© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Totalüberwachung leicht gemacht
Zahlungsdienstleister: Klassische Zahlmethoden auf dem Rückzug / Die neuen Stars der Finanzgeschäfte?
Carsten Müller

Der Konzernumsatz um 35,4 Prozent auf zwei Milliarden Euro geklettert, ein Ergebnis nach Steuern von 347,4 Millionen Euro erzielt und das Ganze mit nur 5.154 Mitarbeitern, den japanischen IT-Konzern Softbank als Investor gewonnen: Wirecard-Finanzvorstand Alexander von Knoop verkündete bei der Bilanzpressekonferenz den Aktionären gute Zahlen. „In den letzten zehn Jahren hat Wirecard sein Geschäft in den relevanten Märkten weltweit erfolgreich ausgebaut“, erklärte Vorstandschef Markus Braun. Und Wirecard habe „den Shareholder Value im Laufe der Jahre deutlich gesteigert“.

Dabei hatte in Aschheim bei München in den vergangenen Monaten Ausnahmezustand geherrscht. Denn der dort beheimatete Zahlungsdienstleister stand unter Dauerbeschuß von Medien und Leerverkäufern. Der Vorwurf: In der Singapurer Dependance würde bilanziell nicht alles mit rechten Dingen zugehen. Zwar versuchte das Unternehmen, dies mit einer externen Untersuchung durch eine dortige Rechtsanwaltskanzlei zu widerlegen. Doch so richtig überzeugt zeigt sich die Börse bislang immer noch nicht. Was für Wirecard sehr problematisch ist.

Asiatischer Wachstumsmarkt

Denn einerseits hatte Wirecard durch die Affäre, die durch die Londoner Financial Times befeuert wurde, zeitweise die Hälfte des Börsenwerts verloren. Andererseits befürchten nicht wenige Marktbeobachter, daß dies auch Folgen für das operative Geschäft haben könnte. Auch wenn Wirecard bislang mit immer neuen Meldungen zu Aufträgen gegenhält, so dürfte das Unternehmen wissen, daß die Zeit gegen Wirecard läuft. Denn die noch relativ junge Branche der Zahlungsdienstleister ist in Bewegung, und wer Schwächen zeigt, könnte schnell abgehängt oder geschluckt werden.

Elektronische Zahlungslösungen sind ein dynamischer Wachstumsmarkt. Nach einer McKinsey-Studie könnte allein das erreichbare Umsatzvolumen aus solchen Zahlungen von 1,9 Billionen Dollar im Jahr 2017 in den kommenden fünf Jahren auf drei Billionen Dollar anschwellen. Das wäre innerhalb von rund 15 Jahren eine Verdreifachung. Asien spielt dabei eine Vorreiterrolle. Die asiatisch-pazifische Region steht für rund 60 Prozent der Weltbevölkerung und für rund zwei Drittel aller elektronischen Transaktionen. Das wundert nicht, wenn man auf die anderen Wachstumsfaktoren schaut. So gibt es in Asien eine besonders hohe Affinität zu Bezahl-Apps oder kontaktlosem Bezahlen. Auch wenn Asien-Pazifik beim Grad der Elektronifizierung mit 21 Prozent noch weit hinter den Industrie­ländern liegt, steht dahinter eine enorme Wachstumsdynamik, denn dieser Wert bedeutet eine Verdopplung seit 2012.

In diesem Marktumfeld tummeln sich immer mehr Anbieter. Sie sorgen für die Abwicklung von Transaktionen auf E-Commerce-Webseiten oder auch im stationären Handel über Kreditkarten oder kontaktlose Zahlungsvorgängen. Die Zahl der Anbieter geht inzwischen in die Tausende. Selbst für den relativ überschaubaren deutschen Markt zählte die Infoplattform Kreditkarte.net zuletzt für 2017 fast 1.700 Zahlungsverkehrsdienstleister. Was um so bemerkenswerter ist, da vor allem die Deutschen von traditionellen Bargeld-Transaktionen nicht lassen wollen. So bemerkte die Bundesbank in einer regelmäßigen Studienserie, daß 2017 immer noch 74 Prozent aller Zahlungsvorgänge hierzulande bar abgewickelt worden seien. Das traf insbesondere für Transaktionen im Wert von bis zu 50 Euro zu. Dies ist um so bemerkenswerter, da ja schon seit Jahren eine starke Lobby aus Politik, EZB und Wirtschaft versucht, den Deutschen ihre Liebe zum Bargeld auszutreiben.

Denn Bargeld ist nicht kontrollierbar. Die zunehmende Kriminalisierung von Bargeld-Transaktionen spielt natürlich den Anbietern von elektronischen Zahlungsabwicklungen in die Hände. Erstes „Opfer“ ist der am 26. April letztmalig von der Bundesbank und der Oesterreichischen Nationalbank ausgegebene 500-Euro-Schein – die anderen 17 Notenbanken des Eurosystems hatten die Ausgabe der violetten Banknote bereits am 26. Januar beendet.

Neue „Goldgruben“ für Investoren?

Der Handelsblatt-Journalist Norbert Häring schildert die Problematik anschaulich in seinem Buch „Schönes neues Geld“ (Campus Verlag 2018). Denn wer online, über Debit- oder Kreditkarte oder mit dem Smartphone bezahlt, hinterläßt eine Datenspur, die jederzeit verfolgbar und auswertbar ist. Wobei, das nur am Rande, die Planspiele schon längst über das Thema Überwachung hinausgehen. Denn wer nur noch mit virtuellem Geld bezahlt, der ist auch leichter wirtschaftlich lenkbar, beispielsweise durch Negativzinsen auf Guthaben (was momentan nur Banken für EZB-Einlagen hinnehmen müssen), um in Krisenzeiten den Konsum anzukurbeln.

Vor diesem Hintergrund gelten Zahlungsdienstleister als die neuen „Goldgruben“ für Investoren, die sich von den margenschwachen klassischen Finanzinstituten zunehmend abgewandt haben. Kein Wunder, daß in den vergangenen Jahren viele solcher Dienstleister speziell von Private-Equity-Investoren übernommen und aufgebaut wurden. Nachdem der Markt inzwischen offensichtlich den Kinderschuhen entgewachsen ist, kommt es nun auch verstärkt zu Exit-Strategien und branchenweiten Konsolidierungen, sprich Übernahmen.

Für Aufsehen sorgte die Ankündigung, daß der amerikanische IT-Spezialist Fidelity National Information Services (FIS) für insgesamt 35 Milliarden Dollar den Konkurrenten Worldpay schluckt. Damit entsteht gleichzeitig ein neuer Branchenprimus. Doch auch bei den Exit-Strategien bisheriger Großinvestoren geht es munter zu. Nach dem Mega-Börsengang des niederländischen Anbieters Adyen im vergangenen Jahr konnte der in Dubai beheimatete Zahlungsabwickler Network International vor kurzem einen erfolgreichen Börsengang in London absolvieren.

Hierbei beteiligte sich die US-Kreditkartenfirma Mastercard neu als Ankeraktionär mit knapp zehn Prozent. Und auch der italienische Anbieter Nexi strebt an die Börse. Interessant dürfte es werden, wie sich in diesem Umfeld die aufstrebenden Zahlungsdienstleiter großer Technologiegiganten positionieren werden. So konkurrieren bereits Alipay (Tochter des chinesischen Alibaba-Konzerns), WeChat (Tencent), Google Pay und seit neuestem Apple Pay nicht nur um Kunden in den jeweiligen konzerneigenen Netzwerken, sondern wollen natürlich auch weitere Kooperationen mit Kreditkartenfirmen und E-Commerce-Plattformen schließen.

Bericht der Bundesbank zur „Bargeldnachfrage in der Schattenwirtschaft“:  www.bundesbank.de/

Jahresfinanzbericht 2018 von Wirecard: ir.wirecard.de





Siegeszug der Bezahldienste

Nach Erhebungen von Statista gaben bei einer weltweiten Umfrage 39 Prozent der Befragten an, online am liebsten mit Bezahldiensten wie Paypal, Alipay oder ähnlichem zu bezahlen. Mit 28 Prozent wurde die Kreditkarte als bevorzugtes Zahlungsmittel genannt, 15 Prozent entfielen auf Debit- bzw. Guthabenkarten. Klassische Zahlmethoden wie etwa Banküberweisungen blieben im unteren einstelligen Prozentbereich. In Deutschland sehen die Verhältnisse noch etwas anders aus. Zwar konnte die ehemalige E-Bay-Tochter Paypal als weltweit größter Bezahldienst neben den beiden Kreditkartenfirmen Visa und Mastercard einen Anteil von 49 Prozent (2017) bei den Zahlungsweisen im Internet verbuchen. Doch dicht gefolgt kam der Kauf auf Rechnung, der es auf einen Anteil von 43 Prozent brachte. Lastschriften, Kreditkarte und Vorkasse kamen mit jeweils 18 bis 20 Prozent der Nennungen nur auf abgeschlagene Plätze. Das gilt allerdings nur für den Onlinebereich. Im gesamten Einzelhandel bezahlten rund die Hälfte aller Kunden weiterhin in bar, ein weiteres Viertel nutzte die EC-Karte.