© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Was ich esse, das bin ich
Identität: Ernährung ist heute richtig kompliziert geworden und spaltet inzwischen die Gesellschaft
Markus Brandstetter


Machen wir eine Zeitreise zurück in das Jahr 1979. Irgendwo in Deutschland trifft sich eine Familie inklusive Verwandtschaft zu einer Feier. Das Ganze läuft so: Mutti und Oma kochen, die Tanten und Cousinen helfen mit Vorspeisen, Beilagen und Salat, die Töchter decken den Tisch, und der Konditor-Schwager holt die Torten aus dem Kombi und lagert sie im Keller zwischen, wo es schön kühl ist. Die Männer sitzen derweil mit Bier und Zigaretten auf der Terrasse in der Hollywood-Schaukel und auf Klappstühlen lachend und scherzend zusammen, während die Jungs durch den Garten toben und sich ab und zu eine Fanta holen.
Kurz nach eins werden auf dem ausgezogenen Wohnzimmertisch Schüsseln, Platten und Terrinen aufgetragen, aus denen es raucht und dampft, die Männer werden von der Terrasse hereingerufen, und dann setzen sich alle an den schön gedeckten Tisch mit dem Hutschenreuther-Service und fangen an zu essen. Es gibt Rindssuppe mit Leberknödeln, Rindsrouladen mit Blaukraut und Petersilienkartoffeln und zum Nachtisch eine Sachertorte mit Schlagsahne und eine Schwarzwälder Kirschtorte.

Allergiker, Rohköstler, Vegetarier, Veganer

Das ist jetzt alles vierzig Jahre her, und wer damals schon auf der Welt war, der weiß, daß sich genau das an vielen Wochenenden im Jahr vieltausendmal im Land so abgespielt hat. Heute wäre so eine Zusammenkunft kaum mehr möglich, und wenn, dann würde das alles ganz anders ablaufen. Und der Hauptgrund dafür ist das Essen. Auch wenn die Familien inzwischen kleiner geworden sind, treffen sie sich immer noch zum Feiern, kochen tun in der Regel immer noch die Frauen – nur was heute alle essen hat mit dem Essen von vor vierzig Jahren nicht mehr viel zu tun. Das geht schon damit los, daß es heute in jeder zweiten Familie mindestens einen Allergiker, Rohköstler, Vegetarier oder Veganer gibt, der Rindssuppe, Rouladen und Leberknödel – da tierischer Herkunft – empört zurückweist, das Gluten in den Semmeln und im Tortenboden nicht verträgt oder statt der Kartoffeln lieber Tofu hätte.

Das gemeinsame Essen hat innerhalb einer Generation seine sinnstiftende Wirkung, das Zusammenbringen der Menschen an einem Tisch verloren. Essen ist heute richtig kompliziert geworden und spaltet inzwischen die Gesellschaft, entfremdet Kinder ihren Eltern und zieht Gräben durch Ehen und Partnerschaften. Gesunde Ernährung – beziehungsweise was Mediziner, Ernährungspsychologen, Köche und selbsternannte „Experten“ dafür halten – ist ein Dauerthema in den Medien; vegane Kochbücher verkaufen sich wie warme Semmeln, und auf allen Sendern kocht mindestens ein Fernsehkoch ausschließlich gesund. Jeder kennt inzwischen einen, der gegen irgendwas allergisch ist, irgendwas nicht ißt, Eier, Milch und Käse – von Fleisch gar nicht zu reden – entrüstet ablehnt.

Was steckt hinter dieser Obsession, die von vielen Journalisten, die so tun, als gäbe es in diesem Land nur noch Vegetarier und Veganer, auch noch täglich befeuert wird? Die erste Antwort lautet stets: Immer mehr Menschen wollen sich gesund ernähren, um ein gesundes und langes Leben zu führen. Aber diese Antwort ist eine Tautologie, nicht besser als die Erklärung, daß ein Schlafmittel eine den Schlaf fördernde Wirkung hat. Denn was wirklich gesunde Ernährung ist, steht keineswegs fest, und was sie bewirkt, erst recht nicht. Wir wissen natürlich alle, daß jeden Tag Burger mit Fritten und Mayonnaise, dazu eine große Cola und danach ein Sahneeis auf die Dauer ungesund ist und irgendwann tatsächlich zu Arteriosklerose, Bluthochdruck, koronaren Herzkrankheiten, Diabetes und eventuell sogar Krebs führen könnte.

Aber kaum ein Mensch ernährt sich so jeden Tag, und selbst wenn er es tut, heißt das noch lange nicht, daß er allein deswegen krank wird. Denn die Gene eines Menschen, das wird inzwischen immer klarer, spielen dabei eine wesentliche Rolle – so ist zum Beispiel der Fakt, ob einer dick oder dünn ist, zu 70 Prozent von seinen Genen bestimmt.
Es steht auch keineswegs fest, daß Vegetarier oder Veganer langfristig gesünder leben als Fleischesser. In Indien beispielsweise, einem Land, in dem 35 Prozent der Menschen Vegetarier sind, leiden zehn Prozent der Bevölkerung an Diabetes 2. Zum Vergleich: In Deutschland ernähren sich sieben Prozent der Bevölkerung vegetarisch oder vegan, während der Anteil der Diabetiker an der Gesamtbevölkerung bei acht Prozent liegt. Allein eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise schützt also keineswegs vor Krebs, Diabetes und Herzerkrankungen.

