© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

„Extremismus ist falsch“
Der Verfassungsschutz führt sie als Verdachtsfall, für die meisten Medien und Politiker sind sie gar „rechtsextrem“. Was aber sagt die Identitäre Bewegung selbst dazu? Daniel Fiß, ihr Vorsitzender in Deutschland, gibt Antwort
Moritz Schwarz

Herr Fiß, haben Sie Verständnis für die Sorge, bei der Identitären Bewegung (IB) könnte es sich um Rechtsextreme „im Schafspelz“ handeln? 

Daniel Fiß: Nein, denn rechtsextrem war die IB zu keinem Zeitpunkt. Auch wenn, wie bei jeder Bewegung, zu Beginn eine anarchische Phase stand, in der es einige Sorgen gab und erst einmal die Kontrolle gewonnen werden mußte.  

Was für Sorgen?

Fiß: Damals war die IB hierzulande neu und unbekannt; vor allem aber unorganisiert: Jeder konnte eine Facebook-Seite einrichten und sich darauf als IB-Gruppe deklarieren. Doch diese Wildwest-Zeit endete mit unserer Konstituierung als Verein 2014, seitdem kontrollieren wir alle Beitritte. Und da sich die IB von Beginn an vom Rechtsextremismus distanziert hat, gibt es für solche Mutmaßungen wirklich keine Berechtigung. 

Aber wie ernst ist diese Distanzierung tatsächlich gemeint? 

Fiß: Absolut ernst! Ich verstehe aber, worauf Sie hinauswollen: Handelt es sich nur um ein taktisches Manöver? Nein! Doch was können wir mehr tun, als öffentlich immer wieder klar zu erklären, daß Rechtsextremismus ein Irrweg ist? Zudem sind unsere Inhalte, Aktionsformen und Sprache über jeden Zweifel erhaben. Ja, wir führen sogar Seminare durch, die unseren Mitgliedern vermitteln, was Extremismus eigentlich ist, also nicht nur daß, sondern auch warum er falsch ist. 

Können Sie das belegen? 

Fiß: Natürlich, gerne sende ich Ihnen unsere Argumentationstexte zu. Fragen Sie außerdem unsere Mitglieder. Oder kommen Sie zu so einer Veranstaltung doch einfach mal vorbei.     

Was sind das für Begründungen? 

Fiß: Etwa der kollektivistische Anspruch des Nationalsozialismus, der auch die Verwurzelung des Einzelnen und seine Beziehung gegenüber dem sozialen Gemeinwesen pervertiert hat. Oder sein Biologismus, der das historische und kulturelle Bewußtsein des Menschen gänzlich ausblendet. Ebenso sein Universalismus, der als Ideologie einen totalen Wahrheitsanspruch reklamiert und den Menschen aus allen tradierten Herkunftsbeziehungen heraus isoliert, um die Schaffung eines besseren Menschen zu forcieren, um nur drei Beispiele zu nennen. Übrigens sind wir wohl die einzige Jugendorganisation in Deutschland, die nicht speziell zu diesem Thema arbeitet und sich ihm dennoch so intensiv widmet. 

Warum werden Sie dann dennoch als mutmaßlich rechtsextrem eingestuft?

Fiß: Das fragen wir uns auch! Wird in Rußland versucht, oppositionelle Gruppen zu zerschlagen, ist die Empörung groß. Dabei geht es hierzulande ebensowenig um eine politische Auseinandersetzung mit der IB, also um Debatte, Fakten und Argumente, sondern darum, uns den Anspruch auf politische Teilhaben zu verweigern, uns politisch zu kriminalisieren, also möglichst zu zerstören. 

Harte Vorwürfe – haben Sie Belege dafür?

Fiß: Jede Menge, der gewichtigste ist vielleicht, daß ein zentraler Inhalt, der die IB ausmacht, eben die klare Trennlinie zum Rechtsextremismus ist, die wir mit viel Aufwand ziehen. Dennoch wird sie von den meisten Kritikern einfach ignoriert. Intellektuell ist das gespenstisch, und man fragt sich, wie ist das zu erklären? Ich persönlich halte nichts davon, die Argumente des politischen Gegners von vornherein zu verwerfen – statt dessen versuche ich, auch seine Sicht zu verstehen. Doch hier ist es nicht möglich, irgendeine Stringenz in der Argumentation gegen die IB zu erkennen – wodurch die böse Absicht als Motiv erkennbar wird. Ebenso ist es übrigens im Falle des Versuchs, der AfD Extremismus nachzuweisen, indem man ihre Kontakte zu uns aufzählt. Mal ehrlich, Tonfall und Inhalte mancher AfD-Kreise sind weit drastischer als bei der IB, und die Partei wäre schon viel früher ins Visier der Verfassungsschützer geraten, hätte sie nicht das Parteienprivileg. Äußerungen wie jene ob zu Recht oder unrecht berühmt-berüchtigt gewordenen von AfD-Führungspolitikern wie Petry, Gauland, Höcke, Weidel, von Storch oder Meuthen gibt es weder von seiten der IB als ganzes noch von einzelnen Kadern. Auch hier fehlt jede Stringenz. Überhaupt aber ist die ständige Unterstellung einer „Kontaktschuld“ durch den Mainstream völlig absurd und läßt jeglichen inhaltlichen Kern vermissen.   

