© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Geschmack mit zwei Enden
Thüringens leckerstes Kulturgut: Die Bratwurst soll ein erweitertes Museum erhalten
Paul Leonhard


Thüringen ist Bratwurstland. Unzählige Imbisse und Land­gasthöfe werben mit dem „Original“. Es soll Berufskraftfahrer und Handwerker geben, die sich unterwegs im Freistaat werktags nur von diesen ernähren. Und sollte einmal kein Grill in Sichtweite sein, lotst einen die Bratwurst-App schnell und sicher.

Erstes gedrucktes Rezept stammt aus dem Jahr 1797

Es gibt sogar den TBRAX, den Thüringer Bratwurstindex, als einzigen deutschen Wurstindex, der über Entwicklung und Stand der wichtigsten Indikatoren für die Thüringer Bratwurst Auskunft gibt.
Traditionell wird eine Masse von maximal drei Millimeter Körnung aus Schweinefleisch – alternativ auch mit Kalb- oder Rindfleisch – in feine Schweinedärme oder Saitlinge abgefüllt. Ehrensache ist, daß keine Innereien und nichts Minderwertiges in die Wurst kommt. Ansonsten hat jeder Fleischer sein eigenes, von Generation zu Generation weitergebenes geheimes Rezept. Typische Gewürze sind Salz, Pfeffer, Kümmel, Majoran und Knoblauch. Besonders beliebt sind offenbar saftige Würste mit ausgewogenen Geschmackskomponenten, die dann auf dem Holzkohlegrill und nicht etwa im Ölbad landen.

Bereits von 1432 stammt die Fleischhauerordnung der Weimarer Fleischer, eine Art Reinheitsgebot für Brat-, Leber- und andere Würste. 1613 widmet sich ein ganzer Paragraph der „S(achsen) W(eimarischen) Artikel und Ordnung für das Fleischerhandwerk zu Weimar, Jena und Buttstädt“ der Bratwurst. Das erste Loblied auf die Thüringer Bratwurst singt 1669 Johann Jacob Christoffel von Grimmelshausen in seinem „Simplicissimus“. Erstmalig gedruckt findet sich ein Rezept für Thüringer Rostbratwürste im „Thüringisch-Erfurtischen Kochbuch“ von 1797. Allerdings ließ sich Goethe zur Verwunderung der Thüringer seine „Bratwürstchen, welche so vorzüglich gut gefertigt werden ...“ mit der Post von Nürnberg nach Weimar schicken.
Bei so viel Geschichte ist es logisch, daß es einen Bratwurstkult gibt. Alle zwei Jahre wird ein Thüringer Bratwurstkönig gewählt. Aktueller Amtsinhaber ist als Norbert I. Norbert Abt aus Suhl. Und dafür, daß das Interesse an dem „leckersten Kulturgut“ des Landes nicht nachläßt sowie daß Kultur und Brauchtum der Thüringer Bratwurst gepflegt werden, sorgen neben dem Hunger der Verein „Freunde der Thüringer Bratwurst“ und ein „Deutsches Bratwurstmuseum“.
Letzteres wurde 2006 vor den Toren Arnstadts in dem Dorf Holzhausen im Ilm-Kreis gegründet und sorgte unlängst für Schlagzeilen, als die Bratwurstfreunde nach Mühlhausen umziehen wollten, wo ihnen der Stadtrat in „landschaftlich reizvoller Landschaft“ und mit der „Aussicht auf unbegrenztes Wachstum“ einen Standort am Stadtwald zur Verfügung gestellt hatte.
Als sich aber herausstellte, daß sich an dieser Stelle einst ein Schlaflager für Häftlinge des früheren KZ Buchenwald befand, war die Aufregung groß. Es sei befremdlich, wenn an einem Ort, wo Gefangene Hunger litten, ein Bratwurstmuseum entstehe, sagte der Mühlhäuser Historiker Karl-Heinz Cramer dem MDR Thüringen. Geschichtsvergessenheit sei gefährlich, sekundierte Reinhard Schramm von der Jüdischen Landesgemeinde.

Mitte Mai lockt der Bratwurst-Song-Contest

Inzwischen wurde auf einer nahen Wiese ein neuer Standort gefunden. Hier will Jan Kratochwil mit seiner JKAG.DE GmbH in den kommenden Jahren einen siebenstelligen Betrag investieren. Das Gebäude des Bratwursttheaters wird künftig mit 300 Plätzen seine Kapazität verdoppeln. Geplant sind eine Schauverwurstung und weitere kulinarische Projekte. Auch Übernachtungsmöglichkeiten wird es geben, und das „Thüringer Bratwurstministerium“ sowie das „Institut für Bratwurstologie“ werden hier ihren Sitz haben. „Der Spaß wird also nicht zu kurz kommen“, verspricht Bratwurstmuseum-Inhaber Thomas Mäuer.

Die aktuelle Bratwurstsaison 2019 wurde übrigens am 16. März auf dem Erfurter Domplatz mit der „Rostkultur“ eröffnet. Ab dem 1. April lockt auch wieder das Bratwurstmuseum in Holzhausen mit einem bunten Mix an Veranstaltungen: Bratwursttheater, Kleinkunst und Seminarangebote. Die Höhepunkte werden am 7. April die Kulinarische Frühjahrswanderung und der Bratwurst-Song-Contest am 19. Mai sein.