© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/19 / 12. April 2019

Ins Innere der Seele schauen
Ausstellung: Die Dresdner Gemäldegalerie zeigt zwei Dutzend Bilder des Schweizer Porträtmalers Anton Graff
Paul Leonhard

Große, intensiv blickende Augen, markante Nasenlappenfurchen, schmale Lippen, eine von einem Schlaglicht beleuchtete Stirn – Anton Graffs Porträt Friedrichs des Großen gilt als Meisterwerk. Die Zeitgenossen hielten das um 1781/86 entstandene Ölbild unter den vielen Porträts des Preußenkönigs für das, was der Wirklichkeit am nächsten kam. Dabei hatte der Monarch dem sächsischen Hofmaler nicht einmal Modell gesessen. Graff mußte sich mit Skizzen begnügen, die ihm während Truppenparaden aus kurzer Entfernung möglich gewesen waren.

Der aus der Schweiz stammende Anton Graff (1736–1813) war zu Lebzeiten der gefragteste Porträtmaler Deutschlands. In Dresden hatte ausgereicht, daß er sein „Jugendliches Selbstbildnis“ auf die Ausschreibung der Stelle des kurfürstlich-sächsischen Hofmalers einschickte, um ihm eine lebenslange Stellung zu verschaffen. Allerdings hatte sich Christian Ludwig von Hagedorn, Generaldirektor der Dresdner Kunstakademie, nachdrücklich für den jungen Maler eingesetzt, der seine Kunst selbst noch nicht für gut genug hielt, um sich in den Dienst des Hofes zu stellen. 

Aber die Sachsen lockten mit Geld. Hagedorn schrieb im November 1765 an den noch in Augsburg malenden Graff: „Damit Sie nicht ganz aufs ungewisse herkämen, der Hof Sie zum Versuche wenigstens drey Bildnisse, mit Händen daran, mahlen und auf solange ihnen ein freyes Quartier anweisen, auch jedes Bildniss, es möge höchsten Beyfall finden oder nicht, mit oder ohne Hand mit funfzig Thalern, und wenn das Bild zwo Hände habe, mit hundert K. Kulden [Konventionsgulden] oder 66 Rthlr. 16 Groschen bezahlen lassen.“ Hagedorn bot zudem 100 Taler Reiseentschädigung und 400 Taler Jahresgehalt. 

Ein halbes Jahr später war Graff in Dresden und sein Erfolg im kunstliebenden Sachsen, später auch in Berlin, nachhaltig. Wer im Land etwas von sich hielt, ließ sich vom neuen Star für die Ewigkeit festhalten: Adlige und Bürgerliche, Generale und Gelehrte, Minister und Kaufleute, aber auch die deutschsprachigen Dichter und Denker zwischen Aufklärung, Weimarer Klassik und Frühromantik.

Und Graff malte wie besessen. Er schuf knapp 2.000 Werke, davon etwa 1.250 Gemälde, zahlreiche Repliken, einige Landschaften und mehrere hundert Zeichnungen. 

Mit der Nachfrage stieg auch der Preis. Wer sich von Graff malen lassen wollte, mußte tief in die Tasche greifen. Während er in Augsburg für ein Porträt (Brust- oder Hüftbild) erst 20, später 30 Gulden verlangt und in Dresden von 1766 bis 1789 seine Preise auf 30 Taler erhöhte hatte, verlangte er bald 50 Taler für ein Porträt ohne Hände und bis zu 100 Taler, sollten beide Hände sichtbar sein.

Nicht alle Porträtierten zeigten sich zufrieden

Anton Graff schaue bis ins „Innere der Seele“, er „male nicht den Leib, sondern den Geist“, wie sein Schwiegervater Johann Georg Sulzer, ein Schweizer Kunstschriftsteller, urteilte. Dem Maler eilte der Ruf voraus, in seinen Porträts den Charakter eines Menschen präzise zu erfassen. 

