© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/19 / 12. April 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Wer im Glashaus sitzt
Paul Rosen

Selbstbedienungsladen zu sein wird politischen Institutionen häufig vorgeworfen. Und der Vorwurf ist mit Blick auf das Finanzgebaren der Bundestagsfraktionen nicht von der Hand zu weisen. 115 Millionen Euro standen den sechs Fraktionen im vergangenen Jahr zu. Nachdem mit der AfD 2017 eine neue Fraktion hinzukam und der FDP der Wiedereinzug ins Parlament gelang, hätten aus dem Steuermillionen-Kuchen eigentlich kleinere Stücke herausgeschnitten werden müssen, um auch die Neuankömmlinge zu bedienen. Weit gefehlt. Die Zuschüsse an die Fraktionen wurden kurzerhand um 30 Prozent angehoben.

Die in der Öffentlichkeit kaum beachtete Fraktionsfinanzierung ist prinzipiell strengen Regeln unterworfen. So dürfen die Mittel und die Fraktionsmitarbeiter nicht für Wahlkampfzwecke eingesetzt werden. „Wenn die anderen Plakate kleben, schieben wir eine ruhige Kugel“, berichtet ein Mitarbeiter einer großen Fraktion. Immer stimmt das nicht. So hat der Bundesrechnungshof das Ausgabenverhalten der Bundestagsfraktionen im Wahljahr 2013 untersucht. Die Prüfer entdeckten massive Rechtsverstöße. 

Die Fraktionen hätten die ihnen zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel teilweise „rechtswidrig für Parteiaufgaben“ eingesetzt. Bei Union und Grünen ist im Rechnungshofbericht von einzelnen Fällen die Rede, bei SPD und Linkspartei von mehreren. Bei der SPD fiel beispielsweise auf, daß die Fraktion die über 126.000 Euro für ihr pompöses „Hoffest“, bei dem überwiegend Medienvertreter und Lobbyisten eingeladen waren, nicht als „Öffentlichkeitsarbeit“ verbucht hatte.

Besonders heftig trieb es die FDP-Fraktion, die „in erheblichem Umfang öffentliche Mittel zweck- und damit rechtswidrig für Parteiaufgaben“ eingesetzt habe, wie der Rechnungshof in seinem 146 Seiten starken Bericht feststellt. Ermittelt wurde anhand weniger noch auffindbarer Unterlagen. Denn nachdem die FDP bei der Wahl 2013 unter fünf Prozent geblieben war und keine Abgeordneten mehr in den Bundestag einzogen, wurde die zuletzt von Rainer Brüderle und seinem Geschäftsführer Jörg van Essen geführte Fraktion liquidiert. Wichtige Unterlagen wurden geschreddert. Es gibt offenbar keine Regeln, wie mit Unterlagen von Fraktionen nach deren Auflösung zu verfahren ist. Damit haben sich Politiker wieder Vorteile verschafft: Selbständige müssen ihre Unterlagen viele Jahre aufbewahren und selbst kleine Zahlungen belegen können. Andernfalls können sie die ganze Härte des deutschen Hochsteuerstaates erleben. 

Der Ruf nach Härte bei möglichen Rechtsverstößen von Politikern ist von den alten Fraktionen nur zu hören, wenn es um die neue, unliebsame Konkurrenz geht. Nachdem Vorwürfe laut geworden waren, die AfD habe rechtswidrig Spenden angenommen, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider: „Eine solche Finanzierung von Wahlkämpfen vorbei an jeglichen Transparenzpflichten darf es in Zukunft nicht mehr geben.“ Schneider sollte sich an eine alte Weisheit erinnern: Wer im Glashaus sitzt, sollte besser nicht mit Steinen werfen.