© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/19 / 12. April 2019

„Plastik ist ein toller Stoff!“
Ist Plastik der neue Menschheitsfeind? Der Chemiker David Schiraldi, der in Ohio ein Mekka der US-Kunststofforschung leitet, gibt Antwort
Moritz Schwarz

Herr Professor Schiraldi, wie werden wir das Plastikproblem los? Einfach verzichten?

David Schiraldi: Keine gute Idee, denn Plastik ist ein wertvoller Werkstoff:  Schußfeste Westen, Sicherheitsglas, widerstandsfähigere Flug- und Fahrzeuge – Plastik hat schon vielen Menschen das Leben gerettet. Und noch mehr verdanken wir ihm zum Beispiel in der Medizin.

Aber es verschmutzt die Umwelt. 

Schiraldi: Nein, Plastik schont die Umwelt: Ein modernes Flugzeug aus Verbundwerkstoff ist um 75 Prozent leichter als eines aus Aluminium, verbraucht also weit weniger Treibstoff – und seine Herstellung viel weniger Energie! Würden wir Kunst- durch die Werkstoffe ersetzen, die sie einst abgelöst haben, wäre das so energieintensiv, daß wir zusätzliche Kraftwerke brauchten. Und:  Nicht Plastik, der Mensch verschmutzt die Umwelt! Plastik ist auch kein Abfall, sondern ein Rohstoff, es besteht aus Öl.

Was ist also die Lösung? 

Schiraldi: Sammeln und wiederverwerten!

Das tun wir in Deutschland. Doch nur 5,6 Prozent werden recycelt. Warum? 

Schiraldi: Weil zu viele verschiedene Kunststoffe in der Sammlung landen. Weil teilweise in ein und demselben Produkt unterschiedliche Plastiksorten verklebt sind. Und weil sich nur bestimmte Produkte aus so einer Mischplastikmasse herstellen lassen. 

Was also tun? 

Schiraldi: Derzeit werden Kunststoffverpackungen für Verbraucher nach Marketinggesichtspunkten ausgewählt. Statt dessen müßte die Wiederverwertbarkeit ausschlaggebend sein und die Zahl der Plastiksorten reduziert werden.

Ist nicht jedes Plastik wiederverwertbar? 

Schiraldi: Joghurtbecher, Limoflaschen, Einkaufstüten – kein Problem. Wenn sie denn ordentlich gesammelt werden und nicht in der Umwelt landen. Einige Plastikprodukte jedoch bestehen, wie gesagt, aus verschiedenen Kunststoffen. Die ließen sich zwar auch trennen, doch ist das so aufwendig, daß der Energieverbrauch dafür den Energiegewinn durch die Wiederverwertung übersteigt.

Was ist mit Verbrennen?  

Schiraldi: Das ist eine Möglichkeit. Leider habe ich die Daten nicht zur Hand, aber es ist sogar möglich, daß die Energieeffizienz bei Plastik über der von Kohle liegt. Verbrennt man Kohle, bleibt Asche und anderes übrig – Bestandteile, die nicht verbrennen. Plastik ist aus Öl und verbrennt dagegen weitgehend. 

Dabei entstehen aber doch giftige Gase.    

Schiraldi: Die lassen sich vollständig herausfiltern. Das Problem ist vielmehr, daß durch die Verbrennung freiwerdende CO2, das man nicht auffangen kann und das zur Klimaerwärmung beiträgt. Allerdings ist das kein spezifisches Problem von Plastik, sondern entsteht bei der Verbrennung aller kohlenstoffhaltigen Materialen – Gas, Öl, Kohle etc.  

Warum verbrennen wir dann nicht alles Plastik, solange wir noch Kohle nutzen?

Schiraldi: Ich meine, Verbrennen ist einfach Verschwendung. Zehnmal kann man ein Stück Plastik recyceln, erst dann sollten wir es verbrennen und so die darin enthaltene Energie noch mal nutzen.  

