© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/19 / 12. April 2019

Grüße aus Brüssel
Unterwegs in Party-Town
Albrecht Rothacher

In Robert Menasses gründlich mißratenem, preisgekröntem EU-Roman „Die Hauptstadt“ sind die Schilderungen der Kneipen des Brüsseler Europaviertels, wie „La Terrasse“ und „James Joyce“, in denen sein wirrer Held raucht und säuft, die einzig stimmigen Episoden. 

Tatsächlich gibt es dort Gastgärten für Raucher. In jenem Viertel existieren Dutzende solcher meist anglo-irischer Kneipen, wie „Hairy Canary“, „Wild Geese“, „Fat Boys“, „Kitty O’Shea“ (wo man manchmal auch Kommissare an der Theke trifft) oder „Coin du Diable“ (dem – nomen est omen – Geheimtreff deutscher Parlamentarier), wo gestreßte EU-Beamte und durstige Lobbyisten sich entspannen, bevor sie sich in die Partyszene des Place du Luxembourg (Luxemburgplein) stürzen, wo sich allabendlich im Schatten des Parlaments Hundertschaften von Praktikanten aller Länder versammeln, um bis nach Mitternacht zu chillen, zu feiern und zu flirten.

Starkbiere, die so lustige Namen wie „Delirium“, „Mort subite“, „Petrus“ oder „Judas“ haben.

Echte belgische Bierkneipen sind eine ruhigere Angelegenheit – nicht zu verwechseln mit den teuren Edelrestaurants um St. Catherine oder den Touristenfallen um den Grand Place, wo Horden von Südeuropäern, Amerikanern, Indern und Chinesen lärmend einfallen. 

In der Brüsseler Traditionskneipe sitzt man brav an kleinen Holztischen vor seinem Kaffee oder 30cl Bier, liest still die Sportzeitung oder betrachtet das Straßenleben durch große Fensterscheiben. 

Alte Ehepaare nippen stundenlang schweigend an ihren Kloster-Starkbieren, die so lustige Namen wie „Delirium“, „Mort subite“, „Petrus“ oder „Judas“ haben. Die jüngere Generation sitzt sich ebenso unkommunikativ, am Smartphone tippend, in ihren separaten Internet- und dazugehörenden Instagram-Twitter-Facebook-Welten, gegenüber. 

Der Kellner bringt die Neigungen seiner Stammkundschaft auch ohne Bestellung. In Ermangelung einer eigenen Küche darf man meist auch die Fritten oder Pommes mit den vielen Majo-Soßen aus der nahen Friterie im Lokal verzehren.  

Das Angenehme an jenen kleinbürgerlichen Varianten des Wiener Kaffeehauses ist, daß man hier auch ungestört schreiben kann und dennoch mehr menschliche Wärme empfindet als am eigenen Schreibtisch. Gottlob sind sie auch deutlich billiger als zum Beispiel die Pariser Straßencafés – und garantiert ohne US-Amerikaner und Araber.