Nicht alle Porträtierten lobten Graff. So schien Johann Friedrich Herder gar nicht zufrieden zu sein, als er 1785 sein Ölporträt in Empfang nahm. „Über sein Bild von Graff ist er nicht sehr zufrieden“; schrieb Friedrich Schiller an Christian Gottfried Körner: „Er holte mir’s her, und ließ mich’s mit ihm vergleichen. Er sagt, daß es einem italienischen Abbé gleichsehe.“ 

Graff wiederum hatte seine liebe Not mit Friedrich Schiller: „Das war ein unruhiger Geist, der hatte, wie wir sagen, kein Sitzfleisch.“ Schließlich gelang es dem Maler, den Dichter „in eine Stellung festzubannen, in welcher er, wie er versicherte, sein Lebtag nicht gesessen, die aber von den Körnerschen Damen für sehr angemessen und ausdrucksvoll erklärt wurde“.

Immer wieder malte Graff Selbstporträts

Die Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister, die etwa fünfzig Bilder Graffs besitzt, hat die Porträts jetzt in den Mittelpunkt einer kleinen Sonderschau gestellt. Die Studio-Ausstellung in zwei Räumen gibt mit rund 25 Ölgemälden einen Überblick über seine Porträtkunst. Gezeigt werden zumeist Darstellungen sitzender Figuren im Halbporträt und einige Gemälde, die die Personen in Lebensgröße wiedergeben, wie die Ehebildnisse von Maria Josepha und Carl Adolf von Carlowitz oder ein Staatsporträt von Kurfürst Friedrich August III.

Zu sehen sind auch drei Selbstbildnisse. Es gehört zu den Besonderheiten Graffs, daß dieser immer wieder Selbstporträts malte, um die Veränderungen der Physiognomie aufgrund des Alterungsprozesses an sich selbst zu studieren. Kein anderer Künstler des 18. Jahrhunderts hat sich selbst so häufig dargestellt wie Graff. Mehr als achtzig Bilder sind bekannt. 

Zwei der aktuell in Dresden zu sehenden Selbstbildnisse wurden gerade aufwendig restauriert. Besonderes Augenmerk sei dabei den Malschichtverlusten des Jugendbildnisses gewidmet worden, erläuterte Restauratorin Kathleen Hohenstein bei der Ausstellungseröffnung. 

Daß Graffs Bilder zu aufstehenden Malschichten mit Runzelbildung neigen, ist unter Restauratoren bekannt. Diese Erfahrung hat man auch in der Alten Nationalgalerie Berlin gemacht, als dieser 2014 von einem Mäzen ein Porträt von Henriette von Carlowitz geschenkt wurde, die 1772 in Dresden Modell gesessen hatte: mit seinen dicken Firnisschichten galt das Bild als nicht ausstellungsfähig.

Bei ihrer Arbeit lernte Restauratorin Kerstin Kramer einiges Neues über die Maltechnik und Graffs Farbmischungen. So mischte er sich Grün aus Preußischblau und Neapel- oder Eisenoxidgelb. Auch in Dresden wurden an der Hochschule für Bildende Künste die Farben und Bindemittel analysiert. Es stellte sich heraus, daß Graff Eiklar als Abschlußfirnis auf die Ölfarbe aufzog und statt des sonst üblichen Bindemittels Leinöl Nußöl verwendete. Beides ermöglichte ihm schnelleres Arbeiten.

Die Dresdner Schau zeigt außerdem vier seltene Landschaftsbilder in kleinem Format und zwei Grafiken aus dem Dresdner Kupferstichkabinett. Vor allem aber soll sie die Besucher auf den vorhandenen reichen Bestand aufmerksam machen, der aufgrund seines Zustandes im Depot verbleiben muß. Die Staatlichen Kunststammlungen benötigten dringend private Spender.

Die Ausstellung ist bis zum 16. Juni in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister, Zwinger, Theaterplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Tel.: 0351 / 49 14 2000

 https://gemaeldegalerie.skd.museum/