Sie wollen sagen, wenn dann müßte der Verfassungsschutz argumentieren, daß eventuelle AfD-IB-Kontakte nicht etwa erstere „kontaminieren“, sondern letztere?

Fiß: Ich will gar nichts sagen, ich stelle nur fest – nämlich daß die Argumentation des Verfassungsschutzes und jener, die sie nachplappern, keinen Sinn ergibt. Was deutlich aufzeigt, mit welcher Absurdität und Willkür der Verfassungsschutz und die Etablierten operieren. 

Tatsächlich lassen sich im Bundeverfassungsschutzbericht keine verfassungsfeindlichen IB-Zitate finden. Statt dessen wird argumentiert, die Aussagen der IB enthielten einen Wesenskern, der der Menschenwürde widerspreche. So fordere die IB ein „homogenes“ Volk. Was bedeute, den Wert eines Menschen ethnisch zu definieren – was wiederum gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoße. 

Fiß: Unter homogen verstehen wir, daß jedes Volk eine kulturelle und auch ethnische Exklusivität besitzt. Allerdings wüßte ich nicht, wo dieser Umstand der gelebten Praxis widerspricht, daß natürlich einzelne Einwanderer und auch Gruppen – denken Sie etwa an Dänen, Friesen, Sorben, Hugenotten oder Ruhr-Polen – sich assimilieren. Es beschreibt also lediglich, was seit Tausenden Jahren Lebensnormalität in Europa ist. Wieso das nun plötzlich die Menschenwürde verletzt, bleibt ein Geheimnis. Niemand würde übrigens der SPD unterstellen, daß sie ihren zentralen Wert, das Soziale, automatisch absolut setzt und alle anderen Werte damit ausschließt. Niemand würde der FDP das gleiche in puncto Freiheit unterstellen, oder Union und Kirchen in Sachen Christentum. Identität, also das kulturelle, geschichtliche und ethnische Erbe, ist unser zentraler Wert, ja, aber deshalb setzen wir ihn nicht absolut – zentral ja, total nein. 

Der zweite Vorwurf des Verfassungsschutzes lautet, daß es zwischen IB und rechtsextremer Szene personelle Kontinuitäten gibt.

Fiß: Sicher, nur ist der Vorwurf schon deshalb unsinnig, weil einer der wichtigsten Begründer der deutschsprachigen IB, Martin Sellner aus Österreich, diese ausdrücklich auch deshalb gegründet hat, um Jugendliche vom Rechtsextremismus wegzuholen beziehungsweise zu verhindern, daß sie sich dorthin überhaupt erst verirren – sprich, jugendlichen Patriotismus aus der rechtsextremen „Geiselhaft“ zu nehmen. Und diese Jugendlichen statt dessen in demokratische und patriotische politische Strukturen einzubinden. Es geht darum, aus dem Rechtsextremismus aussteigen zu können, ohne quasi gezwungen zu sein, in das etablierte, politisch-korrekte Milieu einsteigen zu müssen. Und Sellner hat recht, wenn er sagt, hätte es die IB hierzulande bereits vor 2012 gegeben, wären er und viele andere nie in rechtsextreme Kreise geraten.

Wie zum Beispiel Sie selbst. 

Fiß: Eben, und deshalb weiß ich aus eigener Erfahrung auch, wie das funktioniert. Folgendes habe ich nicht nur bei mir beobachtet, sondern auch bei vielen jungen Einsteigern damals: Die meisten kamen nicht wegen eines geschlossenen rechtsextremen Weltbilds zur NPD und Kameradschaften, sondern weil sie sich aktionistisch engagieren wollten. Das einzige Angebot in dieser Hinsicht im rechten politischen Spektrum kam damals aber von extremistischen Gruppen. Man war begeistert von den aufregenden Aktionen und dem kameradschaftlichen Zusammenhalt dort, und deshalb identifiziert man sich schließlich mit der Gruppe – was dazu führt, daß man anfing, auch ihre Weltanschauung zu übernehmen. Deshalb ist das Konzept richtig, daß lieber die IB als Rechtsextreme die jungen patriotischen Leute abholt und ihnen dann statt eines neonazistischen, antidemokratischen und latent gewalttätigen Weltbildes ein gewaltfreies rechtsdemokratisches vermittelt.    

Es gab jedoch rechtsextreme Unterwanderungsversuche der IB. Also könnten doch ebenso Rechtsextreme die IB gewandelt haben, statt die IB die Rechtsextremen. 

