© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Repressive Hüpfburgen
Universitäten sind keine Schonräume: Plädoyer für eine freie Debattenkultur
Marc Jongen

Zum wiederholten Mal hat am vergangen Mittwoch der Deutsche Hochschulverband (DHV) seine Sorge um die Einschränkung der Meinungsfreiheit und den Verfall der Debattenkultur an deutschen Universitäten zum Ausdruck gebracht. „Widersprechende Meinungen müssen respektiert und ausgehalten werden. Differenzen zu Andersdenkenden sind im argumentativen Streit auszutragen – nicht mit Boykott, Bashing, Mobbing oder gar Gewalt“, betont DHV-Präsident Bernhard Kempen. Er plädiert ausdrücklich auch dafür, daß es den Meinungsführern aller politischen Parteien möglich sein muß, ihre Ideen an den Universtäten zur Debatte zu stellen. 

Der Warnruf ist leider sehr berechtigt. Ich selbst hatte im vergangenen Dezember das Vergnügen, die Universität Siegen durch den Hintereingang in Begleitung dreier Beamter des Bundeskriminalamtes betreten zu müssen, um einen Vortrag über Meinungsfreiheit halten zu können. Von draußen schallten die Protestrufe der Demonstranten herein, Dekan und Rektor hatten den Vortrag im Verein mit dem militanten AStA zu verhindern versucht.

Anschläge auf die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit haben an den deutschen Universtäten mittlerweile System. Unter der Ägide der demokratisch mangelhaft legitimierten, meist linksradikal dominierten „Studierendenausschüsse“ sowie etlicher Linksideologen unter den Lehrenden hat sich ein Klima der Angst und der geistigen Unfreiheit etabliert. Wer die Geßlerhüte der Genderdogmen, von Diversity und „Weltoffenheit“ nicht grüßt, sieht sich alsbald von den selbsternannten Wächtern des neuen akademischen Tugendterrors an den Pranger gestellt und bei ausbleibender Reuebekundung um die akademische Karriere gebracht.  

Ursächlich für diese fatale Entwicklung ist zum einen der Marsch der 68er-Bewegung durch die Institutionen, der es nach einigen geschmeidigen Anpassungen an den Zeitgeist gelungen ist, die Lufthoheit über den Studierbänken erringen. Nicht zuletzt durch konsequente Rekrutierung von ihresgleichen bei Stellenneubesetzungen im übrigen, während liberal-bürgerliche Professoren, traditionell weniger politisiert, eher auf wissenschaftliche Qualität als auf Linientreue achteten und oft auch Linke beriefen, wenn ihnen diese fachlich geeigneter schienen. 

Herbert Marcuse, Gründergestalt der Kritischen Theorie und Idol der 68er Revolte, hat in seiner Streitschrift „Repressive Toleranz“ von 1965 ganz offen ausgeplaudert, worum es bei dem allgegenwärtigen Ruf nach „Toleranz“ auch heute noch – und mehr denn je – geht: „Befreiende Toleranz würde mithin Intoleranz gegenüber Bewegungen von rechts bedeuten und Duldung von Bewegungen von links.“ Mitnichten also um Offenheit und wissenschaftliche Neugier allen möglichen Positionen gegenüber, sondern um die machiavellistische Durchsetzung der eigenen politischen Agenda, die sich als „emanzipatorisch“ und gut, jeden Andersdenkenden als „reaktionär“ oder „faschistoid“, jedenfalls als böse begreift. 

Es bedurfte aber noch einer weiteren, gar nicht primär politischen, sondern psychosozialen Entwicklung, um dem alten Projekt der Linken, das zeitweise schon von Neoliberalismus und „Postpolitik“ ausgebremst schien, am Ende doch noch zum Durchbruch zu verhelfen und das aktuelle repressive Meinungsklima zu etablieren. Die Generation der Millennials und mehr noch die nachgeborene „Generation Z“, aus denen sich das heutige studentische Publikum rekrutiert, zeichnen sich durch eine historisch beispiellose Verwöhntheit und einen verzärtelten Narzißmus aus, die den idealen Nährboden für die ideologische Manipulation durch die Linke neueren Typs darstellen.

Aus den USA, wo sich der Campus bereits in ein regelrechtes Tollhaus verwandelt hat, ist eine Welle der Politischen Korrektheit nach Europa und Deutschland geschwappt, die aus den Universitäten psychische Schonräume zu machen versucht – so als gelte es, den alten Topos des akademischen Elfenbeinturms durch den der infantilen Hüpfburg zu ersetzen. „Trigger Warnings“ lassen die zartbesaiteten, vorzüglich genderneutralen „Studierenden“ in „Safe Spaces“ flüchten, wo sie vor den Zumutungen etwa von Gewaltschilderungen in Werken der Weltliteratur oder von bösen Worten wie „violation of law“ in juristischen Texten sicher sind. 

Wird ein Angehöriger einer ethnischen Minderheit auch nur indirekt auf seine Herkunft angesprochen, so gilt das bereits als „Mikroaggression“, die bei der Universitätsleitung zur Anzeige gebracht werden kann. Der geringste Anflug von Erotik in der Kommunikation rechtfertigt den Vorwurf des Sexismus, worauf die Höchststrafe steht. Indem sich das linke Projekt der Emanzipation und Befreiung – zunächst der Proletarier, dann der diversen Minderheiten und Opfergruppen – dergestalt mit einer infantilen und selbstbezogenen psychischen Struktur amalgamiert hat, hat es sich selbst ad absurdum geführt und regiert nunmehr als seine eigene Karikatur. Gegenüber dieser pervertierten Schwundstufe der Aufklärung ist in Erinnerung zu rufen, daß es keine akademische Freiheit ohne „gefährliches Denken“ gibt. 

Der besondere Raum der Akademie ist dazu da, auch die abenteuerlichsten Theorien und Modelle vorurteilsfrei durchzuspielen und miteinander wetteifern zu lassen, auf daß die tauglichsten sich durchsetzen und ihren Weg nach draußen finden. Subjektive Empfindlichkeiten haben dabei genauso außen vor zu bleiben wie politische Ideologie und Moralismus.






Dr. Marc Jongen war bis 2017 Dozent für Philosophie in Karlsruhe und ist kulturpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag.