© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Das Motiv bleibt lange im dunkeln
Literaturverfilmung: Ferdinand von Schirachs „Der Fall Collini“ im Kino
Dietmar Mehrens

Warum bringt jemand meinen Großvater um?“ fragt die völlig verstörte Johanna (Alexandra Maria Lara) ihren Jugendfreund Caspar Leinen (Elyas M’Barek). Ausgerechnet ihn hat, so will es der von Ferdinand von Schirach ersonnene und von Marco Kreuzpaintner („Krabat“) verfilmte Roman, das Schicksal zum Pflichtverteidiger des Mannes auserkoren, der Johannas Großvater, den Großunternehmer Hans Meyer, ermordet hat. Dieser Mann, der sich nun auf der Anklagebank eines Mordprozesses wiederfindet, heißt Fabrizio Collini und stammt aus Italien. Verkörpert wird er von einem Altstar des italienischen Kinos, von Franco Nero.

Der Angeklagte weigert sich hartnäckig, sich zu der von ihm begangenen Bluttat zu äußern. Und so bleibt das Motiv für den tödlichen Gewaltausbruch lange im dunkeln. Caspar Leinen scheint aber schon mal ein Buch von John Grisham gelesen zu haben und weiß also: Gerade der Umstand, daß dies sein erster Schwurgerichtsfall ist und seine Gegenspieler (Heiner Lauterbach, Rainer Bock) glauben, vor Gericht leichtes Spiel mit dem Neuling zu haben, bringt die richtige Fallhöhe in die Handlung. Die Frage ist nur, wer am Ende fällt.

Vier Tage bleiben Leinen, um seinen Mandanten vor dem Schuldspruch zu bewahren. Seine Nachforschungen führen den Anwalt in den kleinen Ort Montecatini in der Toskana. Dort haben sich im Juni 1944 Kriegsverbrechen ereignet. Und man benötigt nicht besonders viel Phantasie, um sich auszumalen, daß der ermordete Hans Meyer als ehemaliger SS-Sturmbannführer damit irgend etwas zu tun hat ...

Ferdinand von Schirach ist der Enkel Baldur von Schirachs, den Hitler zum Reichsjugendführer machte. Seit dem Erscheinen seines Kurzgeschichtenbandes „Verbrechen“ vor zehn Jahren ist von Schirach Dauergast auf den Bestsellerlisten. Nach eigenem Bekunden fühlt er sich als Autor wohler als in seinem Stammberuf Anwalt. Doch seine Schriftstellerei zehrt vor allem von den Erfahrungen, die er als Jurist gesammelt hat. Und so hat auch „Der Fall Collini“ seine Stärken vor allem da, wo die Geschichte sich auf dem Terrain bewegt, das sein Autor am besten beherrscht: Recht und Gesetz.

Alles löst sich viel zu rasch in Wohlgefallen auf

In Wahrheit sitzt hier nämlich nicht Fabrizio Collini auf der Anklagebank, sondern das sogenannte Dreher-Gesetz aus dem Jahr 1968, durch das Kriegsverbrechen aus der NS-Zeit in Totschlagsdelikte umdefiniert werden konnten, die im Gegensatz zu Mord verjähren. Daß die damals neu geschaffene Rechtslage viele mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher ungeschoren davonkommen ließ, ist der Pfahl im Fleisch, der von Schirach zu seinem Romandebüt antrieb.

Es überrascht daher nicht, daß die Handlung in den privaten Geschichten, die der Autor um den Prozeß herum gewoben hat, ihre größten Schwächen hat: Aus Sicht eines Filmproduzenten mag es eine hollywoodreife Idee sein, das Mordopfer zum väterlichen Freund aus Leinens Vergangenheit zu machen und in Rückblenden Leinens Jugendfreundschaft mit dem Enkel und vor allem mit Johanna, der Enkelin des Getöteten, zu zeigen. Aber wie wahrscheinlich ist das alles? Und wie wahrscheinlich ist es, daß Leinen diesen Fall, nachdem ihm die Identität des Opfers klar geworden ist, ohne größere Hemmungen weiterführt? Und wenn er ihn schon weiterführt, warum ist der Konflikt, in den ihn dies zwangsläufig mit seiner Jugend- und Irgendwie-immer-noch-Liebe Johanna bringt, nicht mehr als ein Sturm im Wasserglas? Alexandra Maria Lara tut sich sichtlich schwer damit, die emotionale Achterbahnfahrt aus Zuneigung, Enttäuschung, Zorn, Verbitterung und Versöhnung, die der Fall Collini ihr zumutet, glaubhaft auf die Leinwand zu bringen.

Elyas M’Barek hat es da leichter. Dem Krawall-Lehrer aus der „Fack ju Göhte“-Filmreihe gelingt es recht gut, die Figur des Caspar Leinen von der Verkörperung eines juristischen Fallbeispiels in einen Menschen aus Fleisch und Blut umzuwandeln und seine Motive nachvollziehbar zu machen. Das Dilemma eines Mannes zwischen Berufsethos und Familienehre, eine vollendet tragische Konstellation wie in „Antigone“, dem Klassiker des antiken Theaters, wirkt im Film weniger verschenkt als im Buch.

Trotzdem hat der Konflikt, in den die Umstände Caspar Leinen stürzen, wesentlich mehr dramatisches Potential, als der Film zur Entfaltung bringen kann. Nachdem der junge Strafverteidiger Licht in den Fall gebracht und Hans Meyers SS-Vergangenheit enthüllt hat, löst sich viel zu rasch alles in Wohlgefallen auf. Welche emotionalen Abgründe man mit einem solchen Stoff aufreißen (und dann auch nicht gleich wieder zuschütten) kann, zeigen Genre-Vorbilder wie Costa-Gavras’ „Music Box – Die ganze Wahrheit“ mit Armin Mueller-Stahl oder die Verfilmung von Bernhard Schlinks „Der Vorleser“. 

Ungeachtet der Nörgelei am Detail ist „Der Fall Collini“ ein insgesamt gelungener Film, dessen gediegene Inszenierung und konventionelle, schnörkellose Erzählweise (die der Buchvorlage abgeschaut ist) für den Geschmack des Cineasten vielleicht sogar schon eine Spur zu massentauglich sind.