© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Frühling der Rechten
Vor den Wahlen zum EU-Parlament: Eine Fraktion für alle Rechten – das ist der Plan des italienischen Lega-Chefs Salvini
Marco Gallina

Der rechte Frühling läßt Europa nicht zur Ruhe kommen. Am 20. März erschütterte das „Forum für Demokratie“ die niederländischen Provinzwahlen und errang die meisten Sitze. Der neue starke Mann der europäischen Rechten, der italienische Lega-Chef Matteo Salvini, ließ sich die Chance nicht entgehen. Über seine rechte Hand im EU-Parlament, den Abgeordneten Marco Zanni, ließ er verkünden: Die niederländische Kraft soll Teil der neuen Rechtsfraktion nach den Wahlen werden. Ein ähnliches Angebot ging in die Richtung der Partei Vox, die 2018 bei den spanischen Regionalwahlen in Andalusien und der Extremadura Achtungserfolge errungen hatte.

Bisher kanzelten die etablierten Fraktionen die rechten, souveränistischen und EU-skeptischen Parteien als Übergangsphänomen ab. Die Illusion hielt, weil in den Umfragen die rechten Fraktionen immer noch geteilt gewertet werden. Tatsächlich könnte dagegen eine vereinte europäische Rechte drittstärkste Kraft werden. Daß Manfred Weber – EVP-Fraktionsvorsitzender im EU-Parlament und CSU-Vizechef und möglicherweise Kommissionspräsident in spe – EU-skeptischen Parteien die Finanzierung entziehen will, ist ein Hinweis, daß Brüssel Gefahr wittert.

Salvini spekuliert auf Polen, Slowenen und Bulgaren

Nicht die EU zerstören, sondern die EU reformieren – das soll das Ziel der anberaumten Fraktion „Allianz der europäischen Völker und Nationen“ (AEPN) sein. Salvini will persönlich durch Frankreich, Deutschland und Österreich touren, Videobotschaften an weitere EU-Länder senden. In diesem Monat noch trifft sich sein Vertrauter Zanni mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán. Der hatte bis zuletzt versucht, die Rechte seiner Partei Fidesz in der Europäischen Volkspartei (EVP) zu wahren – vergeblich. Nach der Suspension der Fidesz eröffnet sich die Möglichkeit, Orbán in eine geeinte EU-skeptische Fraktion aufzunehmen.

Zanni will es dabei aber nicht belassen: „Wir wissen, daß es in der EVP noch andere Delegationen gibt, die eine andere Politik wollen.“ Zanni nannte die Slowenische Demokratische Partei (SDS), die noch lange vor der Flüchtlingskrise weit nach rechts rückte, sowie die Partei „Gerb“ des bulgarischen Premiers Bojko Borissow. Zudem spekulieren die europäischen Rechten auf die polnische Regierungspartei PiS, deren aktuelle Fraktion nach dem Wegbrechen der britischen Konservativen an Bedeutung einbüßt.

Höhepunkt soll ein gemeinsames Treffen vor der Wahl in Mailand werden. Alte Weggefährten Salvinis sind bereits fest eingeplant: der österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ, Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National (früher Front National) und Geert Wilders von der niederländischen Freiheitspartei. Auch die Schwedendemokraten und die AfD seien zur Großveranstaltung eingeladen. Ein gemeinsames Manifest will die AEPN bereits im April vorstellen.

Stimmungslage in sechs ausgewählten EU-Staaten (rechts): Meinungsforschungsinstitute haben vom 20. Februar bis 1. März in Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Spanien und Österreich unter insgesamt 9.684 Personen nach den drei Hauptproblemen gefragt, die den Bürgern in den jeweiligen Ländern am meisten auf den Nägeln brennen. Insa befragte 4.000 Deutsche und 1.000 Österreicher. 17 Antwortmöglichkeiten aus den Themenbereichen Wirtschaft, Infrastruktur, Migration, Innere Sicherheit, Klima, Gesundheit und Rente standen zur Auswahl. Die Befragung förderte zutage, daß in den verschiedenen Ländern die Menschen ganz unterschiedlich der Schuh drückt. In Deutschland und Österreich spielt die Masseneinwanderung und ihre Folgen eine große Rolle, wohingegen in Polen das chronisch schlechte Gesundheitswesen die Bürger plagt.

