© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Hoffnungen alter Vertrauter
Filterlose Schauspielkünstler zwischen Köln und Berlin: Die Tragikomödie „Voll Rita!“ von Malte Wirtz läuft diese Woche im Kino an
Sebastian Hennig

In der selbstironisch durchkreuzten Oberflächlichkeit scheint der Vorzug von „Voll Rita!“ zu bestehen, den der Film einem verwandten Konversationsfilm gegenüber wie „Nur ein Tag in Berlin“ (JF 45/18) geltend machen kann. Dabei stammen beide Filme von einem Regisseur. Der Name der Produktionsfirma des Autorenfilmers Malte Wirtz, Unfiltered Artists, suggeriert bereits, daß hier das Leben selbst sowohl Drehbuch schreibt wie auch Regie führt.

Die Handlung wird in einem Satz beworben. „Mia braucht Geld, Linda will Thomas nicht heiraten ...“ lautet das Fazit für den innerhalb von vierundzwanzig Stunden abgedrehten Berlin-Film. „Voll Rita!“ als Fortsetzung des Vorgängerfilms, stellt in Aussicht: „Voll Paula! drei Jahre später – noch mehr Chaos!“ Die Charaktere aus „Voll Paula!“ (2015) sind weiterhin auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Die Frage nach einem Abschluß der Reihe bringt den Regisseur zum Lachen: „Vielleicht spielt der letzte Teil im Altersheim.“ Das müßte dann allerdings ein selbstverwaltetes Hospital sein, wenn sich die Protagonisten und ihre Generation bis dahin nicht wesentlich verändern. Bislang sieht es danach nicht aus.

Törichte Hoffnungen und bange Ahnungen beschäftigen Randy (Ulrich Fassnacht), Donnie (Eric Carter) und Max (Sebastian Kolb). Ein besonderer Kniff des Films liegt darin, das Paula und Louise nicht auftreten und nur am anderen Ende der Telefonverbindung bemerkbar werden. Ihre Freundin Rita (Anna Maria Böhm) kellnert in einer Kölner Bar. Mit ihren flauschigen, getigerten Ohrschützern läuft sie durch die februarkalte Stadt und spricht direkt in die Kamera. Gerade so als wären wir alte Vertraute, setzt sie uns ins Bild, wie es den anderen unterdessen gegangen ist, wo sie abgeblieben sind. Sofern der reduzierte Wortschatz, der schon im Filmtitel anklingt, eine bildliche Vorstellung überhaupt begünstigt. Jedenfalls ist man auch ohne Kenntnis des Vorgängerfilms rasch orientiert.

Der Vorspann hat die Kölner Clique bereits in schmal-hohen Handyfilmschnipseln sichtbar gemacht. Max verabredet sich mit Donnie. Nach einer demonstrativ herzlichen Begrüßung driftet das Gespräch bald in ein lauerndes Aushorchen ab. Der einfach gestrickte Max hat eine gute Rolle bekommen. Mißgunst keimt auf, und Neid auf unverdientes Glück macht sich breit. Donnie hat sich die Augen lasern lassen. Er trägt nun keine Brille mehr, aber seine Frau und seine Wohnung ist er ebenfalls losgeworden. „Wie das so ist. Die Frau behält alles.“

Gefühlsverwirrungen handgreiflich ausgetragen

Zwischendurch wird Randy gezeigt, wie er am Küchentisch in Friedrichshain vor sich hin klampft und in eine leere Bierflasche abascht. Es ist das typische Idyll des notorischen Versagers aus der Provinz. Berlin schließt dieses Exemplar in sich ein, wie der Bernstein die Mücke. Während Max mit Paula telefoniert, ergeben sich Widersprüche zu Donnies Erklärungen. Unheil zieht auf. Paula versetzt Max und schickt stattdessen Rita zu ihm. Die bringt ihm bei, daß Paula in Maxens Abwesenheit von Randy geschwängert wurde. Da hilft kein Barbesuch mehr, nur noch eine Flasche Wodka im kalten Park. Die Chronik eines angekündigten Suffs. „Wir knallen uns jetzt mal einen rein“, funkt Max Randy im fernen Berlin zu. Rita würde dem gekränkten Schönling gern nahekommen, aber nicht nur als Trösterin und Notnagel. Also reißt sie sich aus der alkoholisierten Umarmung los und steigt in den Zug nach Berlin. 

Dort findet sie sich zu Randy durch, dessen Nachdenken zumeist in den zwei Worten „Keine Ahnung“ gipfelt. Aus der Nähe besehen ist seine Hauptstadt-Karriere weit weniger blendend als am Telefon imaginiert. Als er im Park auf der Gitarre klimpert, kommt ein Filmregisseur daher. Das eingeworfene Geld nimmt er Randy wieder aus dem Hut, sobald er in ihm jenen lausigen Spieler von einem verjährten Casting wiedererkannt hat. In Begleitung seiner glamourösen Freundin Sandra Dannenberg spielt sich Karsten Speck mit dieser Rolle ein wenig selbst.

Die gute Seele Rita will Abhilfe für Randy schaffen. Auf einem S-Bahnhof trifft sie sich mit dem Szene-Pfadfinder Emil (Philip Schlomm). Gleich nach der Umarmung zieht der eine kleine Wasserflasche aus der Jacke, um daran zu zuzeln. Das ist alles sehr gut beobachtet und wiedergegeben. Rita und Emil reißen Randy aus seiner Lethargie und schleppen ihn zur Berlinale, dort soll er „Fresse zeigen, Leute treffen“. Für den Karrieresprung des Schwervermittelbaren wird die Dame in der kalten Winternacht zurückgelassen. Der clevere Emil vemochte nur zwei Karten für das Ereignis zu ergattern. Rita telefoniert mit Max und steigt mit Randys Wohnungsschlüssel in den Zug nach Köln. Dort werden die Gefühlsverwirrungen ein weiteres mal handgreiflich ausgetragen, als sie durch Zufall Max am Bahnhof trifft, der gerade Paula eine Rose gekauft hat. 

Rita muß nun ihre Schichten in der Bar nachholen. Sie kämpft sich durch den entfesselten Kölner Karneval. Zum Publikum wendet sie sich am Schluß des Films mit der fragenden Feststellung: „Wie war es eigentlich möglich, daß diese Ereignisse zu nichts geführt haben. Dabei hatte sich doch so viel ereignet. Aber nichts hat sich verändert.“ Es gilt offenbar nicht mehr, daß jeder Hans seine Grete findet.

„Voll Rita!“ ist dadurch ziemlich traurig anzusehen und dabei doch intelligent gemacht. Eine treffende Diagnose ist der erste Schritt zur Heilung.