Mit der eigenen Ernährung von der Masse abheben

Wenn es aber die Gesundheit nicht ist, welche viele Menschen dazu bringt, ihre Ernährung umzustellen – was ist es dann? Der Ernährungspsychologe Thomas Ellrott von der Universität Göttingen will herausgefunden haben, daß optimale Ernährung einem ein Gefühl von Selbstkontrolle gibt. „Was und wieviel ich esse“, trage in einer Welt, die schwer überschaubar geworden sei, „stark zur Identitätsstiftung bei“, erläuterte er in einem Spiegel-Interview. Wer sich mit einer speziellen Ernährungsform in den Mittelpunkt stellt, hebe sich überdies von der Masse ab, was die Individualität stärke.

Danach wären also all die Selbstkasteiungen, die Vegetarier und Veganer sich antun, nichts anderes als Profilierungssucht und Versuche, durch Disziplin, Verzicht und Selbstkontrolle sein Leben in den Griff zu kriegen? Das klingt ein wenig allzu primitiv, insbesondere wenn man weiß, mit welchen Argumenten Vegetarier und Veganer ihre Ernährungsweise selbst begründen.

Gerade Veganer reden selten von gesunder Ernährung oder dem Wunsch, Krankheiten vorzubeugen, und schon gar nicht von erfolgsorientierter Selbstmodellierung. Nein, sie zählen vorzugsweise ethische Gründe auf, warum der Verzehr und ganz allgemein der Verbrauch tierischer Produkte moralisch falsch sei. Die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern – von derjenigen von Pelzmänteln, Krokodilledertaschen und Foie gras gar nicht zu reden – quäle die Tiere, führe zu einem unverantwortlich hohen Einsatz von Pestiziden und Antibiotika, zu einem enormen Ressourcenverbrauch und zur Rodung der letzten Urwälder, was in der Folge den Klimawandel beschleunige.

Nietzsche: Tugend strebt zur Herrschaft

Bevor wir weiterreden, müssen wir eingestehen: da ist was dran. Wer gesehen hat, wie Hühner und Schweine in manchen Zuchtbetrieben gehalten werden, in welchen Lastern Kühe quer durch Europa gondeln und mit welchen Methoden Gänsen so lange ein ekelhafter Speisebrei in den Schlund hinabgepreßt wird, bis ihre Leber auf das Zehnfache ihrer normalen Größe anschwillt – der kann einige Argumente der Veganer durchaus verstehen.

Aber nur einige. Und auch die sind nicht die ganze Wahrheit, denn Veganern und Vegetariern geht es nur in zweiter Linie um die Rettung der Tiere. In erster Linie wollen sie Redezeit, ein großes Publikum, insbesondere aber Einfluß auf Politik und Gesetzgebung – mit einem Wort: Macht. Friedrich Nietzsche hat das schon vor langer Zeit sehr klar gesehen. In seinen Buch-Entwürfen aus dem Nachlaß schreibt er im November 1888: „Daß die Tugend zur Herrschaft strebt, wer möchte ihr das verbieten? Aber wie sie das tut, ist eine ganz andere Sache.“ Für Nietzsche zeigt sich nämlich, „daß man die Herrschaft der Tugend schlechterdings nur durch dieselben Mittel erreichen kann, mit denen man überhaupt irgendeine Herrschaft erreichen kann, also nicht durch Tugend“.

Genau das ist der Knackpunkt beim Vegetarismus: der andauernd beteuerte Schutz von Leben und Umwelt und die stets ins Feld geführte Tierliebe sind lediglich Schutzbehauptungen, die verschleiern sollen, worum es wirklich geht: um die Veränderung der Welt auf einer neomarxistischen Grundlage. Um einen totalitären Ökomarxismus, der allerdings nicht so genannt werden darf, weil er in einer Demokratie niemals mehrheitsfähig wäre, weshalb er unter der Flagge von Tier- und Umweltschutz segeln muß. Nietzsche stellt in „Jenseits von Gut und Böse“ kategorisch fest, daß wir in einer Welt leben, deren Essenz nicht Schopenhauers „Wille zum Leben“, sondern elementarer, primitiver ein überall vorhandener, alles durchdringender „Wille zur Macht“ ist.

Nietzsche hat anders als Kant, der dachte, mit dem kategorischen Imperativ eine transzendente, also gesellschafts-unabhängige, überzeitliche Begründung der Ethik gefunden zu haben, früh angenommen, daß die Werte, welche die Summe jeder Ethik bilden, selbst nichts anderes als „Perspektiven der Nützlichkeit zur Aufrechterhaltung menschlicher Herrschaftsgebilde“ sind. Damit aber stellt die Moral nichts anderes dar als einen „Spezialfall des Willens zur Macht“, was erklärt, warum der Angriff auf jede bestehende Herrschaft immer mit moralischen Kategorien geführt wird nach der Devise: „Diese Welt taugt nichts, es muß eine wahre Welt geben“ (Nietzsche, Nachlaß Frühjahr 1888).

Das ist das wirkliche, nie geoffenbarte Gesicht hinter all den Masken von Vegetariern und Veganern: daß auch sie nur eines wollen: Geld, Macht und Einfluß, was bedeutet: Tiere und Umwelt interessieren sie in Wahrheit nur als Mittel, mit dem ganz andere Zwecke erreicht werden sollen.