© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Anschlag auf die Alma mater
Boykott, Mobbing, Gewalt: Deutscher Hochschulverband warnt vor Verfall der Debattenkultur an Universitäten. Uns drohen US-Verhältnisse
Tobias Albert

Eine Pressemitteilung mit dem Potential, ein Erdbeben auszulösen: „Differenzen zu Andersdenkenden sind im argumentativen Streit auszutragen – nicht mit Boykott, Bashing, Mobbing oder gar Gewalt.“ Nicht die Hauptschulen aus Berliner Problembezirken sind gemeint, ebensowenig die chinesische Meinungspolizei. Statt dessen warnt der Deutsche Hochschulverband (DHV) vor „Einschränkungen der Meinungsfreiheit an Universitäten“ in Deutschland. „Die Toleranz gegenüber anderen Meinungen sinkt. Das hat auch Auswirkungen auf die Debattenkultur an Universitäten“, mahnte DHV-Präsident Bernhard Kempen. Der DHV weiß, daß mit der Meinungsfreiheit und Diskussionsoffenheit die gesamte Raison d’être der Hochschulen als Orte des kritischen Denkens in Gefahr ist. Wie konnte es dazu kommen?

Trotzkistische Agitatoren stören Vorlesungen

Seit vielen Jahren sind Professoren und Wissenschaftler mit unliebsamen politischen Meinungen Sticheleien, Einschränkungen, Ehrabschneidungen oder gar offenen Aggressionen ausgesetzt. Ernst Nolte und Konrad Löw lassen grüßen. Die Liste an Fällen ist unterdessen länger geworden. Hier ein kleiner Einblick in eine beunruhigende Chronik:

Nicht erst seit seiner Kritik an der Asylpolitik der Bundesregierung 2015 ist der Osteuropahistoriker Jörg Baberowski (Berlin) zur Zielscheibe linksradikaler Gruppen geworden. Ein geplanter Vortrag an der Uni Bremen, von der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem RCDS organisiert, wurde im Oktober 2016 in die Büros der Stiftung verlegt – aus Sicherheitsgründen: Eine Woche vor der Veranstaltung schmähte der AStA Baberowski auf einem Handzettel mit verkürzten Zitaten als „rassistisch“, „rechtsradikal“. Es liege „an uns, zu verhindern, daß rechtsextreme Ideolog*innen ihre Lehren an dieser Universität propagieren“. Der AStA der Uni lud für eine Info-Veranstaltung zwei Referenten der trotzkistischen Berliner Hochschulgruppe IYSSE ein, die auf Powerpoint-Folien aus dem Zusammenhang gerissene, vermeintlich „belastende“ Zitate des Historikers präsentierten. Dieser sei kein Wissenschaftler, „sondern ein rechter Ideologe“. Seit etwa 2013 führt die trotzkistische Splittergruppe Sozialistische Gleichheitspartei mit ihrer an Baberowskis Humboldt-Uni (HU) verankerten IYSSE einen ideologisch motivierten Diffamierungsfeldzug gegen den Stalinismus-Experten („Räume der Gewalt“): Der britische Historiker Robert Service veröffentlichte 2012 eine vernichtende Biographie über Leo Trotzki, Baberowski lud ihn 2014 zu einem Vortrag an seinen Lehrstuhl. Seitdem stören offen kommunistische Kader seine Vorlesungen, schlagen Radau, brüllen, pfeifen ihn aus, hetzen in Flugblättern, in Veranstaltungen und im Internet gegen ihn. Über das Konzept von Baberowskis geplantem „Zentrum für vergleichende Diktaturforschung“ ließ die HU interne Gutachten erstellen, die im Februar an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden – von Unbekannt. In einem laufenden Verfahren ein schwerer Regelverstoß und ein weiterer Nadelstich gegen Baberowski.

Anfang des Monats lud die Frankfurter University of Applied Sciences Vertreter aller Bundestagsparteien zu einer Podiumsdiskussion anläßlich der EU-Wahl im Mai. Gegen die Teilnahme von AfD-Bundessprecher und Wirtschaftsprofessor Jörg Meuthen machte das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ mobil und rief zum Protest gegen die Veranstaltung auf. Anderthalb Dutzend Studenten besetzten den vorgesehenen Veranstaltungsraum, das Audimax der Fachhochschule. Gespräche zwischen den Studenten und der Hochschulleitung führten nicht zur Freigabe des Saales, die Hochschulleitung mußte die Polizei räumen lassen. Nur Polizeischutz machte die Podiumsdiskussion möglich. Was in diesem Fall einem AfD-Politiker widerfuhr, ist für Politiker von CDU/CSU oder konservative Funktionäre seit Jahrzehnten der Normalfall: Wolfgang Schäuble, Thomas de Maizière, Erika Steinbach oder der Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt haben es erlebt, bei Vorträgen an Hochschulen von einem kleinen Kreis von Radikalen niedergebrüllt zu werden.

