© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Für Recht und Geschäftsordnung
Bundestagsvizepräsident: Derzeit ist keine Lösung in Sicht
Jörg Kürschner

Im parlamentarischen Gegeneinander zwischen den Bundestagsfraktionen der AfD und denen der etablierten Parteien blitzt eher selten ein Funken Miteinander auf. „Sie tut mir auch leid. Sie hat das so nicht verdient“, gestand Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki anläßlich der erneuten Nichtwahl seiner Fast-Kollegin Mariana Harder-Kühnel (JF 16/19). Doch die mitfühlenden Worte des FDP-Politikers sind im Parlamentsbetrieb die Ausnahme. 

Oft gibt es noch nicht einmal ein höfliches Nebeneinander. Der Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler etwa zeigt sich kompromißlos: „Kein Duzen, kein Bier, keinen Kaffee mit Faschisten“. Er sei „zur AfD so unfreundlich, wie es die Geschäftsordnung des Bundestags zuläßt“, meint sich der Parlamentsgeschäftsführer der Linken, Jan Korte, abgrenzen zu müssen. AfD-Politikern gebe er zum Beispiel nur die Hand, „wenn es sich nicht vermeiden läßt“.

Die von ihren Fraktionen gewählten „1. Parlamentarischen Geschäftsführer“ (PGF), so die offizielle Bezeichnung, verabreden in den Sitzungswochen die Parlamentsdebatten und Gesetzesinitiativen, arbeiten praktisch im Maschinenraum des Bundestags und verfügen über gehörigen Einfluß. Für die AfD gehört der Hamburger Abgeordnete Bernd Baumann zu dem exklusiven Kreis, der dort jeweils am Dienstag vormittag nicht nur auf den durch die Geschäftsordnung in seiner Freundlichkeit beschränkten Korte trifft, sondern auch auf dessen Duzfreund Carsten Schneider (SPD) sowie auf Michael Grosse-Brömer (CDU), Stefan Müller (CSU), Marco Buschmann (FDP) und Britta Haßelmann (Grüne). Als „derzeit funktionierendes Arbeitsklima“ beschreibt der AfD-Politiker den Umgang der sieben Parlamentsgeschäftsführer im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Im Laufe der nunmehr eineinhalbjährigen Zusammenarbeit hat sich offenbar eine auf Organisationsfragen begrenzte Kollegialität entwickelt. Ein Geben und Nehmen ist erforderlich, um den Bundestagsbetrieb mit 709 Abgeordneten am Laufen zu halten. 

Die (gescheiterten) AfD-Vizepräsidenten-Kandidaten Albrecht Glaser, Mariana Harder-Kühnel und jüngst Gerold Otten waren der Runde zuvor von den Verwaltungsleitern der Fraktionen mitgeteilt worden. Die PGF wiederum haben sie dem Ältestenrat als Vorschläge zur Tagesordnung der Plenarsitzung der kommenden Woche benannt. Diese bilden die Grundlage für die Entscheidung des Ältestenrats, der jeweils am Donnerstag nachmittag die Tagesordnung für die kommende Plenarwoche festlegt.

Während die „PGF-Runde“ ein informelles, also ein in der Geschäftsordnung nicht verankertes Gremium ist, weist diese dem 30köpfigen Ältestenrat bei der Organisation des Parlaments eine wichtige Rolle zu. Unter Vorsitz von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) erfolgt die Aufstellung der Tagesordnung „nicht durch Mehrheitsbeschluß, sondern im Wege der Vereinbarung. Dies setzt eine Verständigung mit der Opposition voraus, deren Interessen an der Behandlung der von ihnen eingebrachten Initiativen zu berücksichtigen sind“, wie im Hauskommentar zur Geschäftsordnung des Bundestages (Ritzel/Bücker: Handbuch für die Parlamentarische Praxis) nachzulesen ist. Am Ende des Verfahrens steht die Zustimmung des Plenums zu dem Vorschlag des Ältestenrats. Unter gewissen Voraussetzungen kann die Tagesordnung noch in der laufenden Sitzung geändert beziehungsweise ergänzt werden. 

Doch der politische Konflikt zeigt sich nicht in diesen wohlklingenden Absichtserklärungen, sondern im parlamentarischen Alltag. Der komplizierte Ausgleich von Mehrheits- und Minderheitsrechten gerät an seine Grenzen, wenn Bundestagsvizepräsident Kubicki erklärt: „Zunächst einmal kann sie nicht jede Sitzungswoche einen Kandidaten präsentieren. Die AfD scheint die Geschäftsordnung nicht ordentlich zu kennen.“ Wenn die Parlamentsmehrheit es wolle, könne die Fraktion nur alle fünf Wochen einen Kandidaten aufstellen. Von der Drohung hat sich die AfD nicht beeindrucken lassen und in der vergangenen Woche ihren Kandidaten Otten ins Rennen geschickt. Der frühere Berufsoffizier wird auch ein zweites und im Falle seines Scheiterns ein drittes Mal als Bundestagsvizepräsident kandidieren. 

Dann bleibt nur noch    der Weg nach Karlsruhe

„Wir können Albert Einstein, Mutter Theresa oder den Dalai Lama aufstellen, wir werden aus Prinzip abgelehnt“, ist sich Baumann sicher. Weit über eine Stunde sei am vergangenen Donnerstag wertvolle Zeit vergeudet worden, da nicht nur Otten scheiterte, sondern auch acht weitere Kandidaten die erforderliche Mehrheit für verschiedene Gremien verfehlten, etwa für das Kuratorium „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ oder das Vertrauensgremium für die Bundeshaushaltsordnung. Wenn die Reihe der gescheiterten Bewerber länger und länger werde, bleibe nur noch der Gang zum Bundesverfassungsgericht, droht Baumann. Dann werde das höchste deutsche Gericht feststellen, daß der AfD ein Sitz im Bundestagspräsidium zustehe und es gleichzeitig nicht verfassungsgemäß sei, alle AfD-Kandidaten ohne Begründung abzulehnen. 

Da scheinen zwei Züge aufeinander zu zu rasen. Fraglich, ob noch eine Vermittlung möglich ist, um das Ansehen des Bundestags nicht dauerhaft zu beschädigen. Vielleicht durch Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble, kraft Amtes und aufgrund seiner unbestrittenen Autorität – mit knapp 47jähriger Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag?