© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Die zähe Transformation einer Diktatur
Francos Sieg im Spanischen Bürgerkrieg vor achtzig Jahren: Der lange Weg einer gespaltenen Gesellschaft in die europäische Moderne
Eberhard Straub


Der Spanische Bürgerkrieg vom 17. Juli 1936 bis zum Einzug Francisco Francos in Madrid am 1. April 1939 war nicht Teil einer welthistorischen Auseinandersetzung zwischen Freiheit, Demokratie und Faschismus. Dazu haben ihn die später unterlegenen Gruppen und Parteien, vor allem ausländische Enthusiasten in den Internationalen Brigaden, stilisiert, und so wollen ihn unermüdliche Antifaschisten weiterhin oder wieder verstehen. Doch er war nur der letzte in einer Reihe von Bürgerkriegen und Systemwechseln, die Spanien weit über ein Jahrhundert hin nie zur Ruhe kommen ließen.

Spanien befand sich seit der Rebellion gegen die französische Besatzung unter Napoleon ab 1809 und dem zur gleichen Zeit von den USA und Großbritannien in sehr eigennützigen Absichten beschleunigten Zerfall des spanischen Reiches auf der Suche nach einer neuen Legitimität und Stabilität. Es gab immer nur vorläufige Lösungen und Improvisationen, die das Ende aller Sicherheit verschärften. Auch die Republik von 1931 war ein Symptom mehr für die nationale Dekomposition und Ratlosigkeit. Sie scheiterte an ihren gesellschaftlichen Widersprüchen und Unzulänglichkeiten.

Es war nicht ein reaktionärer General, der eine vor Lebenskraft überschäumende Republik zerstörte. Francisco Franco griff erst mit einer Minderheit unter den Truppen ein, als sich im Sommer 1936 die offizielle Republik als „revolutionäre Republik“ immer weiter vom Rechtsstaat entfernte, mit Gesinnungsterror den inneren Frieden aufhob, indem sie die unterschiedlichen Rechten in der Opposition pauschal zu Feinden der Verfassung erklärte.

Dem Bürgerkrieg folgte die Zerschlagung der Linken

Es gab kaum Faschisten, Nationalsozialisten oder Kommunisten in Spanien, es gab aber vielfach unter sich zerstrittene Monarchisten, Christdemokraten, Republikaner, Sozialisten oder Anarchisten, die in jeder Form von Staatlichkeit einen Angriff auf die Freiheit fürchteten. Eine verbindliche Idee von Spanien hatte sich längst aufgelöst in eine Fülle von Sonderbestrebungen, die nicht miteinander zu vereinbaren waren. Die politische Gewalt auf Straßen und Plätzen machte es unausweichlich, der Gewalt als heilender Kraft überhaupt zu vertrauen. Es lebe der Tod – dieser Devise folgten viele, weil der Tod allein ein neues Leben verheißt, das aus den Ruinen blühend hervorbricht. Linke wie Rechte warteten auf den großen Chirurgen, der sämtliche Geschwüre beseitigen würde.

Franco war ein viel zu nüchterner Mann, um sich von solchen Phantasien, für die Joaquin Costa seit 1900 geworben hatte, verführen zu lassen. Aber er war klug genug, jungen Leuten, die von solchen Ideen erfüllt waren, einigen Spielraum zu gewähren. Der spätere nationale Arzt Franco siegte, weil er illusionslos war. Er war kein Monarchist, er war kein Liberaler, er war kein Klerikaler, er war nicht einmal ein Antirepublikaner oder Militarist. Er war ein Mann des Staates und der rechtlichen Ordnung, auf diesem Umweg sogar ein Mann der Freiheit, weil Ordnung Freiheit braucht, und Freiheit ohne Ordnung in Unordnung führt. Doch zuerst einmal war er ein Diktator, der, so unnachsichtig, wie es Joaquin Costa gefordert hatte, in den zerrütteten Organismus eingriff, um ihn widerstandsfähig zu machen und nicht gleich wieder allen möglichen Ansteckungen auszuliefern.

Der Sieger im Bürgerkrieg verzichtete auf rasche Versöhnungsversuche. Als staatskluger, machiavellistischer Spanier wußte er, daß notwendige Grausamkeiten sofort und gründlich vollzogen werden müssen. Francisco Franco war kein großherziger Sieger – den kann es nach dem schrecklichsten aller Kriege, dem Bürgerkrieg, ohnehin nicht geben. Der „Caudillo“ verfolgte in seinen Feinden streng die Feinde Spaniens, die er als solche auffaßte. Er ließ viele Todesurteile vollstrecken und sperrte rund zweihunderttausend Linke, Kommunisten oder Freimaurer in Lagern ein. Diese zermürbenden Umstände löschten im Laufe einiger Jahre jede oppositionelle Leidenschaft aus. 1945 hatte er sein Ziel erreicht. Die Opposition in Spanien war erschöpft und außerhalb hatten sich in der Emigration die alten Politiker mit wechselseitigen Schuldvorwürfen um jeden Kredit gebracht.

