© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

Philologische Revision der „judenfeindlichen“ Evangelien
Macht der Gewohnheit
(dg)

Viele Stellen des Neuen Testaments (NT), die seit Generationen als judenfeindlich gelten, sind es möglicherweise gar nicht. Mit diesem unzeitgemäßen Resultat langjähriger philologischer Studien wartet Hans Förster auf (Herder Korrespondenz, 3-2019), der seit 2010 an Forschungsprojekten der Wiener Universität zur Editio Critica Maior des NT mitarbeitet. Ziel des multinationalen Vorhabens ist eine verbesserte wissenschaftliche Erschließung des NT unter Berücksichtigung griechischer Handschriften und altkirchlicher Übersetzungen. Förster glaubt jetzt schon behaupten zu können, daß viele judenfeindliche Lesarten nicht aus dem Urtext stammen, sondern aus der Vulgata und der Lutherbibel. Veraltete Wörterbücher und „die Macht der Gewohnheit“ hätten diese problematischen Passagen bis in modernste Übersetzungen hinein konserviert. Und dies, obwohl noch die jüngste Revision der Einheitsübersetzung (2016) keine Skrupel zeigte, an anderen Stellen den Textsinn zeitgeisthörig zu verändern. Weit weniger drastisch seien hingegen die – für Förster zwingend gebotenen – Eingriffe gerade da ausgefallen, wo man die Wahl zwischen Nähe zum griechischen Text und Treue zu traditionell judenfeindlichen Formulierungen hatte. Was um so bedauerlicher sei, weil die Päpstliche Bibelkommission schon 2001 gefordert hatte, „unnötige Antijudaismen“ in Übersetzungen zu vermeiden. 


 www.herder.de