Belgien

Der Vlaams Belang (VB) ist als Regionalpartei im Landesteil Flandern mit dem 32jährigen Tom Van Grieken an der Spitze die drittstärkste Kraft. Die Partei ging 2004 aus dem vormaligen Vlaams Block hervor. Hauptpunkt ist ihr Kampf für eine unabhängige flämische Republik. Sie setzt sich für ein Abtreibungsverbot ein und fordert ein höheres Kindergeld. Eine anvisierte Zusammenarbeit mit der französischsprachigen Partei Démocratie Nationale wurde vereitelt – durch deren Festhalten an der Einheit Belgiens. (mp)

Frankreich

Die Partei sieht sich selbst als Bewahrer der Werte „Identität, Tradition und Souveränität“. Seit der Gründung im Jahr 1972 ist sie stark von der Familie Le Pen beeinflußt. Die Vorsitzende Marine Le Pen fokussiert eine Beschränkung der Einwanderung aus nichteuropäischen Ländern und die Stärkung der nationalen Marktwirtschaft. Außenpolitisch vertritt der RN die Idee eines „Europas der Nationen“ und setzt sich für den Austritt aus der Nato ein. (mp)

Italien

Ursprünglich kommt die Lega aus dem Norden Italiens. Hier forderte sie seit der Gründung 1989 wiederholt die Abspaltung der wohlhabenden Regionen. Sie unterstützt in den jeweiligen Regionen den Erhalt der Traditionen und Dialekte und tritt für Föderalismus ein. Parteichef Matteo Salvini regiert seit den Parlamentswahlen 2018 als Innenminister gemeinsam mit der Fünf-Sterne-Bewegung, die mit Luigi Di Maio den Wirtschaftsminister stellt. Die Lega erhält mit ihrer scharfen Sicherheits- und Migrationspolitik auch aus dem Süden der Republik zunehmend Zuspruch. (mp)

Ungarn

Ursprünglich wurde die Partei 1988 von 37 Intellektuellen als „Bund Junger Demokraten“ gegründet. Der heutige Ministerpräsident und Parteivorsitzende Viktor Orbán tritt für Familien und ein Gesundheitssystem ohne Zusatzkosten ein. Die Fidesz-Regierung stoppte seit März 2017 die Weiterreise illegaler Migranten. Am 20. März beschloß die europäische EVP, den Fidesz bis auf weiteres zu suspendieren. (mp)

Schweden

Die Partei unter dem Vorsitz von Jimmie Akesson entstand aus der Bürgerrechtsbewegung „Bewahrt Schweden schwedisch“. Die SD betrachten die Integrationspolitik im Land als gescheitert, fordern den Erhalt der schwedischen Kultur und treten gegen eine Islamisierung ein. Sie wollen Schwedens Austritt aus der EU. (mp)

Finnland

Die 1995 als „Wahre Finnen“ (PS) gegründete Partei geriet zuletzt in Turbulenzen, als sich nach der Wahl des neuen Vorsitzenden Jussi Halla-aho 2017 ein Teil der Fraktion im Reichstag abspaltete und Timo Soini, der die Partei 20 Jahre lang führte und zur zweitstärksten Kraft gemacht hatte, die moderatere Blaue Zukunft gründete. Die PS decken das klassische Themenfeld ab: rechts (für Asylrechtsverschärfung), etwas christlich (gegen gleichgeschlechtliche Ehe), etwas links (Anhebung der Steuer auf Kapitalgewinne). Nach einer aktuellen Umfrage werden die PS bei der Reichstagwahl am 14. April leicht verlieren. (ru)

