© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Spekulanten wittern Morgenluft
Kryptowährungen: Bitcoin ist zurück / Zwischenhoch vor Totalabsturz oder bald mehr wert als je zuvor?
Marc Schmidt

Seit seinem Tiefstand Mitte Dezember 2018 stieg der aktuelle Wechselkurs des Bitcoin um deutlich mehr als 2.000 Dollar auf inzwischen über 5.200 Dollar in den letzten Apriltagen. Dieser Kursanstieg zeigt Stärken und Schwächen der bedeutendsten Kryptowährung auf (JF 8/19). Der auf der Blockchaintechnologie basierende Algorithmus, der Bitcoin errechnet und ins System bringt, ist unschuldig an seiner größten Schwäche: dem allgemeinen Unverständnis gegenüber dem Produkt und seiner praktischen Verwendung. Bitcoins sind ein Spekulationsobjekt und eine Möglichkeit, Geld abseits des Bankensystems in andere Länder zu transportieren.

Dies sind die eigentlichen Stärken des Systems. Wer Bitcoin hingegen als Zahlungsmittel oder Währung begreift, ist auch bereit, seine Pizza zum Abendessen mit Gold zu bezahlen. Selbstverständlich kann man für Bitcoin Güter erwerben, aber der Preis des Verkäufers, außer für illegale Waren im Darknet, basiert auf einem Wechselkurs zu einer Realwährung. Dieser Wechselkurs ändert sich in einem ähnlichen Tempo wie Aktienkurse.

Starke Kursschwankungen ausdrücklich erwünscht

Für die Schwankungen dieses Wechselkurses gibt es, im Gegensatz zu anderen Spekulationsobjekten, keine Kontrollinstanzen. In den vergangenen fünf Jahren schwankte der Wechselkurs des Goldes zum Dollar um mehr als 30 Prozent, wobei dieser Markt von Institutionen wie Zentralbanken beeinflußt werden kann. Im Dezember 2017 war der Bitcoin kontinuierlich auf über 15.850 Dollar gestiegen. Zwischen Dezember 2017 und 2018, also binnen eines Jahres, hat der Bitcoin 12.500 Dollar an Kurswert verloren, was mehr als 80 Prozent Wertverlust bedeutet, ohne daß Eingriffe sinnvoll möglich gewesen wären. Wäre der Bitcoin eine Aktie und die Anleger überzeugt, daß die Firma erfolgreich am Markt weiter besteht, würde diese Aktie nach dem Wertverlust gegenüber 2017 auf Kaufen gesetzt. Mit dem Bitcoin verhält es sich nicht anders: Die vermeintliche Währung wurde zum spekulativen Investitionsobjekt, nur daß es hier im Gegensatz zu früheren Währungssystemen wie Bretton Woods keine Schwankungsbreiten gibt. Die aktuellen Bitcoinkäufer setzen entsprechend auf Spekulationsgewinne. Wie spekulativ der Bitcoinkurs ist, dokumentiert der Hintergrund der aktuellen Kursrallye. Diese basiert im wesentlichen auf den Zukäufen eines einzelnen, in Rußland registrierten Wallets (Kontos) und einigen automatisierten Händlerwallets.

Bei einer Aktie würde analysiert, welcher institutionelle Investor einsteigt, beim Bitcoin ist de facto nur das Käuferland bekannt. Formal ist jede Variante zwischen Spekulant, Bank, Mafia oder nervösem Oligarchen möglich. Für Währungen wäre eine solche Konstellation unvorstellbar, für den Bitcoin ist sie irrelevant. Es ist eine Frage der Perspektive, ob man diesen Aspekt für eine Stärke oder Schwäche des Bitcoinmarktes hält.

Für risikofreudige oder mit anderen außergewöhnlichen Motiven versehene institutionelle Anleger bleibt der Bitcoin auch in Zukunft attraktiv, weshalb er immer stark schwanken, aber nicht verschwinden wird. Starke Kursschwankungen sind an diesem Markt mit seiner Produzenten- und Anlegerstruktur ausdrücklich erwünscht, da nur so in einem System ohne Banken und Zinsen Renditen erwirtschaftet werden können. Durch diese dominierende Motivlage hat sich der Bitcoin von seiner ursprünglichen Idee eines alternativen Zahlungsmittels allerdings seit langem verabschiedet. Wer eine Bewertung der Bitcoinkursentwicklungen vornehmen will, sollte sich dies vor Augen führen und den Bitcoin von der realen Wirtschaftssphäre gedanklich entkoppeln. Dieses Spekulationsobjekt interessiert sich nur für die Strompreise am Standort der Rechner und sein Handelsvolumen.