© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Revolutionärer Humanismus
Karl Marx und die Bildung
Dirk Glaser

Daß Karl Marx sich als geistigen Erben des Neuhumanismus der Weimarer Klassiker verstand, ist keine neue Erkenntnis. Trotzdem glauben Dominik Novkovic und Alexander Akel, daran nachdrücklich erinnern zu müssen, weil der „Befreiungstheoretiker und Humanist“ Marx, der sich am deutlichsten vor 1848 artikuliere, seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums vorwiegend als widerlegter Begründer einer totalitären Herrschaftsideologie unterschätzt werde (Das Argument, 329/2018).

Daher plädieren sie für eine Wiederaufnahme der Diskussion um die bildungstheoretischen Dimensionen bei Marx, die den philosophisch-humanistischen Gehalt seiner Gesellschaftstheorie zu aktualisieren hätte. Der „Radikaldemokrat“ habe darin den klassisch-aufklärerischen Bildungs-

idealen der Goethe-Zeit, die rasch auf ihren bürgerlichen Klassencharakter reduziert worden seien, ihre menschheitliche Perspektive zurückgewonnen. Indem er das bürgerlich-demokratische Versprechen ernst nahm und auf universelle, das Proletariat einschließende Einlösung unabgegoltener Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit pochte. Damit eröffnete die Theorie des jungen Marx eine allgemein menschliche Emanzipationsperspektive, die die Klassengrenzen des bürgerlichen Emanzipationsmodells sprengte und nach „praktischer Verwirklichung der Gattungsuniversalität durch umfassende Humanisierung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse“ verlangte. Was ihn selbstredend die Beseitigung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fordern ließ, lange bevor der „reife Marx“ zur Kritik ihrer politischen Ökonomie ansetzte.

So wie Novkovic und Akel Marx von links lesen, vermittelt er weniger die klassenkämpferische Lehre von der revolutionären Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse durch Gewalt als die der sanften evolutionären Veränderung durch Bildung. Durch „umfassende Bewußtseinsbildung“, Lernprozesse, die zur Kritik an der bestehenden Praxis, der „Menschenfeindlichkeit“ des Kapitalismus erziehen, solle sich der „Traum vom herrschaftsfreien Gattungsverbund“ erfüllen.  

„Als Poesie gut“ (Friedrich Wilhelm III.). Aber kein Wort verlieren die beiden Träumer darüber, wer denn derzeit „vernünftige Lebensformen“ bildend vermitteln soll. Deutsche Bildungspolitiker, Pädagogen oder linke Theoretiker jedenfalls nicht, die mit der Produktion der „interkulturellen“ Begleitideologie des maximal unvernünftigen Globalismus hinreichend beschäftigt sind.