Dänemark

Die Politik der DF unter Kristian Thulesen Dahl steht nach eigenem Anspruch unter dem Motto „Gott, König und Vaterland“, wodurch die Partei mehr als alle anderen Fraktionen mit dänischen Werten verbunden wird. Die Sozialpolitik der 1995 gegründeten Formation  (etwa 16.000 Mitglieder) ist sozialdemokratisch ausgerichtet. Als Koalitionspartner legte sie strengere Regeln in Hinblick auf „nichtwestlichen Zuzug“ und den Familiennachzug fest. (mp)

Slowakei

Die Slovenská národná strana (SNS) gehört klar zu den erfolgreichen rechten Parteien in der EU: Sie regierte dreimal in Preßburg mit. Seit dem Wiedereinzug in den Nationalrat 2016 ist sie Juniorpartner in einer Dreierkoalition. Die im Dezember 1989 gegründete SNS knüpft ideologisch an die gleichnamige Partei aus der Vorkriegszeit an. Nach westeuropäischen Maßstäben galten „die Nationalen“, wie deren Anhänger in der Slowakei genannt werden, lange als rechtsextrem. Ab der Jahrhundertwende schlug sie einen nationalkonservativen Kurs ein und arbeitete, ungeachtet chauvinistischer Rhetorik, pragmatisch in den jeweiligen Kabinetten mit. Sie vertritt protektionistische Positionen, verteidigt die Benesch-Dekrete, schimpft auf Roma und Ungarn, warnt vor Islam und Einwanderung, geht gegen LGBT-Propaganda vor, lehnte zusammen mit den Kommunisten den Nato-Beitritt ab und sympathisiert mit Putin-Rußland. Eine Untersuchungskommission stellte im Januar fest, daß die Doktorarbeit von Parteichef Andrej Danko fast vollständig plagiiert war. (ru)

Niederlande

Das Forum für Demokratie hat bei den Provinzwahlen vom 20. März 14,4 Prozent der Stimmen geholt und ist knapp stärkste Kraft geworden. Das Forum wird voraussichtlich 13 von 75 Sitzen in der ersten Parlamentskammer einnehmen. Der Jurist und EU-Kritiker Thierry Baudet gründete das Forum 2015. Ziel sei es, das „Parteien-Kartell“ zu durchbrechen. Das Forum will im Falle einer Regierungsbeteiligung nur Fachleute als Minister einsetzen. (mp)

Polen

Die polnische Recht und Gerechtigkeit (PiS), die in Warschau die Regierung stellt, ist ein Schwergewicht unter den EU-skeptischen Rechtsparteien Europas und untrennbar mit dem Namen des mächtigen „Präses“ Jaroslaw Kaczynski verbunden. Sie nimmt unter den im weitesten Sinne rechtsgerichteten Parteien in der EU insofern eine Sonderstellung ein, als daß sie dezidiert nicht pro-russische Positionen einnimmt. Die Nord-Stream-Erdgasleitungen lehnte sie von Anfang an ab, unterstützte die Demokratiebewegung in der Ukraine und verurteilte die Annexion der Krim. Außerdem lastet Smolensk (Flugzeugabsturz, Tod des Staatspräsidenten Lech Kaczynski 2010) auf dem Verhältnis zum Kreml. Ob die PiS in die angepeilte AEPN-Fraktion einsteigen wird, ist daher fraglich. (ru)

Niederlande

Die Geert-Wilders-Partei legte bei der Parlamentswahl vor zwei Jahren um fast drei Prozentpunkte zu und  wurde zweitstärkste politische Kraft, blieb aber hinter den Erwartungen zurück. Premier Mark Rutte schloß die Anti-Islam-Partei von der Regierungsbildung aus. Die Partei hat nur ein  einziges Mitglied: den Vorsitzenden Geert Wilders. Damit sollte verhindert werden, daß die Formation von „den falschen Leuten übernommen“ werde. Die Partei versteht sich selbst als nationalliberal und fordert einen Einwanderungsstopp für Moslems sowie ein Verbot des Korans. Wirtschaftlich will sie weniger Abgaben an die EU, geringere Investitionen in Windkraft und mehr Geld für Kernkraftwerke. (mp)

