© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Wenn Elefanten und Menschen konkurrieren
Neuere Feldforschungen zeigen düstere bis neokoloniale Seiten des Naturschutzes auf
Christoph Keller


Der 1961 gegründete World Wildlife Fund (WWF) ist die Urmutter der Nichtregierungsorganisationen für Umweltschutz. Seine Kampagnen für Artenschutz und -vielfalt haben der 1961 von Prinz Philip (Gemahl der Queen), Bernhard zur Lippe-Biesterfeld (Prinzgemahl der Niederlande), Godfrey A. Rockefeller und britischen Wissenschaftlern gegründeten und seither von der Schweiz aus operierenden Stiftung ein hohes moralisches Kapital eingetragen. Doch der blanke Schild der hehren Weltretter hat Schrammen abbekommen.

Ein Rattenschwanz an neuen Problemen

2016 beschuldigte Survival International den WWF, sich in Kamerun und Gabun an der Vertreibung von Baka-Pygmäen zu beteiligen, um in deren Waldheimat Naturparks zu installieren. Und da der WWF längst von konzernartigen Strukturen getragen wird, wandten sich die Ureinwohner-Schützer an die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die Leitsätze für die Verantwortung von multinationalen Firmen formuliert hat. Die OECD bietet zudem ein Beschwerdeverfahren an, um Verletzungen dieser Leitsätze zu prüfen.
Doch Survival unterlag, die OECD stellte sich 2017 hinter den WWF. Man werde dennoch „weiterhin den WWF dazu drängen, sich an seine eigenen Regeln zu halten und die Rechte der Baka nicht weiter zu verletzen“, erklärte Survival-Direktor Stephen Corry. Man verlange ein anderes Naturschutzmodel: „Eines, das indigene Völker als die besten Hüter der Umwelt akzeptiert und respektiert.“

Die US-Enthüllungsplattform BuzzFeed.News berichtete am 4. März nun jedoch über Anti-Wilderer-Einheiten in Nepal – ausgebildet und ausgerüstet vom WWF –, die einem Nationalpark benachbart lebende Dorfbewohner bedroht, drangsaliert und sogar gefoltert haben sollen. Gleichzeitig verwies Kolja Zydatiss, Sprecher des libertären Frei­blickinstituts, auf eine unveröffentlichte Studie von Geographen und Agrarwissenschaftlern des Seminars für Ländliche Entwicklung der HU Berlin, die zusätzliches Belastungsmaterial gegen den WWF enthalte. Die bundeseigene KfW-Bankengruppe überprüfe deshalb ihre Kooperation mit dem WWF, der von ihm geduldete Menschenrechtsverletzungen auch gegenüber der EU-Kommission verschwiegen haben soll, so Zydatiss auf dem Blog Achgut.com.
In diesem Fall ging es um eine Million Euro Fördergeld für einen Nationalpark in Kamerun, die Brüssel nur gewähren wollte, wenn die Einbindung der indigenen Messok Dja garantiert worden wäre. Tatsächlich herrschte bei dem betroffenen Naturvolk aber große Angst vor dem Projekt und der erwarteten Gewaltpraxis der Parkverwaltung, was der WWF mit seiner „kolonialen Art, Naturschutz zu betreiben“ (Volker Seitz, bis 2008 als deutscher Botschafter in Afrika), verschleiert haben soll.

Derartige Spannungen und Konflikte sind nicht neu. Sie nehmen in dem Maß zu, wie sich infolge der Bevölkerungsexplosion der Naturverbrauch erhöht. Hinzu kommt der Ressourcenhunger der Industriestaaten und zunehmend auch der Chinas. Das erklärt, warum zwischen 1990 und 2015 zwölf Prozent der afrikanischen Waldfläche verlorenging. Mit 81,6 Millionen Hektar entspräche der Waldverlust mehr als der doppelten Fläche Deutschlands. „Der Verlust an Naturwaldfläche fällt mit 86 Millionen Hektar sogar noch höher aus“, heißt es im „WWF-Waldbericht 2018“.

Ein gutes Beispiel für den Rattenschwanz an Problemen, der sich aus dem Wildtierschutz ergibt, bietet der 3.893 Quadratkilometer große Murchison-Falls-Nationalpark in Norduganda. Dort spielen Elefanten für den Artenschutz wie für den Tourismus eine gleich wichtige Rolle. Ihre durch jahrzehntelangen Bürgerkrieg auf 800 Dickhäuter reduzierten Bestände erholten sich, so daß man, trotz permanenter Bedrohung durch Wilderer, 2016 wieder 6.000 Tiere zählte. Doch noch rasanter vermehrte sich der Mensch. Ugandas Einwohnerzahl versechsfachte sich seit 1960 auf 41,3 Millionen Menschen. Derzeit „kämpfen“, so die Kölner Ethnologin Lioba Lenhart (derzeit Gulu University, Uganda), Menschen und Elefanten um die schwindenden Ressourcen Land, Wasser, Wald.