Fiß: Natürlich gab es die, aber solche sind unvermeidlich und können nicht der IB angelastet werden. Vor allem aber  wurden sie erfolgreich abgewehrt. So gibt es etliche Beispiele dafür, daß wir Leute, die nicht zu uns passen, nicht aufgenommen oder uns wieder von ihnen getrennt haben. Dazu auch nochmal ein Beispiel aus eigenem Erleben: 2012 hatte ich mich als damaliger Aktivist der Jungen Nationaldemokraten, also der NPD-Jugendorganisation, zu einem IB-Stammtisch in Hamburg angemeldet. Ich bekam eine Absage: Solange ich dem anhänge, was die Partei vertrete, habe das wegen der konträren Anschauungen der IB keinen Sinn! Und die Abwehr findet nicht nur personell statt, sondern, wie erwähnt, auch inhaltlich – durch umfangreiche Theoriearbeit und Veröffentlichungen, die die grundlegende Unvereinbarkeit der IB-Ideen mit Extremismus deutlich machen. Auch um gewissen „Sympathisanten“ klar zu signalisieren: Leute, ihr seid bei uns falsch! Und schließlich, wäre, wie Sie in Ihrer Frage unterstellen, die IB übernommen worden, würde sich das in einer inhaltlichen Radikalisierung manifestieren. Wo aber sehen Sie die?  

Warum gibt es dann sogar einen AfD-Unvereinbarkeitsbeschluß gegenüber der IB?

Fiß: Das habe ich schon erklärt, die IB wird aus politischen Gründen dämonisiert und für unberührbar erklärt. Und sie soll dann natürlich auch als „Billardkugel“ dienen, um, wenn möglich, die AfD zu versenken. Nun ist eine natürliche Begebenheit, daß jede konkrete politische Kraft von einem sogenannten vorpolitischen Raum umgeben ist. Denn jedes politische Lager bildet eine (oder mehrere) Partei(en) in ihrem Zentrum aus und ein sympathisierendes Umfeld drumherum – aus Intellektuellen, Kreativen, Aktivisten, bis hin zu eigenen Medien und Bildungseinrichtungen wie Stiftungen. Im aktivistischen Segment des rechten vorpolitischen Raums ist die IB zweifellos die größte Kraft. Und sollte es, was ich nicht glaube, gelingen, die IB zu zerstören, würde zwar sie verschwinden, aber nicht das aktivistische Segment des vorpolitischen Raums! Dieses wäre nun unbesetzt und würde, was Ihnen jeder Politologe und Historiker bestätigen kann, von anderen Kräften gefüllt. Und diese könnten erneut solche sein, die lediglich eine extremistische Subkultur ausfüllen und mit ihrer ideologischen Verzerrung eine toxische Wirkung auf das patriotische Milieu ausüben würden. 

Plädieren Sie da für ein Zusammengehen von AfD und IB? 

Fiß: Nein, denn die IB als aktivistische Bewegung und NGO ist etwas völlig anderes als eine Partei. Wofür ich plädiere ist, auf konservativer Seite über diffamierende Kritik an der IB nachzudenken. Denn ganz bestimmt wäre es zum Beispiel Linken und Multikultis lieber, wenn die IB verschwinden und extremistische Rechte ihren Platz einnehmen würden. Denn niemand diskreditiert die Glaubwürdigkeit der demokratischen Neuen Rechten in den Augen der Öffentlichkeit mehr und spielt dem linken politischen Gegner so passend in die Karten wie ein rechtsextremistisch dominierter vorpolitischer Raum – weil er die pauschale Propaganda gegen das neurechte Lager öffentlich voll zu bestätigen scheint.     

Wenn das so ist, warum beteiligt sich dann die FPÖ an der Stigmatisierung der IBÖ?

Fiß: Das ist eine gute Frage, die Sie aber Strache und Norbert Hofer stellen sollten. Leider haben die sich von der Hysterie gegen die IB anstecken lassen. 

Ist Hysterie nicht ein zu starkes Wort? 

Fiß: Nehmen Sie nur die absurde Diskussion über ein Verbot der IB Österreich und ihre angebliche geistige Mitschuld am Massaker von Christchurch  wegen einer ein Jahr zuvor getätigten Spende das späteren Attentäters an die IBÖ. Oder die jüngste mediale „Enthüllung“ der rechtsextremen Vergangenheit Martin Sellners – die er nie verschwiegen, ja sogar immer wieder selbstkritisch thematisiert und von der er sich umfassend distanziert hat. Natürlich kann ich den Gedankengang Straches und Hofers verstehen. Aber ich glaube, daß sie sich dennoch nicht mit solcher Hysterie gemein machen sollten, da diese typisch ist für jede Zeitenwende. Denn wenn sich in einer Gesellschaft langsam eine neue Normalität etabliert, reagieren die Vertreter der alten, schwindenden Normalität auf diese schleichende Entwicklung erfahrungsgemäß immer hysterisch. Natürlich denken diese dabei, daß es unsere Zeit sei, die abläuft. Ich bin jedoch vollkommen davon überzeugt, daß es die ihre ist. 



Daniel Fiß, der Grafikdesigner und studierte Politikwissenschafter ist seit 2016 Vorsitzender der Identitären Bewegung in Deutschland. Geboren wurde er 1992 in Rostock.  

 

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