© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Grüße aus Chile
Im Auge eine Pickelhaube
Jörg Sobolewski

Deutsches Essen, deutsches Bier und deutsche Lieder gehören bei weiten Teilen der chilenischen Mittelschicht zur gelebten Folklore. Kein Wunder also, wenn Lederhose und Dirndl angezogen, „gutes Bier“ aus der Kunstmann-Brauerei getrunken oder gar Pickelhauben aufgesetzt werden. Auch die Hauptstadt Santiago ist stolz auf ihre Deutschen. Der „Fuente Alemana“ („Deutscher Brunnen“) erinnert an die einzigartige Erfolgsgeschichte und aller Orten finden sich Restaurants  mit Schwarz-Rot-Gold – zum Entsetzen barfüßiger ebenfalls deutscher Hippies.

Schlimmer noch: Vor einigen Tagen wurde ich Zeuge eines gar entsetzlichen Schauspiels: Ein rucksackreisender Landsmann und seine Freundin – Typus: gutbürgerlich-grünes Elternhaus – fanden sich urplötzlich vor dem Restaurant „Lili Marleen“ wieder. Die Gaststube – in Chile gut bekannt – wirbt mit dem Slogan: „Ambiente historico militar“. Sie läßt üblicherweise bei geöffneter Tür eine Mischung aus Heino und Marschmusik auf die Straße schallen. Und verfügt über eine große Fahne in den Farben – Schreck laß nach! – Schwarz-Weiß-Rot.

„Ein klassisches Hausmädchen tritt heraus und ruft: Hier wird nicht herumgelungert.“

Vor just diesem Haus stehen nun die beiden jungen Bundesbürger und empören sich. Wie das denn sein könne! Ausgerechnet hier? Und das sei doch ein Anlaufpunkt für Nazis und überhaupt ...“ Verzweifelt versucht der männlichere Teil des Pärchens die chilenischen Passanten aufzuklären.

In gebrochenem Spanisch versucht er anzuprangern, während seine Freundin panisch Fotos für die Daheimgebliebenen schießt. Allein, es scheint sich niemand für das Anliegen der Schockierten zu interessieren. Schließlich öffnet sich in der Nachbarschaft eine Tür und heraus tritt eine klassische „Nana“ –, ein Hausmädchen. Wütend versucht sie die beiden Störenfriede mit den Worten „Hier wird nicht herumgelungert“ zu verscheuchen. Mit Widerstand – zumal aus der Arbeiterklasse – hatten sie nun wirklich nicht gerechnet.

Der Aufruhr ruft den privaten Sicherheitsdienst aus der Nachbarschaft herbei, der schließlich andere Seiten aufzieht und den beiden kurz und bündig erst Pfefferspray und dann gar Polizei androht. Vor dieser Kulisse erlischt der wohlfeile antifaschistische Widerstand, und die braven Deutschen schleichen betroffen von dannen. Aus reiner Neugier folge ich und erlausche eine Straßenecke weiter, wie sie ihres Ärgers Luft macht: „Zu Hause wäre das nicht passiert.“ – „Nein, da sind wir ja auch schon weiter!“