© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

Messina ist in Weißwasser die Nummer eins
Ausstellung: Im Glasmuseum erinnert eine Sonderschau an das Design des Bauhaus-Schülers Wilhelm Wagenfeld
Paul Leonhard

Schön und praktisch zugleich sollte die neue Zitronen- und Apfelsinenpresse aus Preßglas sein, für die die Vereinigten Lausitzer Glaswerke AG Weißwasser (VLG) vor achtzig Jahren in ihrem Katalog warben. Und tatsächlich wurde die von dem in Bremen geborenen Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) entworfene zweiteilige Zitronenpresse „Messina“ ein Verkaufserfolg. Sie entsprach exakt jenen Vorgaben, die der Bauhaus-Designer einmal als eigenen Anspruch formuliert hatte, Dinge zu entwerfen, „jedes Stück so schön und praktisch, daß sich der Reichste wünscht, es zu besitzen, und so preiswert, daß auch der Ärmste es sich kaufen kann“. 

An diesem Produkt aus Preßglas sei alles perfekt, schwärmt Christine Lehmann von der kleinen grünen Zitronenpresse, in deren Boden die große VLG-Rautenmarke mittig gepreßt ist. Lehmann hat mit zwei Kollegen die aktuelle Sonderschau „Glasdesign aus Weißwasser vom Bauhaus bis heute“ kuratiert, die derzeit in der kleinen ostsächsischen Stadt zu sehen ist und den sperrigen Untertitel „Von Wagenfeld über Bundtzen und die Werkstatt für Glasgestaltung bis Stölzle Lausitz GmbH“ trägt. 

Das einstige Heidedorf Weißwasser hatte sich, nachdem hier 1872 die erste Glashütte gebaut worden war, schnell zur Hochburg der europäischen Glasindustrie entwickelt. An diese Glanzzeiten erinnert heute das in der ehemaligen Villa der Familie Gelsdorf untergebrachte Glasmuseum mit Sammlungen Lausitzer Glas des 19. und 20. Jahrhunderts, darunter auch Diatretgläser, die als Wunder der Glasschneidekunst gelten, sowie Glas für Wissenschaft und Technik, historischen Werkzeugen zur Herstellung, Verarbeitung und Veredlung von Glas sowie Dokumenten und Zeitzeugnissen zur Geschichte von Weißwasser und Niederschlesien.

Besonders stolz ist man aber auf das Schaffen von Wilhelm Wagenfeld, der als Bauhaus-Künstler und Pionier des Industriedesigns bereits berühmt war, als er 1935 ein Angebot der Vereinigten Lausitzer Glaswerke AG annahm, in Weißwasser als künstlerischer Leiter völlig neue Kollektionen zu entwickeln. Ein Entwicklungsetat von 100.000 Reichsmark wurde ihm dafür zur Verfügung gestellt und ihm überdies zugesichert, daß allein er entscheide, welche Muster in die Produktion gehen. „Nach dem Krieg habe ich allerdings nirgends wieder so viel Zustimmung und so viel freie Entscheidung haben können wie in Weißwasser.“, sagte Wagenfeld rückblickend. In bester Bauhaus-Tradition bereinigte der Designer die Kelch- und Preßgläser von ihren bis dahin üblichen Schliffornamenten und entwarf einfache Gefäßformen mit reduzierten Dekoren, die bei den Käufern so gut ankamen, daß die VLG wieder Gewinne einfuhr. 

In ihrem Katalog von 1939 stellte die Glaswerke AG etwa 140 Muster vor, darunter auch die Zitronenpresse Messina. Die Jahre zuvor hatte Wagenfeld schon hervorstechende Erzeugnisse wie das Glasservice „Lobenstein“ oder Kubusgeschirr aus Preßglas entworfen.

