© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Grauenhafte einsame Wölfe
Rechtsterroristen: Ihre Wahnsinnstaten stehen in einem Verblendungszusammenhang
Thorsten Hinz


Das Massaker in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch mit 50 Toten und 30 Verletzten war eine spiegelbildliche Entsprechung zu den Anschlägen von Islamisten, so 2015 auf den Veranstaltungsort Bataclan in Paris, wo 90 Menschen ermordet wurden, so 2016 auf einen Nachtclub im amerikanischen Orlando mit 49 Toten. Die Verbrecher eint die Heimtücke, die eisige Konsequenz, die Quantität der Morde und die einkalkulierte Verbreitung über die sozialen Medien.

Die Unterschiede liegen ebenfalls auf der Hand: Der islamistische Terror ist zur Regel geworden, der Terror von der Art des Brenton Tarrant bildet die Ausnahme.Während islamistische Terroristen zumeist einem Netzwerk angehören und in ein soziales Umfeld – so in das migrantisch geprägte Molenbeek bei Brüssel – eingebettet sind, haben der Australier Tarrant oder der Norweger Anders Breivik, der 2011 insgesamt 77 Menschen ermordete, als grauenhafte einsame Wölfe gehandelt. Konträr ist die Rezeption durch Politik und Medien: Dieselben Experten, die bei islamistischen Anschlägen stets mahnen, den Einzelfall nicht zu verallgemeinern, zu instrumentalisieren oder gar mit der Religion in Verbindung zu bringen, haben Breivik und Tarrant umgehend zu Vollstreckern rechter Ideologie erklärt. Auch diese Ungleichbehandlung gehört zu dem großen Verblendungszusammenhang, der die Taten hervorbringt beziehungsweise sie ermöglicht.

Am 22. Juli 2011 brachte der damals 32jährige Breivik im Regierungsviertel von Oslo eine Autobombe zur Explosion, die acht Menschen tötete. Anschließend begab er sich auf die Insel Utøya zum alljährlichen Zeltlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation, wo er 69 Teilnehmer erschoß. Im Internet veröffentlichte er ein krudes Manifest, in dem er sich in epischer Breite auf den Blogger „Fjordman“ bezog, der in scharfsinnigen Essays das Zusammenwirken von Islamisierung, Kulturmarxismus, Feminismus, der „vaterlosen“ westlichen Kultur, den Globalismus und ihre Folgen für die europäischen Staaten analysiert hatte. Die Polizei machte „Fjordman“ als Peder Jensen namhaft und setzte ihn Verhören, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen aus. „Vorbild für einen Mörder“, titelte die Süddeutsche Zeitung, und die taz freute sich diebisch, daß Jensen nach dem für ihn lebensgefährlichen Outing auch die Arbeit und die Wohnung gekündigt wurden.
Nun werden Verbindungslinien vom Massenmord in Christchurch zum französischen Schriftsteller Renaud Camus, zur Identitären Bewegung und überhaupt zur „Rechten“ gezogen. Denn Tarrant hat ebenfalls ein Manifest „Der Große Austausch“ publiziert. Es trägt denselben Titel, den Camus einem 2011 veröffentlichten Aufsatz gegeben hatte und den die Identitären zu einem festen Begriff gemacht haben. Die afrikanische und arabische Migration nach Europa, so Camus, führe zu einer „White Flight“, einer „Flucht der Weißen“, denen „das alltägliche Leben zum unerträglichen Alptraum“ geworden sei. Der Alptraum wird vom staatlichen „Antirassismus“, einem „System, das auf Fehlern und Lügen“ basiert, komplettiert. Die brutalen Zumutungen sollen nicht nur hingenommen, sie sollen auch als das moralisch Wünschbare verinnerlicht werden.

Galt in Deutschland vor 25 Jahren die öffentliche Präsenz des Kopftuchs wegen seiner politisch-religiösen Symbolik noch als problematisch, sind Kinderehen, Vielweiberei, die Burka und anderes heute zumindest diskutabel. Die Verschiebungen an der demographischen Basis verändern nun mal den diskursiven, rechtlichen und politischen Überbau. Die Zuwanderung und ihre islamische Grundierung machen Europa zum Schauplatz einer demographischen Expansion und einer politisch-religiösen Offensive. Der „Große Austausch“ ist die defensive Benennung dessen, was stattfindet, „die simple Feststellung einer Tatsache“ (R. Camus). Dabei ist es nebensächlich, ob man diesen Prozeß für ein Naturereignis oder für eine bewußt herbeigeführte Zerstörung des Eigenen hält.

Niemand ist dagegen gefeit, daß sich Verrückte auf ihn berufen. Die soziale Frage ist weder aus der Welt oder illegitim, weil der mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution verbundene Versuch, sie einer endgültigen Lösung zuzuführen, in stalinistischen Massenverbrechen mündete. Die Essays von Peder Jensen alias „Fjordman“ oder der Aufsatz von Renaud Camus enthalten mehr Einsichten in den Zustand der westlichen Gesellschaften, als deutsche Journalisten, Sozial- und Politikwissenschaftler gewöhnlich hervorbringen. „Was vor Breivik wahr war, bleibt auch nach Brevik wahr“, sagte Peder Jensen im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT (13. Januar 2012).