Wenn Plastik aus Öl besteht, warum verwandeln wir es nicht einfach zurück?

Schiraldi: Weil das derzeit noch mehr Energie kostet, als das so gewonnene Öl liefert. Aber hier könnte die Forschung neue Wege finden, daran wird gearbeitet. 

Warum eigentlich verrottet Plastik nicht einfach wie anderer Müll? 

Schiraldi: Weil wir Chemiker so überaus schlaue Köpfe sind, denen es gelungen ist, ein so tolles Material zu entwickeln! Spaß beiseite – doch es stimmt schon: Plastik ist deshalb ein so guter Werkstoff, weil wir seine Moleküle so stabil machen können – daher seine hervorragenden Eigenschaften. Die Kehrseite dieses Erfolgs ist aber seine Resistenz gegen Fäulnisbakterien. Warum zersetzt sich etwa Holz? Weil Mikroorganismen es auffressen. Diese hatten von Beginn der Welt an etwa vier Milliarden Jahre Zeit zu entstehen. Plastik dagegen gibt es erst seit Jahrzehnten. Ich vermute aber, daß in weiteren vier Milliarden Jahren sich Organismen entwickelt haben, die auch Plastik natürlich zersetzen.    

Wieso gibt es dann biologisch abbaubares Plastik? 

Schiraldi: Weil man Polymere auch so gestalten kann, daß sie sich zersetzen. Das Problem ist nur, daß solche Kunststoffe viele der Eigenschaften nicht haben, wegen derer wir Plastik produzieren. Klar, Joghurt kann man darin schon abfüllen, aber daraus einen Jet bauen, nein. 

Ist dann die Antwort, wenigstens auf die Flut an Verpackungsplastik, das ins Meer gelangt, nicht doch abbaubarer Kunststoff? 

Schiraldi: Ich meine, sammeln und verbrennen ist besser. Eben haben wir gelernt, was beim Verrotten passiert: Mikroorganismen Verdauen – Verdauen aber ist nichts anderes als verbrennen; nur eben statt unter hoher Hitze im Kraftwerk, langsam durch Mutter Natur. Verbrennen aber verursacht  –CO2. Wenn wir also unsere Atmosphäre schon damit belasten, Kunststoff auf diese Weise zu entsorgen, dann besser im Kraftwerk zu unserem Nutzen als zu dem irgendwelcher Bakterien. 

Ist Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen die Lösung?

Schiraldi: Nein, es schont zwar unsere Ölreserven, verhält sich beim Entsorgen aber wie jedes Plastik, ist etwa trotz pflanzlicher Herkunft nicht abbaubar. Aber davon halte ich ja ohnehin nichts. 

Verschwindet abbaubares Plastik tatsächlich oder zerfällt es nur zu Mikroplastik?

Schiraldi: Rein abbaubares Plastik zersetzt sich. Besteht ein Produkt jedoch nur zum Teil daraus, zerfällt es zwar und kann so für uns optisch verschwinden, aber der nichtabbaubare Kunststoffanteil bleibt übrig – und wirkt sich als Mikroplastik noch schlimmer aus als ein großes Stück Kunststoff, da es über die Nahrungskette in Tiere und Pflanzen und so leicht auch in den Menschen gelangen kann, wo es sich in unserem Organismus ablagert und diesen schädigt. Deshalb ist es so wichtig, daß wir das Problem unbedingt ernst nehmen. Nicht indem wir Plastik verdammen, sondern indem wir endlich anfangen, verantwortungsvoll damit umzugehen.   






Prof. Dr. David Schiraldi, geboren 1956 in Nord Carolina, ist Inhaber des Lehrstuhls am Institut für Makromolekularforschung der Case Western Reserve Universtiy in Cleveland/Ohio, die 2017 als beste US-Universität im Fach Polymer- und Kunststofftechnologie ausgezeichnet wurde. 

 

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