© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

„Verzogener Fratz“
Großbritannien: Nachdem Ecuadors Botschaft den WikiLeaks-Gründer vor die Tür setzt, ist nun London am Zug
Marc Zoellner

Seinen Auszug aus der ecuadorianischen Botschaft in London hatte Julian Assange sich wohl anders vorgestellt: Gleich ein halbes Dutzend Mitarbeiter des Metropolitan Police Service (MPS) hatten den Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, der sich strampelnd und um sich schlagend zur Wehr setzte, vergangenen Donnerstag an Händen und Füßen gepackt in den Behördenwagen zu verfrachten, der vor dem Botschaftsgebäude geparkt hielt. „Das Vereinigte Königreich muß sich der Bestrebung der Trump-Regierung widersetzen“, rief Assange dabei in Richtung Kameras der umstehenden Reporter. Es sollte nichts nützen – noch am gleichen Tag ließ Großbritannien den ecuadorianischen Dauergast, der seinem Gastgeber zuletzt selbst zur Plage wurde, in das Wandsworth-Gefängnis im Südwesten Londons einliefern.

Auch die ecuadorianische Staatsbürgerschaft ist futsch 

Sichtlich gealtert wirkte Assange auf den Bildern seiner Festnahme. Immerhin saß der 47jährige Australier, der zwischenzeitlich gar die ecuadorianische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, vom Juni 2012 bis zu jenem schicksalhaften Donnerstag über 2.487 Tage in der diplomatischen Vertretung des lateinamerikanischen Landes auf britischem Boden fest. 

Details seines spartanischen Lebens in den engen Räumlichkeiten, die ihm der damalige Präsident Ecuadors, Rafael Correa, seinerzeit zum Asyl angeboten hatte, werden seit jüngstem ausführlich in der britischen Boulevardpresse beleuchtet: sein karges Zwanzig-Quadratmeter-Zimmer, eine eigens für ihn umgebaute Angestelltentoilette; sein täglicher Konsum von Fast-Food, da Assange krampfhafte Angst vor vergiftetem Kantinenessen besaß; ebenso jedoch auch sein immer häufiger auftretendes provokantes Verhalten den Botschaftsmitarbeitern gegenüber.

So soll Assange sich vergangenes Jahr in die interne Kommunikation der Diplomaten gehackt haben, um als geheim eingestufte Depeschen mitlesen zu können. Die Botschaft habe ihm daraufhin den Zugang zu Telefonen und Internet gesperrt und dem prominenten Flüchtling einen Verhaltenskodex zum Unterzeichnen vorgelegt. Assange jedoch hatte sich dieser Vorschriftsliste verweigert, aus Furcht vor dem Verlust seines Asylstatus bei Verstößen, ließen ecuadorianische Mitarbeiter verlauten – und habe im Gegenzug als Protest sein Zimmer mit den eigenen Fäkalien beschmiert.

„Man kann nicht in ein Haus kommen, das einen wärmstens empfängt, das einem Essen gibt und einen umsorgt, nur um dann den Besitzer dieses Hauses zu verunglimpfen“, begründete Ecuadors Präsident Lenín Moreno vergangenes Wochenende die drastischen Schritte seiner Regierung. „Wir haben diesem verzogenen Fratz sein Asylrecht entzogen und sind dadurch glücklicherweise einen Dorn im Auge los.“ 

Zeitgleich mit seiner Ausweisung aus dem Botschaftsgelände wurde Assange die ecuadorianische Staatsbürgerschaft wieder entzogen. Seine anschließende Verhaftung durch die Londoner Polizei erfolgte aufgrund von Assanges Verstößen gegen Kautionsauflagen aus dem Jahr 2012.

Bereits am 3. Mai soll ein Londoner Gericht über den künftigen Status des Australiers entscheiden. Denn neben den britischen Vorwürfen liegt ebenso ein Auslieferungsantrag der Vereinigten Staaten gegen Assange vor. Zusammen mit dem Whistleblower und ehemals im Irak stationierten US-Soldaten Chelsea Manning habe Assange zwischen Januar und Mai 2010 „schätzungsweise 90.000 wichtige Berichte über den Afghanistankrieg, 400.000 über den Irakkrieg, 800 Gefangenenbeurteilungen aus Guantanamo sowie 250.000 Telegramme des Auswärtigen Amtes der USA“ auf der Internetplattform WikiLeaks veröffentlicht, wie das US-Justizministerium die angestrebte Auslieferung begründet. 

Manning, die bis zu ihrer Amnestie durch US-Präsident Barack Obama im Mai 2017 rund sieben Jahre im Gefängnis verbrachte und sich im Anschluß weigerte, vor einem Gericht gegen WikiLeaks auszusagen, sitzt seit Anfang März erneut in Beugehaft.

„Assange ist kein Whistleblower“  

Julian Assange wiederum soll in den Vereinigten Staaten aus dem einzigen Grund heraus angeklagt werden, ließ der US-Staatsanwalt verlauten, gemeinsam mit Manning interne Netzwerke der US-Armee gehackt und sich unerlaubt Zugriff auf obige Geheimdokumente verschafft zu haben. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

Assanges Verhaftung markiert das Ende der Ära einer jahrelangen diplomatischen Verwerfung zwischen Ecuador und den USA; nicht jedoch das Ende von WikiLeaks. Bereits im September 2018 hatte der isländische Journalist Kristinn Hrafnsson als neuer Chefredakteur die leitende Rolle innerhalb der Organisation übernommen. Hochmütigkeit und Intransparenz warfen zwischenzeitlich auch andere Mitarbeiter der Plattform Assange vor. „Eine Sache zur Kenntnisnahme: Assange ist kein Whistleblower“, kritisierte zuletzt vergangenen Sonnabend der Investigativjournalist James Ball, lange Zeit Weggefährte des Australiers, auf Twitter den von Assange selbst zelebrierten Kult um seine Person. „Er unterhält lediglich eine Website, auf welcher von Whistleblowern zugespieltes Material veröffentlicht wird.“