Im Januar wurde dem renommierten Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt von der TU Dresden verweigert, seine altersbedingt auslaufende Professur in eine Seniorprofessur münden zu lassen, um ehrenamtlich weiterhin zu forschen. Der angebliche „Pegida-Versteher“ (Süddeutsche Zeitung) habe „Politik und Wissenschaft derart vermischt“, daß dem Ruf der Universität damit geschadet wurde, hieß es in der Stellungnahme der TU vom 22. Januar zur Begründung (JF 5/19). In Studien hatte sich Patzelt mit den Einstellungen der Pegida-Demonstranten befaßt. Die Ergebnisse förderten zutage, daß Pegida-Leute mehrheitlich „keine Gegner des Demokratieprinzips“ seien und von einer allgemeinen Entwicklung hin zum Rechtsradikalismus nur bedingt gesprochen werden könne. Abgesehen vom ausgeprägten „deutschen Patriotismus“ der Pegidianer würden sich sogar „große inhaltliche Schnittmengen mit klassisch linken Positionen“ finden. Was folgte, waren diffamierende Flugblätter aus den Reihen linker Studenten und öffentliche Distanzierungsbriefe von Mitarbeitern des politikwissenschaftlichen Instituts. Im März 2017 zündeten mutmaßlich linksextreme Täter in Patzelts Abwesenheit dessen Wagen an.

Nach außerhalb des Kontextes zitierten Tweets auf seinem privaten Twitter-Account („Wir schulden den Afrikanern und Arabern nichts“) organisierte im November 2017 der „Sozialistisch-demokratische Studierendenverband“, die Studentenorganisation der Partei Die Linke, eine Kampagne gegen den Juraprofessor Thomas Rauscher (Leipzig). Im Hörsaal wurde er als „Rassist“ beschimpft, auf dem Campus gegen ihn demonstriert. Sein Angebot zu einem klärenden Gespräch – Kern jedes akademischen Diskurses – wurde kategorisch abgelehnt, weil man mit „einem wie ihm“ nicht diskutieren würde (JF 51/17). Kollegen schnitten ihn, entfernten ihn aus dem Mailverteiler. Der Dekan seiner Fakultät, Tim Drygala, unterstellte ihm Kontakte zur Identitären Bewegung (was Drygala später zurücknahm). Die Uni-Leitung distanzierte sich von Rauscher und prüfte die Einleitung dienstrechtlicher Schritte gegen ihn.

Der 52. Deutsche Historikertag 2018 in Münster erlebte eine besonders subtile Art der Diskussionserstickung, indem eine Resolution „zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“ per Handzeichen verabschiedet wurde. Diese warnt vor dem „politischen Mißbrauch von Geschichte“, um aber im selben Text sich in den Dienst der liberalen Einwanderungspolitik zu stellen (Migration habe „die beteiligten Gesellschaften insgesamt bereichert“) und eine behauptete historische Schuld der Europäer als Katalysator für die europäische Einigung zu postulieren („im Lichte der kolonialen Gewalt […] gilt es, der gemeinsamen Verantwortung für die Folgen unserer Politik im außereuropäischen Raum gerecht zu werden“). Mehr als eine Woche später legten die Historiker Dominik Geppert (Potsdam) und Peter Hoeres (Würzburg) via FAZ Protest ein: Es sei weniger um kontroverse Diskussion gegangen, als darum, das moralisch vermeintlich Richtige per Akklamation zur Geltung zu bringen. Diffamierungen in der politischen Sprache der Gegenwart, die von links kommen, blieben ausgespart, und überhaupt verbleibe man lieber „in der linksliberalen ‘Komfortzone’“.


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Zutreffend benennt der DHV die „Political Correctness“ als Wurzel einer Entwicklung mit den beschriebenen Erscheinungsformen. Er vermeidet jedoch zu fragen, wie eine solche Geisteshaltung in die Universitäten gelangen konnte und welche Personen dieses Gedankengut tragen. Es lohnt sich daher ein kritischer Blick auf die Studenten und Wissenschaftler an den deutschen Universitäten, um zu verstehen, wie im Elfenbeinturm der Welterkenntnis eine leidenschaftliche Diskursunterdrückung Einzug halten konnte. Leicht lassen sich die 68er als Verantwortliche benennen, die bzw. deren geistige Erben nach dem Marsch durch die Institutionen die Professorenstellen und Lehrstühle besetzt haben. Der akademische Mittelbau, häufig in befristeten Verträgen und unter ständiger Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, hat wenig Anreize, durch das zu laute Aussprechen der eigenen Meinung die Karriere zu riskieren.