Den Terroristen Anders Breivik (über Tarrant ist erst wenig bekannt) nannte Camus’ Schriftstellerkollege Richard Millet ein „Kind des Zusammenbruchs der Familie ebenso wie des ideologisch-ethnischen Bruchs (…), den die Einwanderung aus außereuropäischen Ländern im Laufe der vergangenen 30 Jahre herbeigeführt hat ...“ Er stammt aus einer linksliberalen Familie, ist der Sohn eines Diplomaten, ein frühes Scheidungskind, wuchs vaterlos auf, wurde von der Mutter vernachlässigt, so daß das Jugendamt einschritt. Verschiedene Gutachten bescheinigen ihm paranoide Schizophrenie, narzißtische und antisoziale Persönlichkeitsstörung sowie die Asperger-Krankheit, an der auch Klima-Greta leidet. Jedenfalls haben innere und äußere Umstände ihn zu einer Borderliner-Persönlichkeit geformt.

Zum ideologisch-ethnischen Bruch gehören neben den bekannten Fakten deren Leugnung und die Schizophrenie des öffentlichen Lebens, die daraus folgt. Von der „offenen Gesellschaft“, die nun gegen den vermeintlich „rechten“ Terrorismus beschworen wird, existieren allenfalls Restbestände.

Das Todesurteil, das 1989 vom iranischen Revolutionsführer gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie wegen Blasphemie in seinem Roman „Die satanischen Verse“ verhängt wurde, ist und bleibt die unhintergehbare Zäsur. Die bis heute gültige Fatwa löste im Westen noch eine Protest- und Solidaritätsbewegung aus, die nach Mordanschlägen gegen Verleger und Übersetzer allmählich erlahmte. Der Mord an dem linken Filmemacher Theo van Gogh, der 2004 kurz nach Ausstrahlung seines Films „Submission“ über die Unterdrückung der Frau durch den Islam von einem Marokkaner niedergeschossen wurde, bevor er ihm wie bei einer rituellen Schächtung die Kehle durchschnitt, ist heute vergessen respektive wird verdrängt. Das Massaker an der Redaktion von Charlie Hebdo im Januar 2015 hat die Diskursgrenze der „freien Welt“ endgültig mit Blut festgeschrieben.

Rushdie-Verleger Michael Krüger gab zu, „im Lichte der Ereignisse (...) vorsichtiger“ geworden zu sein. „Die Drohung ist das Grauenhafte.“ Titanic-Redakteur Michael Ziegelwagner verteidigte seine Zurückhaltung: „Für manche Menschen mißt sich die Qualität von Satire also jetzt an ihrem Potential, dafür ermordet zu werden.“ Sie wollten „aus der Ferne zusehen (...), wie sich andere für ihre Pressefreiheit opfern.“

Die Verweigerung des Märtyrertums ist absolut nachvollziehbar. Gleichzeitig zeigt sich die eigene Wehrlosigkeit. Die Unterwerfung ist keine Zukunftsvision mehr, sie ist bereits Realität. Mit dem Ernstfall konfrontiert, schrumpfen der politische Diskurs- und der Kulturbetrieb zur Zombie-Veranstaltung. Der Kabarettist Dieter Nuhr spottete völlig zu Recht, daß nun „die Helden, die die Meinungsfreiheit über Jahrzehnte gegen Zahnlose verteidigt haben, sofort einknicken, wenn die Meinungsfreiheit mal von ernstzunehmenden Feinden in Frage gestellt wird“.
Das ist die Wirklichkeit, die auf Breivik und Tarrant tiefen Eindruck gemacht hat.
Wenn die verhinderten Demokratie-Helden wenigstens den Mund hielten wie der Komiker Jürgen von der Lippe, der ohne Umschweife zugibt, das Islam-Thema aus Furcht zu meiden und sich mit harmlosen Zoten begnügt. Statt dessen arbeiten sie sich an denen ab, die es trotzdem wagen, die Zwangslage offen anzusprechen. Sie nennen sie Panikmacher, Islam-Feinde, Verschwörungstheoretiker, Extremisten. Es sind Ersatzhandlungen, die von sozialem Druck, weltanschaulicher Festlegung, Opportunismus oder Berechnung zeugen.

In jedem Fall handelt es sich um Verdrängungsleistungen aufgrund kognitiver Dissonanz. Denn der westliche Mensch trägt das Ideal der selbstbestimmten, freien Persönlichkeit in sich, und um dieses Selbstbild auch im Zustand der Unterwerfung aufrechtzuhalten, wird das Verblendungssystem aus Fehlern und Lügen, das die Hörigkeit in Weltoffenheit und Toleranz umdeutet, bestätigt und bestärkt. Womit man die individuelle und kollektive Verwirrung weiter steigert und sich noch tiefer unter das Joch der Gewaltdrohung beugt.

Die einen begeben sich in die innere Emigration, andere in die Sisyphos-Arbeit politischer Opposition. Pathologische Naturen meinen ihre Ohnmacht zu überwinden, indem sie dem multikulturellen Delirium den Wahnsinn des Terrors entgegensetzen in der Erwartung, eine klärende Entscheidungsschlacht herbeizuführen. „Rechts“ ist dieser Terrorismus nur insofern, als er sich unter anderem auf rechte Topoi beruft. In Wahrheit beschert er der spätliberalen Gesellschaft ein unheimliches Rendezvouz mit sich selbst.