© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Von Adolf von Thadden bis Gerhard Schröder
Braunschweigs Ex-Oberbürgermeister Gert Hoffmann stellt seinen bemerkenswerten politischen Weg vor
Jörg Kürschner

Im Jahr 2019 politische Utopie, 1967 politische Wirklichkeit. In der Hamburger Universität diskutierte eine illustre Runde über das Thema „Radikalismus in der Demokratie“. Auf dem Podium saßen das einstige SPD-Mitglied Ralf Dahrendorf, der wenig später in der FDP eine rasante Karriere hinlegen sollte, der Verleger und frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Gerd Bucerius und – Adolf von Thadden, der Bundesvorsitzende der NPD. 

Thaddens enger Mitarbeiter war bald Gert Hoffmann, nationalkonservativer Jurastudent in Göttingen. Gegen den Willen seiner Eltern war er der NPD beigetreten, gehörte 1968 als einziger Vertreter des Nationaldemokratischen Hochschulbunds (NHB) dem Studentenrat an. Zusammen mit einer Vertreterin des SDS formulierte er die Protokolle der „relativ fairen“ Sitzungen. „Kaum glaubhaft aber wahr“, erinnert sich der 73jährige in seiner lesenswerten Autobiographie. Zusammen mit der Parteispitze stürzte er sich 1969 in den Bundestagswahlkampf, doch die NPD scheiterte mit 4,3 Prozent an der Fünfprozenthürde. Thaddens Zeit als Parteichef neigte sich dem Ende zu, Hoffmann trat ebenso wie später sein von ihm verehrter Vorsitzender wegen der sich abzeichnenden Radikalisierung aus der NPD aus.

Ein Jahr später wird Hoffmann Mitglied der CDU, der er eine bemerkenswerte Karriere als Kommunalpolitiker zu verdanken hat. Gemeindedirektor der Samtgemeinde Hemmoor, Stadtdirektor in Gifhorn, nach dem Zusammenbruch der DDR Regierungspräsident von Dessau. 2001 krönte er seine Laufbahn und knackte als CDU-Oberbürgermeister-Kandidat den roten Erbhof Braunschweig, obwohl in Berlin geboren, also nicht mit „Okerwasser getauft“. 2014 durfte der 68jährige aus Altersgründen nicht erneut antreten; in das Rathaus der zweitgrößten Stadt Niedersachsens zog prompt wieder ein Sozialdemokrat ein. Hoffmanns Verdienste werden weithin gelobt. Nur die Grünen haderten mit der konservativen Führungspersönlichkeit. 

Verhältnis zu SPDlern oft besser als zur eigenen Partei

Er setzte den Wiederaufbau des 1960 trotz heftiger Proteste abgerissenen Residenzschlosses durch, das innen mit einem Einkaufszentrum überrascht. 2007 bewarb sich Braunschweig erfolgreich als „Stadt der Wissenschaft“. Kontroversen ging „Herr Zack, Zack“ nicht aus dem Weg, etwa bei der Sanierung städtischer Unternehmen. In Dessau hat er entscheidend zu der Ansiedlung des Umweltbundesamts in die anhaltinische Stadt beigetragen, die renommierte Gesellschaft der Freunde des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs geht auf Hoffmann zurück. Wer wissen will, wie Politik funktioniert, der Verfasser gibt Einblick in das mitunter verschlungene Geflecht aus Politik, Interessenverbänden und Medien.

Hoffmann hat eine Vielzahl von Landes- und Bundespolitikern aus nächster Nähe kennengelernt. Dabei scheint das Verhältnis zu Sozialdemokraten entspannter gewesen zu sein als zu seinen Parteifreunden. Mit Amtsvorgänger Gerhard Glogowski wußte er sich einig in Sachen Schloßaufbau, zu Gerhard Schröder, dem früheren Ministerpräsidenten Niedersachsens und späteren Bundeskanzler, entwickelte sich ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis. Vergessen war die Drohung des einstigen Göttinger Jusochefs „Solch einen CDU-Kandidaten werde ich schwer an- und abschießen“. Nahezu herzlich fallen Hoffmanns Schilderungen über seine Begegnungen mit Sigmar Gabriel aus, der gern die Interessen seiner Heimatstadt Goslar in den Vordergrund rückte. Der spätere Ministerpräsident hatte öffentlich vor einer Vorverurteilung des Oberbürgermeister-Kandidaten gewarnt. „Man kann Politiker nicht daran messen, ob einer als Student wirr im Kopf war“. Der derzeitige Amtsinhaber Stephan Weil (SPD) ließ Hoffmann die seltene Ehre der Auszeichnung mit der Niedersächsischen Landesmedaille zuteil werden.

Von Gabriels Amtsnachfolger Christian Wulff („risikoscheu, ängstlich“) hält Hoffmann dagegen wenig. Auf „tolle Bilder“ sei der später gescheiterte Bundespräsident fixiert gewesen, detaillierte Gespräche Fehlanzeige. Die Zusammenarbeit stand auf der Kippe. Fasziniert war Hoffmann dagegen von Ernst Albrecht, Ministerpräsident bis 1990. Helmut Kohl, den er in seiner Dessauer Zeit häufig im Rahmen des Aufbaus Ost begrüßt hat, bewertet er als „genialen Staatsmann“ und „Kraftmenschen“. Mit Hilfe seines Tagebuchs gelingt dem Autor die atmosphärische Wiedergabe längst vergangener Begegnungen. Dabei werden seltene Einblicke gewährt. Indiskretionen sind Hoffmanns Sache aber nicht, der in der CDU auf dem immer mehr ins Abseits geratenen konservativen Flügel zu Hause ist. So bleiben die inhaltlichen Berührungspunkte mit Angela Merkel überschaubar; „gut vorbereitet und hochkonzentriert“ gehe sie in Sitzungen. Immerhin.

Und die „NPD-Karte“, die die Grünen oft gezogen haben, um Hoffmann zu diskreditieren? „Einmal Rassist, immer Rassist“, mußte er sich etwa von Jürgen Trittin vorhalten lassen, Göttinger Student und späterer Bundes- und Landesminister. Hoffmann konnte die Vorbehalte meist zerstreuen, spricht heute von seiner „rechtsradikalen Vergangenheit“. Diese holte ihn zwischenzeitlich 1997 ein, als er es in die engste Auswahl um den Chefposten bei der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft geschafft hatte. Der Medienorkan war zu gewaltig, Bundesfinanzminister Theo Waigel entschied sich für einen Sozialdemokraten. Für Thilo Sarrazin. 

Gert Hoffmann: Von Irrwegen in die Verantwortung. Zeitzeuge und Gestalter in bewegten Zeiten. Klartext Verlag, Essen 2018, gebunden, 488 Seiten, 29,95 Euro