© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Lauter Demütigungen
Die alliierte Besetzung des Rheinlandes nach 1918 vertiefte die Feindseligkeit besonders zu Frankreich
Christoph Bathelt

Mit dem Waffenstillstand 1918 nahm das militärische Massensterben sein offizielles Ende. Doch der Tod, die Gewalt und die Demütigungen an den besiegten Mittelmächten war noch lange nicht vorbei: Neben der Spanischen Grippe war es die völkerrechtswidrige britische Nordseeblockade, die über das Kriegsende hinaus fortgeführt wurde, um schließlich die Unterzeichnung des Versailler Vertrages zu erzwingen, die große Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung forderte. Nach den geschätzt 760.000 Toten während des Krieges kamen dann noch einmal 100.000 bis zum Sommer 1919 dazu.

Franzosen übernahmen auch die US-Besatzungszone

Am längsten und nachhaltigsten im Gedächtnis blieb allerdings die Entscheidung, die deutsche Westgrenze langfristig zu schwächen: Mit dem Waffenstillstand von Compiègne wurde vereinbart, daß mit dem Rückmarsch der deutschen Armeen fast unmittelbar Einheiten der Amerikaner, Briten, Belgier und Franzosen Anfang 1919 folgen sollten. Nicht nur der Rhein sollte, dem jahrhundertealten französischen Traum folgend, die Grenze bilden und damit die Pariser Wünsche auf der Versailler Konferenz präjudizieren, sondern eine dreißig Kilomter breite entmilitarisierte Zone auch östlich des Rheins wurde nach Plänen von Ministerpräsident Georges Clemenceau und Generalstabschef Marschall Ferdinand Foch durchgesetzt. 

In typischer Bürokratenmanier entschied man sich für drei konzentrische Kreise – der eine um den Brückenkopf Köln, die britische Zone markierend, einer um Koblenz für die US-Amerikaner, und um Mainz, für die Franzosen. Diese Schreibtischaktion führte zu mehreren unbesetzten Gegenden außerhalb dieser Kreise, die freies Reichsgebiet blieben, aber verkehrstechnisch isoliert waren und von denen die sogenannte „Republik Flaschenhals“, ein Gebiet nördlich des Rheingaus, die bekannteste war. Hier blühte einige Zeit der Schmuggel und ein gewisser Geist des Widerstands mit eigener Währung, bis es letztendlich 1923 auch von den Franzosen besetzt wurde. 

Als zeitlicher Rahmen wurde vorgegeben, daß die britische Besatzungszone nach fünf Jahren, die amerikanische nach zehn und die französische nach fünfzehn Jahren geräumt werden sollte, sofern Deutschland seinen Zahlungsverpflichtungen nachkam. Da die US-Amerikaner den Vertrag von Versailles jedoch nicht ratifizierten, übernahmen die Franzosen 1923 deren Gebiet um Koblenz. Bevor sie die Stadt verließen  setzte der US-General Allen bei Marschall Foch immerhin durch, daß die Festung Ehrenbreitstein trotz anderslautender Festlegungen im Versailler Vertrag aufgrund ihrer großen kulturhistorischen Bedeutung nicht geschleift werden dürfe.

Bemerkenswert bleibt die solidarische Haltung seitens der Bevölkerung untereinander: Der Kontakt mit den fremden Soldaten war auf ein Minimum beschränkt, in der Kölner Oper drehten sich die Besucher um, wenn britische Offiziere das Foyer betraten. Durch die Ruhrbesetzung 1923 bis 1925 aufgrund verspäteter Reparationslieferungen eskalierte die Lage weiter. Die Reichsregierung unter Wilhelm Cuno rief zum passiven Widerstand auf, die Mitarbeiter der Reichsbahn gingen nach Hause und nahmen wichtige Dokumente mit, Lokomotiven wurden abgezogen, Sabotageakte verübt. Die Besatzungstruppen reagierten mit 150.000 teilweise drakonischen Strafen, Gefängnishaft und Ausweisungen von Eisenbahnerfamilien. 137 Menschen wurden Opfer französischer Exekutionen. Die Hinrichtung des bekannten Freikorpskämpfers Albert Leo Schlageter auf der Golzheimer Heide nahe Düsseldorf machte diesen über das Milieu der politischen Rechten hinaus zum Märtyrer.

Kolonialtruppen wurden als Demütigung aufgefaßt

Heutige Historiker, die viele Schilderungen von damals als „nationalistische Propaganda“, „Chauvismus“ oder gar „Rassismus“ bezeichnen, beschränken dieses Verdikt oft auf die besetzten Deutschen im Rheinland. Dabei waren die Franzosen von ganz ähnlichen Motiven geprägt. So setzten sie ganz bewußt afrikanische Kolonialtruppen ein, deren rauhe Methoden nicht nur für Empörung sorgten, sondern mit dem rassistischen Motiv, die besiegten Feinde mit dieser „Schwarzen Schmach“ zu demütigen. So gab es beispielsweise nächtliche Ausgangssperren, und wer dagegen verstieß, wurde von den Spahis an ein Pferd gebunden und im Laufschritt zur Wache gebracht. Doch auch für die Algerier und Senegalesen war die Zeit kein Vergnügen, so zeugen auch heute noch zahlreiche Grabsteine am Mainzer Hauptfriedhof von den Folgen des ungewohnten und kalten Wetters. Folge dieser Okkupation waren auch die sogenannten „Rheinlandbastarde“. Das Schicksal der laut amtlicher Registrierung 385 afrodeutschen Kinder war lange Zeit ein Tabuthema.

Die Franzosen versuchten zwar, sogenannte „Separatisten“ zu unterstützen – mit der „Pfälzischen“ und der „Rheinischen Republik“ –, diese sollten einen neuen Staat ausrufen und sich langfristig Frankreich anschließen. Sie scheiterten bereits im Ansatz und fanden in der Bevölkerung überhaupt keine Unterstützung, die Anführer wurden teilweise ermordet.

Erst mit dem Vertrag von Locarno erreichte Reichsaußenminister Gustav Stresemann eine Räumung der Zone um Köln im Jahr 1926. 1929 in Folge des Young-Planes räumten Briten, Franzosen und Belgier die Zone um Koblenz, am 30. Juni 1930 war es dann in Mainz soweit: Auch hier zogen die Besatzungstruppen ab. Reichspräsident Paul von Hindenburg, der die befreiten Gebiete besuchte, wurde von begeisterten Menschen begrüßt, Drei- und Fünfmark-Münzen wurden geprägt mit dem Zitat Ernst Moritz Arndts „Der Rhein – Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze“.