegeben werden. Das Zwickauer VW-Werk wird derzeit für 1,2 Milliarden Euro von der Golf Variant- auf E-Auto-Produktion umgerüstet. Die 7.700 Beschäftigten werden umgeschult. Mehr als tausend sollen einen „Hochvolt-Führerschein“ bekommen, denn das gefährlichste an E-Mobilen ist die potentielle Brandgefahr der Akkus. 22 Millionen E-Autos will VW im kommenden Jahrzehnt bauen. Ihr Anteil in der Flotte soll bis 2030 auf mindestens 40 Prozent steigen – doch wer soll sie kaufen? Ein e-Golf, der mit einer Akkuladung im Winter kaum von Wolfsburg nach Berlin kommt, kostet 35.900 Euro. Der bis zu 3,1 Tonnen schwere SUV Audi e-tron ist mit 81.350 Euro zwar billiger als ein Tesla X, doch die Reichweite von 417 Kilometern ist EU-Theorie nach WLTP-Norm. Der ID Neo in Golf-Größe für 30.000 Euro hat eine Phantasiereichweite von 330 Kilometern – denn wie Nissan mit dem Leaf zeigt: Die Physik läßt sich nicht überlisten.

„Das schlimmste Szenario wäre, die Unternehmen stellen auf Elektromobilität um, und die Kunden kaufen keine Elektroautos“, warnte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann im Spiegel. Der mit Jeeps und riesigen Ram-Pickups zur globalen Nummer acht (Absatz 2018: knapp fünf Millionen) aufgestiegene Fiat-Chrysler-Konzern (FCA) kalkuliert daher lieber die CO2-Strafzahlungen ein als Milliardeninvestitionen für E-Autos: „Wir nehmen den Weg mit den geringsten Kosten“, erklärte FCA-Chef Michael Manley auf dem diesjährigen Genfer Autosalon. Was der Engländer aber nicht auf seiner Rechnung hatte: Milliarden vom Steuerzahler, Verbote und Gesetzesänderungen à la Energiewende.
VW-Chef Herbert Diess will seine „konsequente Elektro-Offensive“ so dem größten Automarkt der EU politisch aufzwingen. Winzige Batterieautos im VW-Up!-Format unter 20.000 Euro sollten von Bund, Stromkonzernen und Autoherstellern mit einem „Mobilitätsfonds Elektromobilität“ subventioniert werden. Nach Protest von BMW und Daimler wurden auch teurere Hybride – Benziner oder Diesel, die einige Kilometer rein elektrisch fahren können und so nach EU-Norm Phantasieverbräuche von unter zwei Litern ausweisen – ins Subventionswunschprogramm aufgenommen. Zur Finanzierung soll unter anderem Dieselfahren verteuert und die Forschung bei Wasserstoff-Brennstoffzellen oder synthetischen Kraftstoffen (e-Fuel, JF 12/19) zurückgefahren werden.

75.000 Arbeitsplätze bei der Antriebstechnik in Gefahr

Ein E-Auto ist wegen der Akkus und der unverzichtbaren Ladeinfrastruktur zwar teurer als ein Benziner – aber in der Herstellung weniger arbeitsintensiv. Werden Benziner und Diesel verboten und kaufen die Kunden mit Steuerzahlerhilfe zu 40 Prozent neue E-Autos, sind in der Antriebsproduktion 2030 etwa 40 Prozent der Stellen überflüssig, warnt eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO). Dabei geht es um gutbezahlte 75.000 von 210.000 Arbeitsplätzen in Deutschland. Darin sind 25.000 neue Stellen für Batterieproduktion oder Leistungselektronik schon eingerechnet.
Angesichts dessen sind die 7.000 Stellen, die an den Standorten Emden und Hannover wegfallen werden, nur ein Vorgeschmack auf die E-Auto-Zukunft. Und die 5.000 bis 7.000 Stellen, die bei der „digitalen Umstellung“ in der Verwaltung gestrichen werden, sind da noch gar nicht eingerechnet. Eine konzernweite Beschäftigungsgarantie bis Ende 2028, wie Betriebsratschef Bernd Osterloh vorschwebt, dürfte illusorisch sein. Nur die wenigsten dürften eine Chance haben, ab 2022 nach Chattanooga (Tennessee) zu wechseln, wo VW auf Druck von Donald Trump die Belegschaft von 3.500 auf 4.500 aufstocken will.

Daß Diess wie seine elf Vorgänger voll im Zeitgeist fährt, hat Verkehrsminister Andreas Scheuer bei der Haushaltsdebatte im Bundestag verdeutlicht: Bis 2030 sollen auf deutschen Straßen „bis zu zehn Millionen Elektro-Pkw“ unterwegs sein. Hinzu sollen eine halbe Million elektrische Nutzfahrzeuge und 300.000 Ladepunkte kommen, wie der CSU-Politiker der dpa auf ausdrückliche Nachfrage bestätigte. Das sei zwar „eine gewaltige Herausforderung für Politik und Industrie – aber machbar“. Angesichts von solchem Optimismus kann Diess auch problemlos versprechen, den VW-Konzern bis 2050 „CO2-neutral“ zu machen. In dem Jahr wird Diess 92 – und kann sich nicht mehr für seine Versprechen von 2019 haftbar gemacht.



VW-„Nachhaltigkeits-Strategie“: www.volkswagenag.com IAO-Studie „ELAB 2.0 – Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigung“:  www.iao.fraunhofer.de/lang-de/images/iao-news/elab20.pdf


Kein VW-Rabatt für die AfD-Fraktion

Im Zweiten Weltkrieg war das Werk in Wolfsburg „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“, und seit der Teilprivatisierung 1960 sichert das VW-Gesetz dem Land Niedersachsen in der Volkswagen AG eine 20,2-Prozent-Sperrminorität. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sind derzeit Mitglied im 20köpfigen Aufsichtsrat. Das könnte erklären, warum der AfD-Landtagsfraktion kein Rabatt bei der Anschaffung eines Fraktionsautos gewährt wird. Die offizielle Ablehnung von VW wird jedoch so begründet: Das Parteiprogramm trage „aus unserer Sicht völkisch-nationalistische Züge. Die Partei stellt die europäische Integration in Frage und fordert ein Verlassen des Euroraums. Damit steht die AfD konträr zu grundlegenden Werten des Volkswagen-Konzerns“, heißt es in dem Schreiben. VW stehe für „Vielfalt und Toleranz“. Die AfD-Fraktionschefin Dana Guth antwortete auf die Ablehnung mit einem offenen Brief und der Ankündigung, daß „unsere Fraktion nun auf ein Produkt eines nicht im Bundesland Niedersachsen ansässigen deutschen Herstellers ausweicht, der übrigens Sonderkonditionen gewährt“.


 afd-fraktion-niedersachsen.de/wp-content/uploads/2019/03/Offener-Brief-an-VW.pdf