© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Pankraz,
Tunnel 23 und der Roboter als Lyriker

Man hat es kommen sehen: Die von Internet-Enthusiasten in Wien betriebene „Digitalkreativagentur Tunnel 23“ hat sich entschlossen, die künstliche Intelligenz (KI) auf die Lyrik loszulassen. Wie Pankraz einem launig-entsetzten Bericht des Online-Kulturmagazins Perlentaucher entnimmt, hat „Tunnel 23“ kürzlich an einem Lyrikerwettbewerb in Frankfurt am Main teilgenommen, und zwar mit einem von KI gedichteten Poem namens „Sonnenblicke auf der Flucht“. Die Verse klangen wie von Goethe oder Schiller in die Welt gesetzt; die Juroren waren beeindruckt.

Wie denn auch nicht? Auf ihrer Internetseite wirbt „Tunnel 23“ mit dem Kernsatz: „Egal, ob wir erfinden, entwickeln, designen, umsetzen oder alles gleichzeitig tun: Wir machen das richtig gut.“ Solche Töne lösen heutzutage fast ehrfürchtigen Respekt aus, nicht zuletzt bei subtilen Lyrikwettbewerben wie dem in Frankfurt, dessen Generalthema „Auf der Flucht“ lautete. 

Speziell dazu erklärte später  „Tunnel 23“ voller Genugtuung:  „Bei diesem Kunstprojekt verfolgten wir den Plan, die Jury mit einem außergewöhnlichen Machine Learning-Projekt zu beeindrucken. Nach feinen Justierungen zum Thema ‘Auf  der Flucht’ erschuf die von Tunnel 23 trainierte Künstliche Intelligenz ihr Gedicht. Dichtungen von Goethe und Schiller waren die Basis, um der KI Poesie zu lehren. Den krönenden Erfolg des KI-basierten Gedichts bildete die Aufnahme in den Gedichtband ‘Frankfurter Bibliothek’ der Brentano-Gesellschaft. Damit verwischt Tunnel 23 die Grenzen zwischen künstlicher und menschlicher Poesie.“


Die renommierte Lyrikerin Ulla Hahn war davon allerdings überhaupt nicht enchantiert, sie trieb eher Bangigkeit um: „Der Mensch mußte nicht mehr zugegen sein, wo er seine schriftliche Spur hinterließ“, schrieb sie in der FAZ. „Fragen über Fragen werfen sich da auf. Ist der Autor, oder allgemein gesprochen, der Künstler, überhaupt noch notwendig, um Literatur, Bilder, Musik zu schaffen?  (…) Eine KI namens Iamus komponiert Musik, die nach Schönberg klingt und schon vom London Symphony Orchestra gespielt wurde. Was kann der menschliche Künstler, was die Maschine nicht kann – oder können wird?“

Pankraz kann die Bangigkeit nur allzu gut nachempfinden. Wenn die Big-Data-Maschinen mit ihren Algorithmen uns Menschen jetzt auch noch das Gedichte-Verfassen abnehmen, ist Alarmstufe eins. Uns wird dann nicht mehr die Arbeit erleichtert (was ja die ursprüngliche Funktion der KI sein sollte), die Arbeit wird uns auch nicht einfach weggenommen, wie es in ähnlichen Fällen Krankenschwestern oder Hausbesorgerinnen widerfährt, sondern „wir alle“ werden zur Gänze weggenommen, unser ganzes inneres Fühlen und Sprechenwollen.

Aber was sind das für Figuren, die solche Eliminierungen in Gang setzen, die also den KI-Betrieb auch noch in die allerletzten Freiheitsbereiche der menschlichen Seele hineintreiben wollen? Sie nennen sich mit Vorliebe „Influencer“ („Einflußnehmer“), und es geht ihnen nicht im geringsten um höhere Antriebe, sondern einzig um private Profitmacherei. Das kalte Grausen kann einen überkommen, wenn man etwa einen Aufsatz von Paris Martineau in dem Technik-Magazin Wired über das Treiben von „Influencern“ bei Instagram und Youtube studiert.

„Während der traditionelle analoge Werbemarkt, vor sich hinsiecht“, scheibt Martineau, „fließen an die Influencer Summen im hohen fünfstelligen Bereich für Product-Placement, gekaufte Jubelbesprechungen oder gekaufte Verrisse von Konkurrenzprodukten. Ein fast schon mafiös anmutender Markt ist die Folge: Jemand mit drei Millionen Abonnenten berechnet üblicherweise mindestens 40.000 Dollar pro Video. Wünscht sich die Firma, daß ein Produkt eines Konkurrenten negativ besprochen wird, kostet das nochmal 10.000 bis 30.000 Dollar extra.“


Und weiter Martineau: „Influencer und Markenrepräsentanten, mit denen Wired sprach, schieben die nun rapide steigenden Preise auf ‘Agenten und Mittelsmänner’, die sich in der Branche in den letzten Jahren breitgemacht hätten. Alle  zusammen aber berechnen weiterhin ungeniert an die 20.000 Dollar pro Monat für ihren Dienst sowie einen Anteil von 20 Prozent auf jeden Deal.“ Kleinmütig, aber irgendwie hoffnungsvoll fügt er hinzu: „Freilich, selbst ein Influencer mit einer massiven Zahl enthusiastischer Follower wird mit einer einzelnen Video-Review wohl kaum je den direkten Umsatz einer Marke generieren.“ 

Zurück zu den Influencern von „Tunnel 23“ und ihrem poetischen, von der KI gedichteten Erfolgsbeitrag zum Lyrikertreffen „Auf der Flucht“. Auch ihnen wird es nicht gelingen, den Gesamtumsatz der Marke „Lyrik“ je zu generieren. Das wird ihnen wahrscheinlich ziemlich gleichgültig sein, doch sie sollten wenigstens daraus lernen, daß sie sich mit ihrem Zugriff auf die Lyrik gründlich vergriffen haben und daß sie nicht den geringsten Grund haben, sich darüber zu freuen, daß ihr Produkt  nun in einem Gedichtband der Brentano-Gesellschaft verewigt ist. Damit ist  die Gleichwertigkei von maschineller Kunst und menschlicher Kunst keineswegs anerkannt. 

Wie schrieb schon im 17. Jahrhundert der irische Aphoristiker und Menschenkenner Jonathan Swift? „Ein Gedichtbuch, verwahrt im Kämmerlein und nur wenigen Freunden gezeigt, ist wie eine viel bewunderte und viel umworbene Jungfrau, aber einmal gedruckt und veröffentlicht, ist es wie eine gewöhnliche Hure, die jeder für einen Gulden kaufen kann.“ Was hätte der Mann wohl zu dem Gedichtband der Brentano-Gesellschaft „Auf der Flucht“ gesagt? Rein gar nichts, würde Pankraz vermuten, er hätte nur panisch schweigend die Flucht ergriffen. 

Immanuel Geibel aber reimte hundert Jahre später definitiv: „Die schöne Form macht kein Gedicht, / Der schöne Gedanke tut’s auch noch nicht. / Es kommt drauf an, daß Leib und Seele / Zur guten Stunde sich vermähle“.