© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Rache üben durch Rechtbehalten
Weltherrschaft der Konzerne statt Weltzivilgesellschaft: Neues zu Oswald Spengler, dem hellsichtigen Propheten universaler Friedlosigkeit
Dirk Glaser

Zur Zeit des Kalten Krieges, als Ost und West darum konkurrierten, wer fester im Fortschrittsglauben wurzelte und wer ihn rücksichtsloser praktizierte, galt ein Untergangsprophet wie Oswald Spengler (1880–1936) als toter Hund. Das war nicht mehr als eine von Hybris zeugende Fehleinschätzung, wie die meisten Rückblicke dokumentieren, zu denen 2018 die Erinnerung an „100 Jahre ‘Untergang des Abendlandes’“ animierte (JF 17/18). Spengler ist aktueller denn je. Und das zähneknirschende Zugeständnis, das der Spengler-Feind Theodor W. Adorno schon 1949 machte, findet wieder Beifall: „Der Gang der Weltgeschichte“ gebe „seinen unmittelbaren Prognosen in einem Maße recht, das erstaunen müßte, wenn man sich an die Prognosen noch erinnerte. Der vergessene Spengler rächt sich, indem er droht, recht zu behalten.“

Ganz ohne Einsprüche ist die Rehabilitation und Renaissance des Geschichtsdenkers freilich nicht geblieben. Auch das muffige Ressentiment, vereint mit ahistorischer Beschränktheit, das Spengler in den Nachkriegsjahrzehnten als aktivsten Mittäter bei der „Zerstörung der Vernunft“ (Georg Lukács) und üblen „Wegbereiter Hitlers“ denunzierte, ließ sich wie eine Stimme aus dem Grab vernehmen. Wen wundert’s angesichts der kulturellen Hegemonie, die dieser Ungeist heute weiterhin ausübt. 

Peter Strasser, einem in der Wolle gefärbten Alt-68er des Jahrgangs 1950, blieb es vorbehalten, als Sprecher seiner entsetzlichen Generation sämtliche ihrer Vorurteile über den „faschistischen“ Universalgelehrten und Mussolini-Bewunderer erneut zu reproduzieren und sich die Goldene Himbeere für den dümmsten Beitrag zum Spengler-Gedenkjahr zu sichern. Der emeritierte Grazer Philosophieprofessor, ein schreibseliger Verfechter des humanitären Universalismus, ein Bruder im Geiste des Post-Nationalismus-Predigers Jürgen Habermas, nach eigenem Bekenntnis durchglüht von „Paradieses-Sehnsucht“, hofft auf eine „befriedete Menschheit, die ihre Zukunft an den Ideen der absoluten Wahrheit, der unveräußerlichen Menschenwürde und der Gleichheit aller Menschen ausrichtet“. Keine gute Voraussetzung, um Spengler und das 21. Jahrhundert zu verstehen. Denn von solchen Kindereien hielt ein Analytiker nichts, der die völkerlose, aber keineswegs Gewalt und Krieg hinter sich lassende Weltzivilisation als Rückfall in die Zoologie verachtete. Sein Grazer Antipode indes wettert mit ermüdender Rhetorik gegen den „Kultur- und Wahrheitsrelativismus“ dieses „Propheten universaler Friedlosigkeit“. Eine derart platte „Widerlegung“ Spenglers muß notwendig kläglich scheitern. Denn die universalistische „Utopie des Westens“, an die „wir uns schrittweise annähern“ sollen,  stoße, wie der Verfasser mit einem Rest an Realitätssinn einräumt, leider an Mauern. Die der importierte „politische Islam“ mittlerweile auch im Innern der von Strasser gepriesenen multikulturellen Gesellschaften Westeuropas hochziehe. Und der Islam scheine bezüglich des westlichen Wahrheitsuniversalismus „zur Zeit nur äußerst begrenzt lernfähig“. Womit Spengler abermals recht zu behalten drohe: „Menschengeschichte ist Kriegsgeschichte“. 

Im Vergleich mit solchen Traumtänzern erreicht der Leser bei Alexander Demandt die Hochebene der Spengler-Forschung. Der im Unruhestand lebende Berliner Althistoriker, der wesentlichen Anteil daran hatte, Spengler selbst in der ihm wenig günstigen „progressiven“ Atmosphäre der 1970er und 1980er im akademischen Gespräch präsent zu halten, versammelt eine Auswahl seiner seit 1980 publizierten Studien zu dem schier unerschöpflichen Werk des Meisters. Es überwiegen die Sondierungen in geistesgeschichtlichen Kontexten, in die der „Untergang des Abendlandes“ eingebettet ist. 

