© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Die Wehrkraft hat ausgedient
Bundeswehr: In postheroischen Gesellschaften gilt das Soldatentum immer weniger
Thorsten Hinz

Der Beschluß der Berliner SPD, der Bundeswehr keine Auftritte an Schulen mehr zu gestatten, war schnell wieder vom Tisch. Die Bundesspitze der Partei weiß, daß sie jede (auch nur theoretische) Chance auf das Kanzleramt verspielt, wenn sie mit den Grünen und der Linkspartei öffentlich darin wetteifert, dem Staat den letzten Rest äußerer Wehrhaftigkeit zu nehmen. Am gestörten Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft auf der einen und der Bundeswehr auf der anderen Seite ändert das gar nichts.

Für die Beziehungsstörung gibt es eine Reihe von Gründen. Die westlichen Gesellschaften sind durchweg postheroisch ausgerichtet. Sie meinen Heldentum und Wehrkraft nicht mehr nötig zu haben und wiegen sich in dem Glauben, alle Konflikte ließen sich durch Kommunikation und sozialen Ausgleich beheben. Auf Deutschland trifft das im besonderen Maße zu. Zwei verlorene Weltkriege, die Dauerschleife der NS-Bewältigung, die Nachwirkungen der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“, in der die deutsche Armee als „marschierendes Schlachthaus“ (so die Worte eines ehemaligen SPD-Staatsministers) dämonisiert wurde, haben in der Kollektivpsyche tiefe Furchen gezogen. Politische Naivität, schiere Dummheit und Hypermoral erledigen den Rest.

Die politische Linke ist der Bundeswehr aus Prinzip feindlich gesinnt. Der Spruch „Soldaten sind Mörder“ gehört bei ihr zum guten Ton. Die Liberalen gestehen die Notwendigkeit der Armee zu, halten den Soldatenberuf aber für eine Dienstleistung wie jede andere auch. Die Wehrpflicht gilt ihnen als unzumutbarer Eingriff in die individuelle Freiheit und Selbstbestimmung. 

Mit dem, was das Soldatentum ausmacht, können weder Liberale noch Linke etwas anfangen. Ein paar Stichworte: Befehl, Disziplin, Gehorsam, Ein- und Unterordnung, Fähigkeit zur Selbstüberwindung und Entbehrung, Affinität zu Waffen, Opferbereitschaft bis zur Hingabe des Lebens. Das wird unter Begriffen wie „autoritäre Gesellschafts- und Ordnungsvorstellungen“, „falscher Korpsgeist“, „toxische Männlichkeit“ und auch „Rechtsextremismus“ zusammengefaßt.

Der bundesdeutsche Konservative windet sich. Zwar steht die Armee als wichtigstes Instrument staatlicher Wehrhaftigkeit für ihn außer Frage, spannt er Freiheit und Verantwortung zusammen und hat er die Abschaffung der Wehrpflicht mit geballter Faust in der Tasche mißbilligt. Doch steht er in der Bundesrepublik auf einer Wanderdüne, und die Windrichtung wird nicht von ihm bestimmt. Hilflos hat er zugesehen, wie die eigenen militärischen Traditionen gekappt worden sind. Was blieb ihm auch anderes übrig, nachdem er akzeptiert hatte, daß die Bundesrepublik nicht mehr als Fortsetzer staatlicher Kontinuität, sondern als antifaschistische Neugründung zu betrachten sei. Er behilft sich damit, daß die Bundeswehr fest „eingebunden“ sei in das westliche Bündnis, das auf einer „Wertegemeinschaft“ beruhe.

Heraus kommt eine selten unfähige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (Spitzname: „Flinten-Uschi“), bei deren Auftritten nie klar ist, ob sie Mali von Somalia – wo die Bundeswehr jeweils aktiv – unterscheiden kann. Sie sorgt sich um Flachbildschirme in den Kasernen und um schwangerentaugliche Panzer, die leider nicht fahren können. Den Linken zollt sie Tribut mit dem entschlossenen Kampf gegen Rechts. Ihre liberale Ader offenbart eine Karikatur, die sie winzig und eingeklemmt zwischen drei Generälen zeigt. Ihre Namen: Roland Berger, McKinsey und Boston Consult. „Flinten-Uschi“ verkündet stolz: „Unsere innere Führung!“

Und die äußere? Es gibt sie nicht. Ein Land, das seine Grenzen nicht schließen kann, also das zentrale Attribut staatlicher Selbstbehauptung aufgibt, ist erst recht nicht in der Lage, eigene Interessen zu definieren, die den militärischen Einsatz wert sind. Die Einsätze der Bundeswehr erfolgen auf fremden Zuruf; hinterher werden absurde oder sentimentale Begründungen nachgeschoben. Ein längst vergessener Verteidigungsminister erklärte den Afghanistan-Einsatz damit, daß Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt würde, und eine ehemalige Juso-Vorsitzende, die es ebenfalls zur Ministerin gebracht hatte, ergänzte, dank der Bundeswehr könnten afghanische Mädchen endlich die Schule besuchen. Leider verschwieg sie, wieviel afghanische Abiturientinnen wieviel tote oder verwundete deutsche Soldaten rechtfertigten.

