© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

„Das ist extrem gefährlich“
Erneut hat ein islamistischer Anschlag die Welt erschüttert. Die eigentliche Gefahr jedoch geht nicht, wie meist angenommen, von den Dschihadisten aus – sondern von der friedlichen Masseneinwanderung, warnt der US-Historiker und Islamkritiker Daniel Pipes
Moritz Schwarz

Herr Dr. Pipes, warum ist islamische Einwanderung ein Problem?

Daniel Pipes: Sie geschieht friedlich, das ist eine enorme Herausforderung. 

Da würden Ihnen bereits viele widersprechen und etwa auf den ehemaligen SPD-Politiker Vural Öger verweisen, der 2004 gesagt hat: „Im Jahr 2100 gibt es in Deutschland 35 Millionen Türken ... (und etwa) zwanzig Millionen Deutsche. Was Sultan Süleyman mit der Belagerung Wiens begann, werden ... unsere gesunden Frauen verwirklichen.“

Pipes: Dieses Zitat bestätigt meinen Standpunkt: Nämlich, daß sich ein friedlicher Wechsel von unserer judeo-christlichen Zivilisation hin zu einer islamischen Kultur vollzieht. Bekanntlich ist der Westen der islamischen Welt militärisch ja weit überlegen. Natürlich gibt es dennoch Dschihadisten, die auf Gewalt setzen. Die aber – trotz mancher Erfolge, wie jüngst die furchtbaren Anschläge auf Sri Lanka – wohl nicht den Hauch einer Chance auf Sieg haben. Tatsächlich sind es also nicht die Dschihadisten, die möglicherweise Erfolg haben werden.

Sondern? 

Pipes: Jene Islamisten, die sich gesetzeskonform verhalten und sich auf den Marsch durch die Institutionen gemacht haben – auf den Weg in die Medien, in die Politik, in unsere Bildungseinrichtungen und unser Gerichtswesen.

Heißt das, Sie wünschten sich lieber Krieg?

Pipes: Selbstverständlich nicht! Auch wenn es so einfacher für uns wäre, zu gewinnen. 

Also ist nach Ihrer Ansicht gerade friedliche Einwanderung gar kein Grund zur Entwarnung?

Pipes: So ist es. Denn der Islamismus ist ein Ideengebilde, das mit Ideologien wie Kommunismus und Faschismus zu vergleichen ist: Er produziert enorme Machtanballung bei der Führung, ermöglicht totale Kontrolle des Individuums und ist potentiell in der Lage, Menschen jeder Herkunft, Geschlechts, sozialer Stellung etc. zu einer weltanschaulichen Kraft zu vereinen. Und das ist extrem gefährlich! Übrigens nicht nur für uns im Westen, sondern auch für Länder wie Indien, China oder Mexiko sowie für nicht-islamistisch ausgerichtete islamische Länder. 

Es gibt in Mexiko islamistische Probleme? 

Pipes: Oh ja. Im Vergleich zu denen in Europa sind sie aber noch nicht so groß.  

Ist Ihre Unterwanderungsthese nicht eine gefährliche Verschwörungstheorie?

Pipes: Nein, denn eine Verschwörungstheorie setzt voraus, daß jemand angeblich heimlich einen Plan schmiedet. An einen solchen glaube ich aber nicht. Es ist also keine Verschwörungstheorie, sondern ein normaler soziologischer Prozeß: Menschen aus armen und von Kriegen zerrissenen Ländern versuchen, in friedliche und wohlhabendere Staaten zu gelangen. 

In Ihrer Heimat USA gilt allerdings nicht die Zuwanderung von Moslems, sondern der Latinos als „die“ große Sorge. Warum ist das nicht Ihr Thema? 

Pipes: Nun, die Latinos sind nicht so sehr verschieden von den Amerikanern und sie bringen auch keine totalitäre Ideologie wie den Islamismus mit. Natürlich gibt es auch hier Probleme, kein Zweifel, doch sind sie kleiner. 

Die USA haben nur 0,9 Prozent moslemische Bevölkerung – im Gegensatz etwa zu Großbritannien mit etwa fünf, Deutschland mit 5,5 und Frankreich mit gut acht Prozent. Ist da in den Vereinigten Staaten Islamisierung überhaupt ein Problem? 

Pipes: Ja, denn es vollziehen sich bei uns die gleichen Prozesse wie in Europa – wenn auch langsamer und in anderer Form. Ein Unterschied ist zum Beispiel: Etwa ein Viertel der moslemischen Bevölkerung in den USA besteht aus Konvertiten – die meisten davon sind Schwarze. Und ein weiterer Unterschied ist, daß muslimische Einwanderer bei uns einen wesentlich höheren sozialpolitischen Status haben – der beides für uns mit sich bringt: Vorteile, aber auch Herausforderungen. Denn während die Moslems in Europa eher aus der unteren Schicht ihrer Heimatländer stammen, sind die Moslems bei uns eher Ärzte und Ingenieure. Allerdings sind diese für den Islamismus nicht weniger empfänglich, wie wir aus Umfragen und anderen Untersuchungen wissen. 