Die Siedlungsdichte führt dazu, die Lebensräume der größten Landsäugetiere immer stärker einzuschränken. Deren fortschreitende Fragmentierung stört das Ausbreitungs- und Wanderungsverhalten der Tiere. Hungrige Elefanten brechen daher aus dem Parkareal aus, fressen und zerstören auf angrenzenden Feldern in wenigen Stunden die Jahresernte, so daß die staatliche Parkverwaltung Dörfer umsiedeln mußte. Viele Anrainer seien daher verbittert und sehen ihre Lebensgrundlage bedroht.

Nur ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit?

Sie reagieren darauf, indem sie selbst in den Nationalpark eindringen und sich an Wilderei und illegalem Fleischhandel beteiligen. Was sie als Akt ausgleichender Gerechtigkeit betrachten, da die britischen Kolonialherren ihre Vorfahren vor bald 100 Jahren aus dem Gebiet vertrieben, um für zahlungskräftige Amerikaner und Europäer „unberührte Natur“ zu schaffen. 1962, nach der Unabhängigkeit Ugandas, kehrten ihre Nachkommen zwar wenigstens in die Nachbarschaft von Murchison Falls zurück, mußten aber während des Bürgerkriegs in den 1980ern wieder weichen.

Erst 2008 kamen sie aus den Lagern für Binnenvertriebene erneut in ihre Heimat, um nun nochmals vertrieben zu werden – „diesmal von den Elefanten“. Von „friedlicher Koexistenz“ zwischen Mensch und Tier im Interesse des Artenschutzes könne daher hier keine Rede sein. Nicht viel entspannter ist die Situation in anderen Weltteilen, wie ein Themenheft der Geographischen Rundschau (12/18) dokumentiert. Im nördlichen Namibia, einer Region an den Grenzen zu Angola, Sambia und Botswana, die von geschützten Wanderwegen für Großwild, hauptsächlich Elefanten, durchzogen ist, gedeihen die vierbeinigen Populationen prächtig, während gerade die ärmere Bevölkerung unter Wildschäden leidet. Von derart „mißlingender Gestaltung“ spricht auch die Marburger Anthropologin Michaela Meurer, die die Partizipation der Bewohner an der Verwaltung der Reservas Extrativistas im Regenwald Brasiliens untersuchte. Anders als in den staatlichen Naturschutzgebieten sei dort die Mitbestimmung der lokalen Bevölkerung zwar gesetzlich verankert, aber in einem konfliktbeladenen Prozeß nur in engen Grenzen auszuüben.

Regelrecht verheerende Auswirkungen des Naturschutzes auf Ureinwohner registrierten der Bonner Geograph Karl Heinz Erdmann (BfN) und sein Kollege Dominik Hosters im Meeresnationalpark Tarutao im äußersten Süden Thailands. Das Inselgebiet weist eine ungewöhnliche Dichte an marinen Ökosystemen und Arten auf. In den unbeschädigten Riffsystemen blieb seit der Gründung 1974 eine Vielfalt von Fischen (288 Spezies) und Korallen (210 Spezies) erhalten. Der Schutz des Archipels, einer der „diversesten Regionen Thailands“, geht jedoch zu Lasten der indigenen Urak Lawoi, die ihre halbnomadische Lebensweise aufgeben mußten.

Auf ihrem Ersatzterritorium konnten sie ihren tradierten Lebensstil nicht konservieren. Stattdessen verkauften sie Teile ihrer im Nationalpark gelegenen Inselländereien an auswärtige Investoren, die daraus eine Touristenhochburg formten – mit täglich tausend Gästen.

Auch die Müllberge an den Stränden wachsen, die Korallenriffe leiden. Die natürlichen Fischbestände gehen zurück, die Vegetation wird abgeholzt, der Nutzungsdruck auf den Nationalpark steigt. Die seßhaft gewordenen Indigenen wenden sich nun industrieller Fischerei zu.


Themenheft „Naturschutz – Teilhabe und Konflikte“ (Geographische Rundschau, 12/18:
 www.geographischerundschau.de