Das relativiert die Aussage, mit der sich am 20. Juli 2008 der damals fast 90jährige Altkanzler Helmut Schmidt bei der Rekrutenvereidigung vor dem Reichstag an die „lieben jungen Soldaten“ wandte, die das „große Glück“ hätten, „einer heute friedfertigen Nation und ihrem heute rechtlich geordneten Staat zu dienen“ und sich darauf verlassen dürften, daß dieser Staat sie „nicht mißbrauchen“ würde. Während er sprach, sperrten 1.800 Polizisten das Gelände weiträumig vor Gegendemonstranten ab.

Tatsächlich gibt es keinen vorsätzlichen Mißbrauch. Doch Inkompetenz, Werte-Sentimentalität und ein ebenso stupider wie naiver Antimilitarismus reichen völlig aus, um Soldaten in eine Lage zu bringen, in der sie sich verheizt fühlen müssen. Jahrelang hat der Wehretat als Steinbruch gedient. Entsprechend schlecht ist die technische Ausrüstung, was die lebensgefährlichen Einsätze noch riskanter macht. Von den Hauptwaffensystemen der Bundeswehr – Flugzeuge, Hubschrauber und Schützenpanzer – sind nur etwa 40 Prozent einsatzbereit, wie aus der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium Peter Tauber (CDU) auf eine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Matthias Höhn im vergangenen Herbst hervorgeht.

Soldaten werden in den Krieg geschickt, ohne daß sie ihn führen dürfen. Im September 2009 entführten Taliban nahe Kundus in Afghanistan zwei Tank-lastwagen. Da es seit längerem Hinweise gab, daß mit Treibstoff gefüllte Fahrzeuge als rollende Bomben gegen das Lager der Bundeswehr eingesetzt werden sollten, forderte Oberst Georg Klein – mit teilweise unwissentlich falschen Angaben – einen Bombenabwurf an, durch den etwa 100 Afghanen ums Leben kamen. 

Das war tragisch, aber kaum vermeidbar. Geschuldet war es der unübersichtlichen Situation vor Ort, die eine rasche und durchgreifende Entscheidung nahelegte. Die Pressekampagne jedoch, die folgte, und das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein waren die glatte Umkehrung der Fürsorgepflicht, die Staat und Gesellschaft gegenüber den eigenen Soldaten haben. Einen jungen, idealistischen Bundeswehroffizier, der stolz von seinem erfolgreich absolvierten Auslandseinsatz sprach, konfrontierte ich mit dem Eindruck, daß manche Politiker und Journalisten in Deutschland es lieber gehabt hätten, wenn in Kundus statt der Afghanen hundert Bundeswehrsoldaten gestorben wären. Er erbleichte und sagte nach einigen Sekunden: „Das kann, darf und will ich nicht kommentieren.“

In solchem gesellschaftspolitischen Kontext ist der klassisch konservative Standpunkt unzeitgemäß, gestrig. Denn er geht von einer Staatlichkeit, einem Staatsbewußtsein und einer Staatsräson aus, die nur noch rudimentär existieren. Nichts scheint unmöglich, auch nicht die Zuspitzung der realen Absurdität zum finalen Albtraum, in dem geo- und militärpolitische Hochkaräter wie Ursula von der Leyen, Katrin Göring-Eckardt, lippengepiercte Linken-Politikerinnen und Juso-Chef Kevin Kühnert in trauter Runde über den militärischen Ernstfall entscheiden.

Wie kann man bei solchen Aussichten jungen Menschen empfehlen, sich die Uniform überzustreifen und ihren Kopf hinzuhalten. Für was? Für wen? Am Ende für einen antifaschistischen Mob, der auf Gefallenengräbern tanzt? Es wäre schade um sie, auch unter demographischen Gesichtspunkten.

Die Substanz wird knapp. Und ein Staat, der seine Grenzen nicht schützen kann und will, kündigt auch die Loyalität gegenüber seinen Soldaten auf, denn er setzt seine Familie zu Hause jenen Gefahren aus, die er am Hindukusch angeblich bekämpft.





Tag der Bundeswehr am 15. Juni

Unter dem Leitmotiv „Willkommen Neugier“ findet der diesjährige Tag der Bundeswehr am 15. Juni an deutschlandweit insgesamt 14 Standorten statt, vom Fliegerhorst Schleswig in Jagel bis zur Staufer-Kaserne im oberschwäbischen Pfullendorf. Im hessischen Bad Hersfeld können unter anderem der Transportpanzer „Fuchs“ und das Tornado-Kampfflugzeug, im niedersächsischen Marinefliegerstützpunkt Nordholz die Seefernaufklärer P-3C „Orion“ sowie weitere Flugzeuge besichtigt werden. Koblenz präsentiert neben anderem Großgerät die Panzerhaubitze 2000 sowie den Schützenpanzer „Puma“. 

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