Wie entwickelt sich denn die islamische Einwanderung in die USA?

Pipes: Die Vereinigten Staaten sind,  mit Ausnahme Frankreichs, das auch eine lange Einwanderungskultur hat, ganz anders als die europäischen Völker – die in ihrer Geschichte stets weitgehend wie große Familien waren. Wir dagegen sind schon immer ein Einwanderungsland gewesen – mit einer zentralen Idee: Dem „Pursuit of happiness“, also dem Streben nach Glück. Man kann daher schon fragen, wo das Problem liegen soll, wenn eben auch Moslems kommen. Die Antwort lautet: Zuvor hatten es die USA so gut wie nie mit Einwanderern zu tun, die ihre Kultur über die amerikanische gestellt haben. Natürlich haben sich Parallelgesellschaften gebildet – Stichwort: Little Italy, Chinatown etc. Und natürlich gibt es ethnische Bandenkriminalität, wie Mafia oder Triaden. Doch sind das kriminelle Phänomene, ohne daß eine politisch-kulturelle Nichtanerkennung der USA inbegriffen wäre. Und selbst die lange sehr abgeschlossen lebenden Chinesen haben nie die öffentliche Gültigkeit der amerikanischen Kultur in Frage gestellt. Mit dem Islam aber sind wir mit einer Einwanderung konfrontiert, deren Vertreter mehr und mehr die amerikanische Kultur nicht respektieren. Denn einige Moslems sind nicht wegen der Möglichkeiten gekommen, die die USA ihnen bieten. Im Gegenteil, sie verachten die amerikanische Kultur und wollen sie durch ihre eigene ersetzen. 

Aber ist der Islam nicht auch eine einheimische amerikanische Kultur – Stichwort: die „Nation of Islam“ der US-Schwarzen. 

Pipes: Die Nation of Islam, beziehungsweise ihr Vorläufer, wurde erst 1913 gegründet und hat mit dem normativen Islam des Orients kaum etwas zu tun. Vielmehr war sie eine Art volkstümlicher Religion nicht kirchlich gebundener Schwarzer, die damit – in Abgrenzung zum weißen Amerika – ihre kulturelle Herkunft als Nachfahren von Afrikanern betonen wollten. Und in den sich sogar Science-fiction-Elemente mischten, wie der Glaube an ein Raumschiff und einen Wissenschaftler mit einem großen Kopf, der einst die weiße Rasse erschaffen hat. Und doch hatte die Nation of Islam eine Brückenfunktion für die Entwicklung des normativen Islam in den USA. Insofern nämlich, als etliche der heutigen Nachfahren der Nation of Islam dank dieser überhaupt in Kontakt mit dem normativen Islam gekommen und in diesen eingeführt worden sind. Inzwischen ist die Nation of Islam, zu seinen Gunsten, fast verschwunden. Ihr Erbe aber sind etwa 750.000 US-Moslems.           

Laut einer Studie des amerikanischen Pew Research Center von 2017 würde sich bei restriktiver Nullzuwanderung der moslemische Bevölkerungsanteil Deutschlands bis 2050 dennoch auf knapp neun Prozent erhöhen. Bei einer Zuwanderung wie 2015/16 dagegen sogar auf knapp zwanzig Prozent. Wie geht das aus?

Pipes: Da gibt es zwei Szenarien: Entweder die Europäer akzeptieren diese Entwicklung und ordnen sich ihren dramatischen Folgen unter. Oder sie weigern sich und stoppen sie. Die meisten meiner Kollegen, die vor islamischer Zuwanderung warnen, glauben, daß die Europäer den Moment verpassen werden, das Ruder herumzureißen. Ich dagegen glaube das Gegenteil. 

Was veranlaßt Sie dazu?

Pipes: Ich habe die Entwicklung speziell seit der Rushdie-Affäre von 1989 studiert und komme zu dem Schluß, daß seitdem keineswegs nur die Einwanderung und die Präsenz der Idee des Multikulturalismus zugenommen hat – sondern auch die Kritik an diesen Entwicklungen, sowie die Bereitschaft, sich ihnen entgegenzustellen. Inzwischen gibt es bereits in fünf mitteleuropäischen Staaten Regierungen, die eine einwanderungs- und islamisierungskritische Politik verfolgen: die Tschechei, Polen, Ungarn, Österreich und Italien – und nach dem 28. April könnte es in Spanien vielleicht zu einer sechsten kommen. Wenn wir uns nun diese fünf Staaten genauer anschauen, erkennen wir drei verschiedene Wege, um den Widerstand gegen Einwanderung und Islamisierung politisch durchzusetzen: Der erste ist der Weg Ungarns, bei dem es der einwanderungskritischen Partei gelungen ist, eine überlegene politische Stellung zu erlangen. Der zweite ist der Weg Italiens, wo es die einwanderungskritische Kraft geschafft hat, sich für diese Politik mit einer linken Partei zu verbünden. Der dritte Weg ist der Österreichs, wo die Einwanderungskritiker gegen die Linke die konservative Mitte für ihre Politik gewonnen haben. 

