© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Knapp daneben
Verschwörung der Eltern
Karl Heinzen


Mindestens 60 Minuten am Tag, so meint jedenfalls die Weltgesundheitsorganisation (WHO), sollten sich Jugendliche bewegen, um halbwegs fit zu bleiben und nicht ganz so fett wie ihre Eltern zu werden. Die deutschen sechs- bis 17jährigen schaffen im Durchschnitt gerade einmal 50 Minuten. Danach sind sie außer Puste oder eine Sprachnachricht trifft ein, oder die Verabredung zum Zocken zwingt sie, vor der Playstation Platz zu nehmen und Online-Gemeinschaften zu pflegen.

Bewegungsmangel ist in Deutschland aber kein neues Phänomen. Schon vor zehn Jahren wurde der WHO-Richtwert verfehlt. Allerdings bewegten sich Jugendliche im Tagesdurchschnitt damals noch fast fünf Minuten mehr als heute. Setzt sich diese Entwicklung fort, dürfte zum Ende des Jahrhunderts der vollständige körperliche Stillstand erreicht sein. Unterlaufen wird der Trend jedoch durch den Geburtenrückgang. Gibt es keine Kinder mehr, kann man auch nicht über ihre mangelnde Bereitschaft klagen, sich körperlich anzustrengen.

Kinder, die sich nicht bewegen, verursachen keine Hektik und könnennichts kaputtmachen.
Vorwürfe müssen sich Jugendliche aber nicht gefallen lassen. Ihr Leben ist bereits stressig genug. Viele sind Einzelkinder, und damit stehen sie allein gegen zwei Erwachsene, die alle ihre Hoffnungen auf sie konzentrieren, mögen sie noch so dumm, häßlich und phlegmatisch sein. Was gut und richtig ist, haben bereits Generationen vor ihnen entschieden. Sie dürfen nur noch auf die Straße gehen und dafür eintreten. In der Schule sitzen sie unterdessen auch nachmittags die Zeit ab. Wie sollen sie da noch ein Stündchen einplanen, um sich zu bewegen und das womöglich auch noch in freier Natur? Manchmal stecken sie die Eltern in irgendwelche Sportvereine. Doch da vereinzeln sie in Leichtathletik oder Schwimmen, oder sie verrohen in konfrontativen Mannschaftssportarten wie Fußball. Beides ist ethisch inakzeptabel. Verschwörungstheorien zufolge sind es aber sowieso die Eltern, die hinter allem stecken. Kinder, die sich nicht bewegen, verursachen keine Hektik, machen nichts kaputt und können sich nicht verletzen. Seit Menschengedenken haben Eltern nichts anderes ersehnt.