Das hat man nun davon, daß man seinem Kurzen das Schachspiel beigebracht hat. Man muß sich wirklich konzentrieren, um von dem Knirps nicht geschlagen zu werden. Er hat einen erstaunlichen sportlichen Ehrgeiz entwickelt und ist ein veritabler Gegner geworden. Kein Wunder: Er löst auch den „Zauberwürfel“ inzwischen in weniger als einer Minute – für mich bleibt das Ding ein Rätsel, aber ich habe mir auch nicht stundenlang Youtube-Anleitungen dazu angeschaut.
Regelmäßig kommt er abends an und verlangt nach einer Partie. Eigentlich möchte ich dann lieber für mich sein, vor mich hin sinnieren oder etwas lesen. Andererseits bin ich natürlich glücklich, wenn der Teenie mit seinem uncoolen Alten etwas gemeinsam tun will. Also lasse ich mich gerne breitschlagen.
Unser Schachspiel ist uralt und abgegriffen, was dem Spaß aber keinen Abbruch tut.
Seine Eröffnungszüge sind unorthodox, was mich jedesmal irritiert. Oft rückt er zuerst mit der Kavallerie aus, was mich wahnsinnig macht. Ich hasse diese verdammten Pferde, die mich manches Mal in die Bredouille bringen.
Kaum habe ich mich vor den Kamin verzogen, heißt es: „Papa, Partie Schach?“ „Ja gut, wenn du aufbaust.“ Unser Schachspiel ist uralt, ein abgegriffenes Reisebrett zum Einklappen, was dem Spielspaß aber keinen Abbruch tut.
Verdammt, ich mache einen Riesenfehler und gebe eine Deckung frei, aber ich habe ja auch schon zwei Feierabendbier getrunken. Außerdem bin ich nur ein mittelprächtiger Schachkönner. Er übersieht es, aber er hatte ja auch einen anstrengenden Sonntag: Erst mit den Kumpels stundenlang Skateboard fahren, dann auch noch Lateinvokabeln pauken: „Sol olet. Ubi est Flavia?“
Irgendwie ist Schach wie Fußball: Das Spiel kann sich auch in der letzten Minute noch drehen. Das gelingt mir, und ich gewinne, mehr durch Glück als Verstand. „Revanche!“ Nee, es ist schon spät und morgen ist wieder Schule, und ich muß zur Arbeit. Wann sind endlich wieder Ferien?