© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Er paßt in kein Klischee
Der Schriftsteller Rolf Stolz hat in drei Büchern eine bemerkenswerte Werkschau seiner Prosa und Lyrik vorgelegt
Werner Olles

Geschichten, zu denen nichts zu sagen ist“ lautet der Untertitel zu Rolf Stolz’ erstem Band seiner Gesammelten Werke „Wolfssekunden – Kurze Prosa 1995–2010“. Nach Hans Robert Jauß ist Literaturgeschichte „ein Prozeß ästhetischer Rezeption und Produktion, der sich in der Aktualisierung literarischer Texte durch den aufnehmenden Leser, den reflektierenden Kritiker und selbst wieder produzierenden Schriftsteller vollzieht“. Ausgehend von diesen rezeptionsästhetischen Überlegungen kann man wohl den Schluß ziehen, daß auch das Schreiben gegen die Zeit oder im Schatten großer Autoren die Wirkung des betreffenden Schriftstellers nicht in jedem Fall unbedingt schmälern muß.

Die Mechanismen des kommerziellen Buchmarktes mit seinen „Selektionsprozessen“ kennt jeder Autor, der nicht zu den „Etablierten“ oder Großschriftstellern zählt. Für den Autor der „Wolfssekunden“ geht es jedoch nicht um die allen Sätteln gerechte Popularschriftstellerei, seine Textsammlungen sind vielmehr bibliophile Liebhaberausgaben, deren Evidenz und Relevanz auf einen Kreis von Kennern und Experten beschränkt bleibt, der für vitalistische Experimentalprosa offen ist.

Gleiches gilt selbstverständlich auch für die sehr schönen Gedichte, die hier in den Bänden zwei („Flächen und Bilder“) und vier (Unwägbarkeiten“) der Gesammelten Werke vorliegen. Tatsächlich ist Stolz alles andere als ein publikumsscheuer Eigenbrötler, sein ungemein fleißiges Produzieren läßt sich nicht formal festlegen, paßt in kein Klischee, entzieht sich bewußt Klassifizierungen und ist gelegentlich sogar gegen den wohlfeilen Publikumsgeschmack geschrieben, heterogen in der Qualität und läßt zu allem Überfluß größtmögliche Distanz zu allen Partei- und Literaturdoktrinen erkennen. Von den musterhaften Prosatexten bis zu den Gedichten finden sich Wendungen, bestechend in ihrem erzählerischen Reichtum, ihrer Vielfältigkeit und ihren Überraschungsmomenten, die weit mehr zu bieten haben als Familienintrigen, Eifersucht und falschen Stolz, wie sie der bürgerliche Bildungsroman bis zum Erbrechen hervorbringt.

Einer Literaturgeschichte und Literaturkritik, die einen Autor wie Rolf Stolz mit ein paar dürftigen Zeilen hochmütig abtut, fehlt es eindeutig an der richtigen Wertsetzung, denn jede literarische Aussage ist immer auch ein Ausdruck ihrer Zeit, ist Spiegelbild der wesentlichen geistigen Strömungen einer Epoche, ist Niederschlag der Auffassungen und Empfindungen einer Generation. So zeigen die Gedichte Stolz’ Naturnähe und Einfügung in die kreatürliche Ordnung, Lebensenthusiasmus, Schuld und Verantwortlichkeit des Menschen, während in seiner Prosa Fabulierlust, Bewegungsfreude und Kompositionsweise nach innen und außen seinem pessimistisch gefärbten Humor entgegenkommen. Der Autor zeigt sich in der Lyrik als Meister stimmungshafter Wortmalerei und gewährt Einblick in des Autors Ringen um eine neue nicht parteipolitische, sondern geschichtlich-menschliche Form des schriftstellerischen „Engagements“. Das Gefühl des Unbeheimateten gibt ihm das Bild des Abgeschiedenen ein, der fern von den Menschen wandert, zurück in die Bezirke einer schuldfreien Kindheit mit teils mythischen, teils sozialen Motiven, schwankend zwischen Naturalismus und Symbolismus. Doch ist dies kein Kunststil, sondern der fast dokumentarische Ausdruck seines Welterlebens, das von Lebensglaube und pantheistischer Weltbejahung verkündet.

Rolf Stolz: Wolfssekunden.Kurze Prosa 1995–2010. Werke Band 1. Edition Bärenklau, Bärenklau in Brandenburg 2018, gebunden, 375 Seiten, 24,90 Euro

Rolf Stolz: Flächen, Bilder. Gedichte 1998–2013. Werke Band 2. Edition Bärenklau, Bärenklau in Brandenburg 2018, gebunden, 407 Seiten, 24,90 Euro

Rolf Stolz: Unwagbarkeiten. Gedichte 1975–2016. Werke Band 4. Edition Bärenklau, Bärenklau in Brandenburg 2018, gebunden, 379 Seiten, 24,90 Euro