Hier sind es vor allem Einflüsse eines anderen überragenden, heute nahezu vergessenen Universalhistorikers, denen Demandt nachspürt: des Berliner Altertumswissenschaftlers Eduard Meyer (1855–1930), des einzigen der Mandarine seiner Zunft, den Spengler als seinesgleichen respektierte. Meyer demonstrierte in seiner achtbändigen „Geschichte des Altertums“, die ein Gesamtbild der Antike vom ältesten Orient bis zum Hellenismus entwarf, wie sich Kulturen zyklisch entwickeln und wie sie nach ihrem gesetzmäßigen Niedergang im kulturlosen „Völkermischmasch“ enden. Womit er zum wichtigsten Anreger von Spenglers Morphologie monadischer Kulturkreise wurde. 

Die eindrücklichste Lektion aber, die in diesem Kapitel über Meyer und Spengler auf kleinstem Raum unvergeßlich über Vergänglichkeit unterrichtet, kleidet Demandt in eine Anekdote. Am 17. Juli 1986 habe er, um eventuell Nachgelassenes zu bergen, erstmals Meyers Villa in Berlin-Lichterfelde betreten. Wo er zwischen dick mit Staub bedeckten Bücherreihen eine mutmaßliche Nichte von „Edu“ antraf, 90jährig, sowie eine Schildkröte, 100jährig, die sich „friedlich und niedlich von Meyers Briefen und Tagebüchern ernährte“. Die 1945 untergegangene preußisch-deutsche Gelehrtenkultur des langen 19. Jahrhunderts, in Lichterfelde konserviert à la Pompeji.

Doch trotz des Reichtums neuer Deutungen, die diese Spengler-Studien für Fortgeschrittene vermitteln: Unterm Strich erdrückt das Antiquarische den aktualisierbaren Gehalt, dem Demandt sich allein in den Schlußkapiteln über „Spengler und die Weltgesellschaft“ und „Was bleibt von Spengler“ widmet. Typisch liberal und noch dazu altersmilde, neigt Demandt dazu, Spengler zu entschärfen. Dessen „farbige Weltrevolution“ werde schon nicht zum Rückfall auf die prähistorische Stufe des „tierähnlichen Menschen“ führen. Die Zukunft heiße nun einmal „Globalität“, deren Gestalt bei Demandt jedoch keine Konturen aufweist.

Ganz anders als in den Aufsätzen des Sammelbandes über den „langen Schatten Spenglers“. Hier wird mit Spenglers Hilfe die Globalisierung, die gegenwärtig rasch zerfallende Weltordnung des Status quo, die Zukunft der westlichen Demokratien, die US-Außenpolitik, der anlaufende Kampf der Kulturen durchleuchtet. Der Ökonom Max Otte weiß dabei die fruchtbarsten Lehren aus Spenglers Zeitdiagnosen zu ziehen. Ausgangspunkt ist dessen Axiom: „Demokratie ist die vollendete Gleichsetzung von Geld und politischer Macht.“ 

Damit sei der Zustand der Welt auch 100 Jahre später noch zutreffend erfaßt, wie die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die Dominanz des Wirtschafts- und Gelddenkens, die Herrschaft des angloamerikanischen Finanzkapitalismus zeige, der die Komplexität des Daseins auf ein einziges Prinzip, eine einzige Zahl reduziere: die Rendite. Dieser Zahl unterwerfe die „Logik des Hyperkapitalismus“ alles. Was ihm entgegenstehe, wie das kontinentaleuropäische Wirtschaftsmodell, der eher gemeinwohlorientierte „rheinische Kapitalismus“, löse sich derzeit auf. 

Mit seiner Expansion würden die von Spengler prognostizierten Konflikte um Ressourcen zunehmen. Statt der vor allem von der deutschen politischen Klasse anvisierten „Weltzivilgesellschaft“ erwarte uns die „Weltherrschaft der Konzerne“. Folge man dem Spenglerschen Schema, „stehen wir nun bereits an der Schwelle zum letzten Zeitalter der westlichen Kultur, in dem sich wieder nackte Gewalt als Mittel der Politik durchsetzt“. Damit degenerierten die bisher intakten, hochkomplexen Rechts- und Wirtschaftssysteme. Die internationale Wirtschaftsordnung sei mit Ausbruch der Finanzkrise bereits in eine Phase verschärfter Rechtsunsicherheit eingetreten, die staatlich verfügten Niedrigzinsen samt schleichender Enteignung seien deren Symptome. Sollte es den westlichen Gesellschaften nicht gelingen, diesen Verfall aufzuhalten und sich zu reformieren, werde sich „der vergessene Spengler einmal mehr rächen, indem er recht behält“. 

Peter Strasser: Spenglers Visionen. Hundert Jahre Untergang des Abendlandes. Verlag Braumüller, Wien 2018, gebunden, 127 Seiten, 18 Euro

Alexander Demandt: Untergänge des Abendlandes. Studien zu Oswald Spengler. Böhlau Verlag, Köln 2017, gebunden, 225 Seiten, 30 Euro

David Engels, Max Otte, Michael Thöndl (Hrsg.): Der lange Schatten Spenglers. Einhundert Jahre Untergang des Abendlandes, Manuscriptum Verlag, Lüdinghausen 2018, gebunden, 175 Seiten, 19,80 Euro