© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Die deutsche Millionenfrage
Arbeitsmarkt: Fünf Jahre Masseneinwanderung verdreizehnfachten die Zahl der Hartz-IV-Berechtigten im Asylbereich / Integration schwierig
Fabian Schmidt-Ahmad

Wer in Bukarest seinen Hausarzt aufsuchen will, muß womöglich lange fahren – nämlich nach Deutschland. Hierzulande kann man es sich wenigstens aussuchen, ob man im Arztgespräch sein Rumänisch auffrischt oder seinem Arzt in die Schweiz hinterherreist. Der deregulierte europäische Arbeitsmarkt und die erleichterte Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten machen das möglich.

So haben sich alleine vergangenes Jahr rund 3.500 ausländische Ärzte in Deutschland niedergelassen, während gleichzeitig 1.941 in Deutschland tätige Kollegen ins besser bezahlende Ausland (Schweiz, Österreich, USA) abwanderten, wie aus aktuellen Zahlen der Bundesärztekammer (BÄK) hervorgeht. Neu ausgebildete Berufseinsteiger mitgerechnet stieg damit die Ärztezahl in Deutschland um 1,9 Prozent auf 392.402.

Enorme Herausforderungen

Was angesichts der Arbeitsüberlastung bei Ärzten und wegen des demographischen Wandels nicht ausreiche: „Wir zehren seit Jahren von der Substanz. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte wächst zu langsam, um die enormen Herausforderungen zu bewältigen, vor denen unser Gesundheitssystem steht“, warnt der Hamburger Radiologe Frank Ulrich Montgomery, Präsident der BÄK. Der Zuzug von Ärzten aus dem Ausland schaffe zwar Entlastung, aber die „einzig seriöse Antwort auf den Ärztemangel heißt: Mehr Studienplätze. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt.“

Die Politik setzt beim Fachkräftemangel hingegen hauptsächlich auf Einwanderung. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) untersucht mit einer Studie diese „Auswirkungen der Migration auf den deutschen Arbeitsmarkt“. Knapp drei Millionen Ausländer gehen in Deutschland einer sozialpflichtigen Beschäftigung nach, was etwa einem Anteil von zwölf Prozent an der erwerbsfähigen Gesamtbevölkerung entspricht. Sprich: Sie haben eine Tätigkeit mit einem Einkommen von über 450 Euro. Dabei ergeben sich zudem erhebliche Unterschiede bei den verschiedenen Ausländergruppen. Die Autoren definieren dabei analog zu EU-Erweiterung und Euro- und Asylkrise drei Ausländergruppen:

Die größte Gruppe stammt aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten, die meisten aus Polen und Rumänien. In weniger als zehn Jahren stieg ihre Zahl von rund 300.000 auf 1,4 Millionen. Die zweite Gruppe sind Zuwanderer aus den „Gips“-Staaten Griechenland, Italien, Portugal und Spanien, deren Zahl im gleichen Zeitraum von rund 400.000 auf 600.000 anstieg. Den größten Zuwachs gab es bei den „Asylherkunftsländern“. Lag deren Beschäftigtenzahl in den Jahren vor 2015 noch bei rund 75.000, schnellte diese dann auf derzeit rund 375.000 hoch.

Allerdings sind gerade bei der letzten Gruppe Zahlen häufig Näherungswerte. Für die Autoren sei „nicht direkt nachweisbar, ob und inwieweit Veränderungen von Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Leistungsbezug auf Zuwanderung beruhen“, heißt es einschränkend. „Es können aber hilfsweise Auswertungen für Personen aus solchen Ländern erstellt werden, für die bekannt ist, daß es von dort aktuell umfangreiche Zuwanderung gibt.“ Da die BA erst ab März 2016 Daten über Asylantragsteller vorliegen, bildeten die Autoren diese Gruppe aus den Herkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien. Einwanderer von dort, die hier – vielleicht schon viele Jahre – mit einem Arbeitsvisum leben, werden entsprechend als Asylanten erfaßt, wie umgekehrt Antragsteller vom Balkan in die Gruppe der neueren EU-Mitglieder fallen.

Allen Ausländergruppen gemein ist, daß sie im Vergleich zu deutschen Staatsbürgern häufiger arbeitslos sind und öfter Sozialleistungen erhalten. Parallel mit der EU-Osterweiterung und der gewährten Personenfreizügigkeit ab 2011 verdoppelte sich die Zahl der arbeitslos Gemeldeten aus diesen Ländern von etwa 50.000 auf 100.000. Gleichzeitig verdreifachte sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger von etwa 100.000 zwischenzeitlich auf fast 300.000, um derzeit etwa bei 275.000 zu liegen. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 8,3 Prozent (Deutsche 5,2 Prozent). Der für mehr Einwanderung trommelnde Arbeitgeberverband BDA sorgt sich daher um die „Akzeptanz“ für die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit, wenn „man sich den Ort aussuchen darf, an dem man Sozial(hilfe)leistungen bezieht“.