Vor allem aber hat Wagenfeld die Suche nach einem perfekten Design für eine Zitronenpresse umgetrieben, über die der Dichter Peter Altenberg in seiner 1900 veröffentlichten Prosaskizze „Flirt“ seinen Protagonisten zu seiner Angebeteten sagen läßt: „Mit der gläsernen Zitronen-Presse für 50 Heller, der Saft rinnt dir wie ein kleines Bächlein in die untere Rinne, während die unnötigen Kerne in der oberen Rinne liegen. Die Schale selbst aber ist innen trocken wie die Wüste Gobi. Jetzt erst könnte ein Wucherer und eine Kokotte sagen: Ich habe ihn ausgepreßt wie eine Zitrone.“

Tatsächlich führte der von Wagenfeld entwickelte Entwurf zu einer besseren Ausnutzung der Frucht, hatte aber den Nachteil, daß durch die sägeförmigen Rippen wesentlich mehr Häute aus der Zitronenschale gelöst wurden, so daß auch zum Abfiltern von Häuten und Kernen eine andere Lösung gefunden werden mußte. 

Nachkriegsmoderne in der DDR

Man habe lange vergeblich nach einer geeigneten Zitronenpresse gesucht, die im Restaurant des Deutschen Hauses während der Pariser Weltausstellung gebraucht werden sollte, schreibt Wagenfeld in seinem Essay „Glassimpeleien eines Qualitätsnarren“ 1938: „Wir befaßten uns auch gründlich mit dem Gebrauch der Zitronenpressen, die es gab, und entdeckten dabei viel Verbessernswertes. So kamen wir darauf, in den Reibkegel an Stelle der gleichseitigen und gleichwinkeligen Keilschnitte ungleichseitige und ungleichwinklige, sägeförmige einzuschneiden.“ Der Griff sollte zudem handlich sein und der Ausguß beim Gebrauch nicht tropfen. Während des Modellierens kam Wagenfeld  die Idee, „durch eine kleine Nase am Oberteil des Reibkegels und eine passende Kerbe an der unteren Schale beide Teile ineinanderzuklammern und so den Gebrauch des kleinen Hausgeräts zu vereinfachen“.

Die Sonderschau in Weißwasser begnügt sich aber nicht mit Wagenfeld, der bis 1949 in der Stadt tätig war, sondern beschäftigt sich auch mit der Nachkriegsmoderne in der DDR, die vor allem vom Schaffen des Wagenfeld-Schülers Friedrich Bundtzen (1910–1989) geprägt ist. Dieser hatte 1950 die Werkstatt für Glasgestaltung gegründet, die zeitlos schöne, für die industielle Fertigung geeignete Kelchservices, Bowlen, Vasen, Becher, Schüsseln und Schalen entwarf. Bundtzen wurde dafür 1980 mit dem Designpreis der DDR geehrt, für die Produkte gab es Goldmedaillen auf der Leipziger Messe. 

1980 war übrigens auch das Jahr, als für einen studentischen Entwurf Wagenfelds (und Carl Jacob Juckers) von 1923 ein beispielloser Siegeszug begann: für die Tischlampe „WG24“ mit Milchglasschirm, ursprünglich ein wirtschaftlicher Mißerfolg, die aber heute zu den stärksten Symbolen des Bauhauses zählt. In Wagenfelds mehr als 600 Nummern umfassendem Werkverzeichnis ist die Leuchte die Nummer eins. In Weißwasser bleibt dagegen Messina – egal ob in den Farben hell, moosgrün, hellgelb oder altgrün – die Nummer eins. Die kleine Zitronenpresse ziert nicht nur das Plakat der Sonderausstellung, sondern wird auch in einer separaten Vitrine präsentiert.

Die Ausstellung ist bis zum 18. August im Glasmuseum Weißwasser, Forster Str. 12, wochentags von 8 bis 15 Uhr, Mi. bis 17 Uhr, Samstag von 13 bis 17 Uhr und Sonntag ab 14 Uhr zu sehen. Tel.: 0 35 76 / 204000

 www.glasmuseum-weisswasser.de