Der spanische Diktator hatte sich aus dem Weltkrieg schlau und mit Glück herausgehalten. Nach 1945 verfolgten ihn sofort die USA, die ihn einst im Kampf gegen „den Kommunismus“ bereitwillig unterstützt hatten. Fast alle Staaten der Welt hoben auf US-amerikanischen Druck die diplomatischen Beziehungen zu Spanien auf. Das verelendete Land sollte durch Hunger und weiteres Elend reif für die Demokratie gemacht werden. Franco blieb unerschüttert: Sie, die Botschafter, würden alle wiederkommen. Argentinien hatte sich dem Druck der USA und der UN verweigert. Es ermöglichte in alter Anhänglichkeit an die gemeinsame Hispanidad das Überleben nicht einer Diktatur, sondern Spaniens. Bald folgten dem Beispiel die übrigen Ibero-Amerikaner.

Spanien war nicht allein, sondern Mitglied einer Weltgemeinschaft. Das half nicht nur Franco, sondern allen Spaniern. Auch die Westeuropäer mußten sich mit Franco und seinem Spanien verständigen. Weder Adenauer noch de Gaulle verurteilten Franco als einen „Faschisten“, sie behandelten ihn als Europäer. Die USA hatten sich ohnehin seit 1953 mit Franco und Spanien freundlich verständigt. Alle Botschafter kehrten zurück.

Franco gliederte sich in die Wertegemeinschaft ein

Franco der Diktator dachte seinerseits ganz praktisch an die Europäisierung Spaniens, eine alte Idee gerade Linker und Liberaler, um Spanien aus seiner hoffnungslosen Selbstgenügsamkeit herauszuführen. Er duldete einen gewissen Pluralismus, keiner Partei verbunden, auch nicht der Falange, seiner Staatspartei, in der viele einander widersprechende Tendenzen einander lähmten, so daß keine Franco gefährlich werden konnte. Seit 1946 war Spanien wieder ein Königreich, doch Franco ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er eine neue Monarchie einrichten, nicht die überlieferte, abgewirtschaftete restaurieren würde. Damit entfremdete er sich auch von den konservativen Kräften. Er wollte tatsächlich unabhängig bleiben, nur dem Staat und dessen Neuaufbau verpflichtet. Die Voraussetzung dafür erblickte er in einer Entpolitisierung des öffentlichen Lebens. Es fiel nicht schwer, die vom ideologischen Streit ermatteten Bürger von fragwürdig gewordener Parteipolitik abzulenken und auf ihren Fokus auf die Privatheit zu richten.
Der Wiederaufbau ermöglichte eine vorerst bedächtige und ab 1960 fast stürmische Industrialisierung und Umstrukturierung der Gesellschaft. Es entwickelte sich eine breitere Mittelschicht, die mit ihren Bedürfnissen den Konsum in ungewohnter Weise vorantrieb, die vor allem aber Bildungspolitik erforderlich machte, um Schulen und Universitäten, deren Zahl beständig wuchs, zu befähigen, den neuen Ansprüchen beruflicher Ausbildung, aber auch schöngeistiger Bildung zu genügen.

Mit den verschiedenen Bildungsmöglichkeiten war sozialer Aufstieg verbunden und mit ihm gesellschaftlicher Einfluß, ganz unabhängig von der Parteipolitik, die früher als das beste Mittel benutzt wurde, um vorwärtszukommen. Eine der erstaunlichsten Folgen des Bürgerkrieges war die auffallende Rekatholisierung einer vor allem im Süden weitgehend ungläubigen und abergläubischen Bevölkerung. Die Kirche und die Religion wurden zu einer  tatsächlichen Bildungsmacht. Beide bewirkten im Zuge des Konzils und der innerkirchlichen Veränderungen Freiheiten und Eigenwilligkeiten, die nicht allein das geistige und geistliche Leben Spaniens dynamisierten.

Die katholische Soziallehre gewann bestimmenden Einfluß auf die Sozial- und Industriepolitik. Es waren Mitglieder der Laienbewegung des Opus Dei, die Spanien dem Ordoliberalismus und seiner behutsam modifizierten freien Marktwirtschaft anglichen. Sie heiligten den Beruf und die Arbeit. Der als Wirtschaftsmacht geförderte Tourismus veränderte freilich alsbald das Leben überhaupt. Moden, Gewohnheiten und Verspieltheiten, ausländische Lebensstile wirkten vieles umgestaltend mit ihrer suggestiven Anziehungskraft.

Reformsehnsucht ohne revolutionäre Erregbarkeit

Eine umfassende Europäisierung, gerade von Linken und Republikanern gewünscht, ergriff das gesamte Leben und Denken unter Francos Diktatur, die als solche von den meisten gar nicht als Druck empfunden wurde, weil die Privatheit und die Chancen, Karriere zu machen, jedem einzelnen Bewegungsfreiheit gewährten. Wer an Veränderungen dachte, schob sie bis nach dem Tode Francos auf. Es war Franco gelungen, das Land zu beruhigen, was auch meinte, die politischen Erregbarkeiten von revolutionären Hoffnungen auf pragmatischen Reformeifer beschränkt zu haben. Die politischen Institutionen, die er geschaffen hatte, boten Anknüpfungspunkte genug zu weiterer Entwicklung.

Francisco Franco wußte, daß der künftige König, sein Zögling, vieles anders machen würde. Er wußte aber auch, daß Juan Carlos sein Werk nicht zerschlagen könne, weil der Mittelstand, dessen Wohlstand und soziale Wünsche eine Garantie dafür boten, auf den von ihm gefestigten Grundlagen eines endlich stabilisierten Spanien weiterzubauen. Der unaufgeregte Übergang in die demokratische Ordnung einer neuen Monarchie ist gerade Francisco  Francos Verdienst, auch wenn es einigen wieder schwerfällt, diese Leistung anzuerkennen und zu würdigen.