Arbeitslosenquote von 34,8 Prozent

Etwas schlechter sieht es bei der Gips-Gruppe aus mit einer Arbeitslosenquote von 9,1 Prozent. Obwohl zahlenmäßig kleiner, schwankt hier die Zahl der Arbeitslosen um 60.000 und die der Sozialhilfeempfänger um 125.000. Schneiden diese beiden Gruppen bereits ungünstiger als die Einheimischen ab, ist die Gruppe aus den Asylherkunftsstaaten eine Katastrophe. Lag hier bis 2015 die Zahl der arbeitslos Gemeldeten unter 50.000, so schnellte diese in kurzer Zeit auf 200.000 hoch, mit der gewaltigen Arbeitslosenquote von 34,8 Prozent.

Noch drastischer fiel der Anstieg bei den „Regelleistungsberechtigten“ (Hartz IV oder Sozialgeld) aus. Betrug ihre Zahl bis 2013 etwa 75.000, wurde bereits drei Jahre später die 400.000-Marke überschritten, um jetzt bei knapp einer Million zu liegen. Interessant ist bei diesen Gruppen auch das Verhältnis von geringfügiger zur sozialpflichtigen Beschäftigung, die sich aus dem Anhang der Studie ergibt. Beträgt dieses bei der Neu-EU-Mitgliedsgruppe 10,54 Prozent und bei der Gips-Gruppe 12,79 Prozent, liegt dieses bei der Gruppe der Asylherkunftsländer bei 23,44 Prozent.

Fast jeder vierte Beschäftigte aus diesen Ländern verdient also zuwenig, um Beiträge zur Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu zahlen. „Arbeitsmigranten können die Migration planen und die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes im Aufnahmeland mit ihrem Qualifikationsprofil abgleichen“, heißt es entschuldigend in der Studie. „Arbeitsmigration führt deshalb zu einer schnelleren Arbeitsmarktintegration als Fluchtmigration.“ Warum Einwanderer, die oft nur eine Landesgrenze passieren, ihre Reise sorgfältiger planen als die, die gleich ein Dutzend überqueren, will freilich nicht so ganz einleuchten.

Vielleicht sollte sich die Bundesagentur für Arbeit daher wohl eher mit dem Gedanken vertraut machen, daß bei dem einen oder anderen das Einwanderungsziel nicht unbedingt der Arbeitsmarkt, sondern der Sozialstaat ist. Eine „Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen“ werde daher „nach den Erfahrungen der Vergangenheit“ nicht etwa „mehrere Jahre brauchen“, wie einen die Studienautoren zu trösten versuchen, sondern sie wird schlechterdings nicht stattfinden. 

Ob die massive Zuwanderung aus dem Orient kulturell für Deutschland eine Bereicherung darstellt, ist letztlich eine politische Frage. Rein volkswirtschaftlich betrachtet kann die Antwort nach nüchterner Betrachtung der vorliegenden Studie klar und eindeutig verneint werden. Und auch die Frage der Moral stellt sich durchaus differenziert. Die Ausbildung eines Mediziners kostet hierzulande im Schnitt etwa 200.000 Euro. Die beiden größten Gruppen ausländischer Ärzte (zusammen etwa 55.000) sind laut BÄK 4.312 Bürger aus Rumänien und 3.908 aus Syrien.

Diese Zahlen entsprechend umgerechnet hat Deutschland so das EU-Armenhaus Rumänien um 862 Millionen Euro und das bürgerkriegsgeplagte Syrien um 782 Millionen Euro erleichtert – „Brain Drain“ nennen das Ökonomen. Mediziner, wie eingangs erwähnt, die nun in ihrer Heimat fehlen. Wenn es also wirklich einen humanitären Grund gäbe, nach Deutschland einzuwandern, dann wohl am ehesten den, mal wieder seinen Hausarzt zu besuchen. Oder man wartet, bis irgendeine Hilfsorganisation ins Land kommt. Vielleicht mit einem deutschen Arzt, der mittlerweile in der Schweiz lebt? Schöne neue, grenzenlose Welt.

Untersuchungsbericht „Auswirkungen der Migration auf den deutschen Arbeitsmarkt“ (Arbeitsmarkt kompakt 3/19):  statistik.arbeitsagentur.de

Ärztestatistik zum 31. Dezember 2018:  www.bundesaerztekammer.de