© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

„Ein Fluß aus Blut“
Sri Lanka: Anschlagsserie durch Dschihadisten soll Vergeltung für Moschee-Anschlag in Christchurch sein
Marc Zoellner

Eine Spur der Verwüstung zog sich durch die Stadt: Nur Trümmer blieben vom einstmals prachtvoll geschmückten Inneren des St. Anthony’s Shrine, jener Kirche im Norden Colombos, die vormals als Herzstück der katholischen Glaubensminderheit Sri Lankas galt. Ein Selbstmordattentäter, der sich unter die Besucher der Ostermesse gemischt hatte, sprengte sich hier am Sonntag gegen 8.45 Uhr in der Früh in die Luft und riß Dutzende Gläubige mit sich in den Tod. Es war der Auftakt zu einer ganzen Serie von Terroranschlägen; zu einer Chronologie des Entsetzens, welche selbst das über Jahrzehnte von Bürgerkrieg und Anschlägen geplagte Sri Lanka in dieser drastischen Weise noch nie erlebt hatte.

Anschläge waren genau aufeinander abgestimmt

Keine Viertelstunde später ließen Selbstmordattentäter beinah simultan ihre Sprengsätze an den Frühstücksbuffets und in den Restaurants dreier Luxushotels gut zwei Kilometer südwestlich des ersten Tatorts detonieren. Auch sie hatten sich als Gäste getarnt und waren teilweise, soweit sie von den Ermittlern bislang identifiziert werden konnten, unter falschen Namen in den besonders unter westlichen Touristen beliebten Hotels eingecheckt. „Es war ein Fluß aus Blut“, berichtete ein Augenzeuge später der New York Times über die Momente nach den Terrorangriffen. „Asche fiel wie Schnee vom Himmel.“

Es sollte längst nicht dabei bleiben: Auch in der mehrheitlich von Tamilen bewohnten Küstenstadt Batticaloa im Osten des Inselstaates im Indischen Ozean zündete ein Terrorist seinen Sprengstoffgürtel in einer Kirche und ermordete über 28 Gläubige. Und in Negombo, eine halbe Autostunde nördlich von Colombo gelegen, starben zeitgleich  über einhundert Christen, als sich ein weiterer Attentäter im Gebetshaus in die Luft sprengte. Als Sicherheitskräfte am gleichen Nachmittag im Osten Colombos Wohnkomplexe nach Mittätern durchkämmten, riß ein Verdächtiger drei Beamte mit sich in den Tod. Im Hotel Tropical Inn, gegenüber dem staatlichen Zoologischen Garten, tötete eine Bombe zwei Gäste. Und vor dem zwischen Negombo und Colombo gelegenen Internationalen Flughafen konnte die srilankische Luftwaffe eine sechzig Kilo schwere Rohrbombe noch knapp vor deren Explosion entschärfen.

Insgesamt hatten die Ostersonntagsanschläge auf Sri Lanka über 300 Opfer gefordert, darunter mindestens 35 ausländische Touristen. Die Zahl der Verletzten wird offiziell mit 500 beziffert. Gezielt hatten die Attentäter dabei christliche Veranstaltungen ins Visier genommen und dabei ebenso bewußt den Tod von Einheimischen wie Ausländern provoziert. „Die Anschläge waren genauestens aufeinander abgestimmt, um Mord, Chaos und Anarchie zu erzeugen“, erläuterte Sri Lankas Finanzminister Mangala Samaraweera später die Vorgehensweise der Terroristen. „Diese Anschläge erwecken den Eindruck, als stammten sie direkt aus dem Drehbuch vom IS, al-Qaida und der globalen Dschihadistenszene“, zeigt sich auch Anne Speckhard, Terrorismusexpertin an der Washingtoner Georgetown-Universität, überzeugt. „Denn mit den Angriffen auf mehrere Kirchen während eines hohen religiösen Feiertags dienten sie einzig dazu, Glaubenshaß zu schüren. Hier geht es nicht um eine Separatistenbewegung, sondern um Religion und Bestrafung.“

Bislang war Sri Lanka vom Terror durch Islamisten weitgehend verschont geblieben. Gut zehn Prozent der Einwohner des multiethnischen und multireligiösen Inselstaates sind muslimischen Glaubens; der Großteil der hiesigen islamischen Gemeinde besteht aus Nachfahren arabischer Händler, die sich seit dem 8. Jahrhundert mit Einheimischen vermischt hatten und deren daraus entwickelte Minderheit der „srilankischen Mauren“ als gut integriert in die Gesamtbevölkerung gilt. Gerade einmal 32 der zwei Millionen srilankischen Muslime, hatte Sri Lankas Justizminister Wijedasa Rajapakse noch Ende 2016 verkündet, hätten sich den Dschihadisten des IS im Irak und in Syrien angeschlossen. Lokalen Medien zufolge sei bislang keiner der Extremisten im Anschluß wieder auf die Insel zurückgekehrt.

IS bekennt sich zu Anschlägen

Trotz alledem ist der Verdacht der Regierung, ausländische Organisationen hätten zu den Terroranschlägen Beihilfe geleistet, nicht von der Hand zu weisen: Die für die Bluttaten verantwortlich gemachte Radikalengruppe „National Thowheed Jamath“ sei bislang nämlich lediglich durch mutwillige Beschädigungen buddhistischer Schreine sowie für Haßreden in der Öffentlichkeit bekannt. Für letzteres wurde ihr Vorsitzender Abdul Razik im November 2016 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. „Wir glauben nicht, daß diese Angriffe lediglich von einer nur in diesem Land aktiven Gruppe ausgeführt worden sind“, erklärte Kabinettssprecher Rajitha Senaratne am Montag. „Dahinter steckt ein internationales Netzwerk, ohne welches die Anschläge keinen Erfolg gehabt hätten.“

Offiziell bekannte sich der IS  zur Anschlagsserie. Am Dienstag  ließ Vize-Verteidigungsminister Ruwan Wijewardene verlauten, daß die Bombenanschläge nach ersten Erkenntnissen als Vergeltung für den Anschlag auf Moscheen im neuseeländischen Christchurch im März gedacht gewesen seien.