Welcher Weg wird sich durchsetzen? 

Pipes: Ich glaube, Ungarn ist ein Sonderfall und der italienische Weg könnte vielleicht noch in ein paar anderen Ländern gelingen, wobei die Chancen dafür allerdings nicht gerade groß sind. Zum Modell für Europa taugt dagegen wohl der österreichische Weg, der früher oder später vermutlich auch in Ihrem Land beschritten werden wird. 

Eine Koalition aus CDU/CSU und AfD ist derzeit unvorstellbar.

Pipes: Nun, derzeit vielleicht – doch der dramatische demographische Schwund der Europäer, die Massenzuwanderung und Geburtenrate der Einwanderer sowie weitere Faktoren werden die Lage massiv verändern. Und die Gründe dafür, daß die etablierte Politik sich weigert, Widerstand gegen das zu leisten, was auf Europa zukommt, erodieren bereits. 

Welche Gründe sind das?

Pipes: Etwa das Unbehagen gegenüber notwendigen Veränderungen unseres politisch-kulturellen Systems, weil wir plötzlich mit einer Religion mit politischem Anspruch konfrontiert sind. Oder die noch dominierende Sicht, Einwanderer, vor allem Moslems, als Opfer zu sehen, deren Interessen wir über die unseren zu stellen haben. Oder die panische Angst davor, sich Vorwürfen auszusetzen, speziell einem der großen Drei: „Imperialismus“, „Rassismus“, „Faschismus“.

Eben solche Vorwürfe werden Ihnen gemacht. 

Pipes: Was wirklich einfältig ist. Ich bin schlicht ein Konservativer, der an Individualismus, Freiheit und die Nation glaubt. Und der Moslems nicht an sich ablehnt. Vielmehr, wenn sie den Primat des Islam aufgeben, unsere Werte akzeptieren und sich als Patrioten in unseren Gesellschaften einbringen, dann sage ich: Herzlich willkommen! Ich sage auch nicht, daß der Islam – nicht der Islamismus – eine Ideologie sei und keine Religion. Und ich sage nicht, daß der normale Moslem per se ein Problem ist. Nein, in ruhigen Zeiten leben die meisten friedlich. 

Ein weiterer Vorwurf lautet, als Amerikaner jüdischer Abstammung stecke hinter Ihrer politischen Arbeit nicht das Interesse des Westens, sondern das Israels. 

Pipes: Jetzt beleidigen Sie mich. Natürlich kümmert mich Israel – wie übrigens die große Mehrheit der nichtjüdischen Amerikaner. Darüber hinaus findet man unter Juden eine große Vielfalt an Meinungen – von proisraelisch bis zu antizionistisch. Nein, meine Sicht auf Israel ergibt sich logisch aus meinem politischen Standpunkt: Denn Konservative überall in der Welt – ob in Japan, Indien, Deutschland, Brasilien oder eben den USA – sind weit positiver gegenüber Israel eingestellt als Linke. Wie also die meisten Konservativen, sympathisiere auch ich mit Israel. Ich sympathisiere allerdings auch mit den Moslems, von denen ich glaube, daß sie zu Modernisierung und Demokratisierung und zum Erfolg in der modernen Welt fähig sind. 






Dr. Daniel Pipes, ist Direktor der von ihm gegründeten Denkfabrik Middle East Forum in Philadelphia. Der Historiker und Publizist studierte unter anderem in Harvard und in Ägypten, lehrte an mehreren US-Universitäten, arbeitete für das amerikanische Außen- und das Verteidigungsministerium, wurde 2003 von Präsident George W. Bush in den Vorstand des staatlichen „United States Institute of Peace“ berufen und beriet 2008 den ehemaligen Bürgermeister von New York und Bewerber für die republikanische Präsidentschaftskandidatur Rudolph Giuliani. Pipes, 1949 in Boston als Sohn des renommierten Historikers Richard Pipes (JF 45/17) geboren, schreibt unter anderem für das Wall Street Journal, die New York Times, Washington Post oder Jerusalem Post und veröffentlichte zahlreiche Bücher, von denen auf deutsch erschienen sind: „Verschwörung. Faszination und Macht des Geheimen“ (1998) und „Löwengrube. Eine westliche Sicht auf Islam und Nahen Osten“ (2012). Zudem existiert eine deutsche Version seines Blogs unter:  www.de.danielpipes.org

Foto: Sicherheitskräfte haben Opfer der Terroranschläge vom Ostersonntag vor einer Kirche in Colombo/Sri Lanka aufgereiht, um sie durch ihre Angehörigen (r.) identifizieren zu lassen: „Tatsächlich sind es wohl nicht die Dschihadisten, die möglicherweise Erfolg haben werden ... sondern jene Islamisten, die sich auf den Marsch durch unsere Institutionen gemacht haben“

 

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