Spanien

Die 2013 gegründete Partei entstand als Abspaltung der christdemokratischen Spanischen Volkspartei (PP).  Sie steht unter dem Vorsitz von Javier Ortega Smith für mehr Zentralisierung und wendet sich strikt gegen katalanische oder baskische Autonomiebestrebungen. Sie spricht sich gegen Abtreibungen sowie Ehen unter gleichgeschlechtlichen Paaren aus,  kritisiert den Multikulturalismus, ist aber offen für eine Einwanderung aus Lateinamerika, um der Entvölkerung Spaniens entgegenzuwirken. Bei der Regionalwahl im südspanischen Andalusien im Dezember 2018 errang die Partei knapp elf Prozent der Stimmen. (mp)

Österreich

Die bereits 1950 gegründete FPÖ verzeichnete durch zuwanderungskritische und sicherheitsbetonte Themen in den vergangenen Jahren einen starken Zuwachs an Wählern und Mitgliedern. Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 entfiel die Hälfte der Stimmen auf den freiheitlichen Kandidaten Norbert Hofer. Seit 2017 stellt die FPÖ den Juniorpartner in der Regierungskoalition mit der ÖVP. Parteivorsitzender Heinz-Christian Strache ist Vize-Kanzler. (mp)

Litauen

Die EU-skeptische, rechtspopulistische Partei „Ordnung und Gerechtigkeit (Liberaldemokraten) entsendet seit der EU-Mitgliedschaft Litauens Abgeordnete ins EU-Parlament und nimmt derzeit zwei der Litauen zustehenden elf Sitze ein. Im Seimas ist sie die kleinste Oppositionsfraktion. Gegründet wurde sie von dem früheren KP-Mitglied Rolandas Paksas, der vor 15 Jahren kurzzeitig Präsident Litauens war. Während Paksas das Land in EU und Nato führte, fährt die Partei einen Anti-EU-Kurs, tritt für enge Beziehungen mit Moskau ein, will die Rechte der russischen Minderheit stärken und spricht sich gegen LGBT-Förderung aus. Parteichef ist der Jurist Remigijus Žemaitaitis. (ru)

Lettland

Das Kürzel der rechten, EU-skeptischen Partei bedeutet ausgeschrieben „Wem gehört der Staat?“. Seit Januar ist sie Teil der Mitte-rechts-Regierungskoalition von Ministerpräsident Krišjanis Karinš und stellt unter anderem den Innenminister. Bei den Wahlen zur Saeima wurde die Formation auf Anhieb zweitstärkste Kraft. Motto der KPV ist „Der Staat muß bei sich selbst beginnen“, ihre Forderungen lauten „Lettland braucht radikale Veränderungen“ und „2050 wird Lettland 2,5 Millionen Bürger haben“ (heute sind es nur noch 1,95 Millionen Einwohner). Die KPV hat ihre Wähler unter jungen, lettischen Männern, bei denen der an Trump erinnernde Anti-Establishment-Kurs von Parteigründer Artuss Kaiminš gut ankommt. (ru)

Estland

Die Estnische Konservative Volkspartei (EKRE) ist der Senkrechtstarter unter den rechten Parteien im Osten Europas. Mit Warnungen vor Einwanderung, Medien-Monopolen, Zentralisierung und Rezession gelang ihr der dritte Platz bei den Parlamentswahlen im März. Die Zahl der Mandate im Riigikogu in Reval konnte sie mit 19 mehr als verdoppeln. Nicht ausgeschlossen, daß die von dem Historiker und früheren Diplomaten Mart Helme geführte Partei in eine Regierungskoalition eintritt – die Verhandlungen dauern derzeit noch an. (ru)