Aber es sind nicht einfach die Wissenschaftler, von denen Rufmord und Drohkulissen ausgehen. Ausführende Gewalt sind die zahlreichen links verorteten Studenteninitiativen, allen voran die Allgemeinen Studentenausschüsse (AStAs) der Hochschulen, die typischerweise in der Hand linker Gruppen sind: Sogar in einer eher bürgerlich-konservativen Universitätsstadt wie Münster ist der AStA-Vorsitz seit Jahren grün-rot, in der aktuellen Legislaturperiode unter Zuhilfenahme der Satiregruppierung „Die Liste“, die der Partei „Die Partei“ nahesteht. Bei solcher Konstanz in der hochschulpolitischen Spitze verwundert es kaum, daß sich innerhalb der AStA-Dunstkreise vielerorts ein roter Filz entwickelt. Nicht-Ausschreiben von Stellen, Postengeschacher bei lukrativen Referentenstellen, Tricks beim Umgehen der Amtszeitbegrenzung.

Eine politisch einseitige Ausübung des hochschulpolitischen Mandats könnte mit einer entschiedenen Abwahl durch die Studenten bestraft werden. Doch sind die Hochschulwahlen mit häufig geringer Wahlbeteiligung (beispielsweise acht Prozent an der Ruhr-Universität Bochum 2018) reine Mobilisierungswahlen, bei denen die linken Organisationen sich auf ihre Stammwählerschaft verlassen können. Solange sich an dem allgemeinen Desinteresse an der Hochschulpolitik nichts ändert, wird die linke Studentenschaft in ihren komfortablen Rückzugsräumen weiter an sozialistischen Luftschlössern arbeiten.

„Die insbesondere im anglo-amerikanischen Hochschulraum zu beobachtende Entwicklung, niemandem eine Ansicht zuzumuten, die als unangemessen empfunden werden könnte, verbreite sich auch in Deutschland“, stellte DHV-Präsident Kempen fest. Seit Jahren wandeln sich dort Hörsäle in „Safe Spaces“ (Schutzräume), in denen nichts mehr geäußert werden kann, was als unangemessen empfunden werden könnte. Daß wie bei dem kalifornischen (privaten) Claremont Mc­Kenna College weißen Studenten explizit der Eintritt zu bestimmten Räumen verweigert wird, ist die letzte Konsequenz dieser Geisteshaltung. Wer dennoch kontroverse Diskussionen starten möchte, soll diese mit einem „Trigger Warning“ einleiten, um darauf hinzuweisen, daß die Gefühle von Zuhörern verletzt werden könnten. Aber bisweilen wird auch mit harten Bandagen gekämpft, wie der Farbanschlag auf Michael Knowles an der University of Missouri (Kansas City/USA) am Donnerstag der Vorwoche zeigt. Knowles wollte auf Einladung der Young Americans for Freedom einen Gastvortrag halten unter dem schlichten Titel „Men are not Women“.

Studentinnen bekommen mehr Zeit in Prüfungen

Der von Knowles kritisierte Genderismus, der die Unterschiede zwischen Mann und Frau verneint, ist eine linke Kopfgeburt mit großem Veränderungspotential. Wie der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera (Kassel) schon 2015 warnte, stellt der Genderismus als Widerspruch zur biologischen Erkenntnis einen Angriff auf die Naturwissenschaften dar. Wurden diese anders als die Geisteswissenschaften bisher von linkem Druck verschont, steht diese letzte Bastion der Rationalität nun unter Beschuß. Der englische Astrophysiker Matt Taylor wurde 2014 nahezu aus dem Amt gemobbt, weil er ein Hemd mit Motiven leicht bekleideter Frauen trug – in einer Fernseh-Show. An der Universität Oxford wurde seit Sommer 2017 die Prüfungszeit für Klausuren in Mathematik und Computerwissenschaften verlängert mit der expliziten Begründung, daß sich sonst Studentinnen unter Zeitdruck gesetzt fühlten. Im August 2017 entließ Google den Entwickler James Damore, weil dieser bezweifelte, ob die geringe Anzahl an weiblichen Programmierern tatsächlich  einer frauenfeindlichen Atmosphäre geschuldet ist.

Zweifellos hat die Einengung der Meinungsfreiheit der Präsidentschaftskampagne von Donald Trump in die Hände gespielt. Insbesondere seine Online-Unterstützer machten auf die zahlreichen Vorfälle an den Universitäten aufmerksam. Dieser wiederum erfüllt die Wünsche seiner Wählerschaft: Trump ordnete in der präsidialen Exekutivorder Nummer 13.864 vom 21. März an, „freie und offene Debatte“ an Hochschulen und Universitäten zu fördern. „Freie Forschung ist ein wesentliches Merkmal der Demokratie unserer Nation, und sie fördert das Lernen, die wissenschaftliche Entdeckung und den wirtschaftlichen Wohlstand.“