© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Sie wollen umerziehen
Bahn wirbt für „Diversität“: Propaganda nimmt zu, je stärker Institutionen versagen
Thorsten Hinz

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hat gewußt, daß er mit seiner Facebook-Kritik am neuen Internet-Auftritt der Deutschen Bahn den Wutsturm der Rechtgläubigen auf sich ziehen wird. Er hat ihn gewagt.

 Seinen Widerspruch ausgelöst hat eine Bilderstrecke mit fünf Fotos, die dem Bahnkunden prominent ins Auge springen. Das erste zeigt einen Schwarzen, der ein Baguette verzehrt. Fans von Koch-Sendungen erkennen in ihm Nelson Müller, den in Ghana geborenen Meister der heißen Herdplatte vom ZDF. Für alle anderen ist er schlicht ein Afrikaner. Ein zweiter Mann im Seitenprofil: Weißes Hemd, Krawatte, gepflegter Bart, sinnierend vor dem Laptop, arabische Anmutung. Ein Geschäftsmann, der den Börsenkurs überprüft? Oder ein Professor auf Vortragsreise? 

Es folgt eine Frau orientalischen Phänotyps. Wer das Privat- dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorzieht, weiß, daß es sich um Nazan Eckes, eine RTL-Moderatorin mit türkischen Wurzeln, handelt. Auf dem vierten Bild eine afrikanische Mutter mit Kleinkind. Zum Schluß Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg, rechtsaußen als randständiger Weißer. Im realen Leben wohnt Rosberg in Monaco, dem Eldorado der Superreichen und Steuersparer: ein eher unwahrscheinlicher Nutzer der Deutschen Bahn. Der Werbekampagne ist zu entnehmen, daß der Zug weder die Sahelzone noch die Strecke von Istanbul nach Gaza durchquert – er fährt mitten durch Deutschland. „Außen schnell. Innen entspannt.“

Die Antwort auf Palmers Frage: „Welche Gesellschaft soll das abbilden?“, lautet: eine harmoniedurchtränkte Multikulti-Gesellschaft, die es nirgendwo gibt, an die dennoch alle glauben sollen, während die Politik der offenen Grenzen das Land nach brasilianischem oder libanesischem Vorbild ummodelt. Der Bahnvorstand verteidigt die Werbung in jenem Kindergarten-Jargon, der jede politische Debatte zum Gesinnungsgottesdienst verkommen läßt: Herr Palmer habe offenbar „Probleme mit einer offenen und bunten Gesellschaft“. In dieser „offenen Gesellschaft“ mehren sich die geschlossenen Räume, „No-go-Areas“ geheißen. Feuerwehrleute, Notärzte, Polizisten und natürlich Zugbegleiter werden zu Zielscheiben von Gewaltattacken. Nicht der nette Herr Müller, die charmante Frau Eckes oder der kluge Bassam Tibi sorgen für Probleme, sondern Akteure der Buntheit, die zwar nicht in der Werbung, aber in der Wirklichkeit präsent sind und den unausgesprochenen Grund für die Kampagne bilden. 

Diese kommunikative Leerstelle zu thematisieren, wird immer schwieriger, weil die No-go-Areas sich in der virtuellen Welt ebenfalls wie Ölflecke ausbreiten. Angestachelt von Politikern und staatsnahen Medien, sortieren die sozialen Netzwerke nonkonforme Meinungen immer öfter aus. Der Deutschlandfunk hat Palmer schon empfohlen, sich künftig ins „digitale Schweigen“ zurückzuziehen. Auf diese Weise entsteht eine Bewußtseinsspaltung, eine individuelle und kollektive Schizophrenie.

Auf Palmers Anliegen gehen seine wutentbrannten Kritiker kaum ein: „Was wir hier diskutieren, ist Identitätspolitik. Und zwar von rechts wie links.“ Beide würden die Gesellschaft spalten. Seine Darstellung ist nur zur Hälfte richtig. Der Ursprung der Identitätspolitik liegt auf der Linken, die mit der Bevorzugung von Minderheiten und der Gleichstellung des Ungleichen die Gesellschaft umbauen will. Soweit die „alten weißen Männer“ mit eigener (in Palmers Diktion: „rechter“) Identitätspolitik reagieren, handelt es sich um eine Defensivhandlung, um Notwehr. Doch heute genügt es schon, der linken Identitätspolitik, die von der Bahn transportiert wird, nicht vorbehaltlos zuzustimmen, um als „Rassist“ angegriffen zu werden.

Viele Politiker, die meisten Journalisten und der Bahnvorstand nennen das „Haltung“. Ein Unternehmen ermahnt seine Kunden, sich als Haltungsbürger zu verstehen und den Intentionen einer politisch-medialen Dressurelite zu folgen. Die Bahn betreibt politische Propaganda, sie macht sich zum Multiplikator einer selbstzerstörerischen Staatsideologie, die in immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens und längst auch in die Privatsphäre eindringt.

Nicht wenige Medien, Universitäten, Kirchen, Kultureinrichtungen, Stiftungen sind im Dauereinsatz, um einer willkürlichen „Diversität“ zu lobhudeln und den sozialen Ausschluß von „Rassisten“ zu betreiben. Banken, Betriebe, Sportvereine, Gaststätten, Hotels, Schulen, sogar Kindergärten sind vom Jagdfieber angesteckt. Das Land verwandelt sich sukzessive in eine Umerziehungsanstalt. Die Intensität der Propaganda korrespondiert dabei mit der fortschreitenden Dysfunktionalität der Institutionen. Mit der Deutschen Bahn reist man heute weder schnell noch entspannt, noch pünktlich.

Von selbstbestimmten Bürgern und gelebter Demokratie kann unter solchen Bedingungen keine Rede sein. Die Mehrheit hat die offizielle Schizophrenie verinnerlicht; eine Hetzmeute aus Denunzianten bildet die gesellschaftliche Avantgarde. Der Ausnahme-Grüne Boris Palmer ist nun in die Rolle des Renegaten geraten, des Abtrünnigen, der im Kreis der Rechtgläubigen noch mehr gehaßt wird als der Feind von rechts, weil der eigene, klammheimliche Zweifel in ihm Gestalt annimmt. Politisch bewegen wird seine Facebook-Intervention natürlich nichts. Die Resignation war ihr bereits eingeschrieben. Und so bezeichnen Verse Ulrich von Huttens das Maximum des aktuell Möglichen: „Ich hab’s gewagt mit Sinnen / und trag des noch kein Reu – / Mag ich nicht dran gewinnen, / Dennoch muß man spüren Treu.“