© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Ein Kaiser ohne Meinung
Tennowechsel in Japan: Dem Motto „Frieden schaffen“ folgt nun die „schöne Harmonie“
Albrecht Rothacher

Am 1. Mai war es soweit. Der schwer leidende Tenno Akihito (89) trat zurück, nachdem er zuvor seiner Vorfahrin, der Sonnengöttin Amaterasu, im Schrein von Isu davon berichtet hatte. Außerdem war er von einem Sondergesetz autorisiert worden, die Insignien seiner Ohnmacht seinem Sohn Akihito (51) übergeben zu lassen: ein Schwert, die Kronjuwelen und das Staatssiegel. 31 Jahre der Ära Heisei („Frieden schaffen“) waren vorbei. 

Es begann Jahr Eins der neuen Zeitrechnung Reiwa („schöne Harmonie“). Normalerweise wird von japanischen Kaisern erwartet, daß sie wie die Päpste im Amt sterben, es sei denn sie wurden wie Akihitos Urgroßvater Taisho 1921 wegen geistiger Umnachtung entmündigt und abgesetzt. 

Dem „Glück des Volkes dienen“

Abgesehen von der Kalenderumstellung änderte sich für die meisten Japaner nichts. Die einen betranken sich mit Sake und Bier im Kollegenkreis beim Betrachten der Kirschblüten in Parks, andere drängten sich in überfüllten Zügen, um die zehn freien Tage der „Goldenen Woche“ für einen für japanische Verhältnisse langen Urlaub zu nutzen.

Japans Monarchie ist mit 2.600 Jahren mythischer Dauer – laut Historikern ist es nur die Hälfte – so oder so die älteste der Welt. Es ist keine Fahrrad-Monarchie wie in Skandinavien oder den Niederlanden, noch beliefert sie den Boulevard mit Skandalgeschichten wie das englische Königshaus. Trotz seiner Distanz ist das Kaiserhaus populär. Überzeugte Republikaner gibt es – außer bei doktrinären Linken – so gut wie keine mehr. Eher bemitleidet man die Kaiserfamilie, die dort vom rigiden Zeremoniell der 1.200 Beamten des kaiserlichen Hofamtes im Goldenen Käfig ihres Palastes eingesperrt ist. 

Sie regeln den Tagesablauf der rund zwanzig Mitglieder der kaiserlichen Familie in buchstäblich erschöpfendem Detail. Selbst ihre Lektüre und Besucher werden ihnen vorgeschrieben. So ist es der neuen Kaiserin Masako, einer studierten Diplomatin, die unter Depressionen leidet, etwa nicht gestattet, spontan über die Niyubashi-Brücke zu spazieren, um sich mit Freundinnen in der nahen Ginza bei Kaffee und Kuchen zu treffen. 

Der Kaiser gilt als Symbol der Einheit des Staates. Er hat deshalb keine politischen Meinungen zu äußern. So bestand die kurze Antrittsrede des neuen Tenno nur aus Gemeinplätzen: Er wolle dem Glück des Volkes dienen und sich für eine wohlhabende Nation und den Weltfrieden einsetzen. Von seinen Bürokraten verfaßt, von der Regierung abgesegnet und brav vom Blatt abgelesen.

Formell nimmt der Kaiser die Ernennung des Premiers und des Vorsitzenden des Obersten Gerichts vor. Er eröffnet und beschließt die Sitzungsperioden des Parlaments, unterzeichnet Gesetze und Erlasse, ruft die Wahlen aus, ernennt und entläßt die Minister, unterzeichnet Staatsverträge, verkündet Amnestien, verteilt die höchsten Staatsorden und empfängt ausländische Botschafter bei ihrer Akkreditierung. 

Jene Aufgaben eines Staatsnotars, die stets auf Kabinettsbeschlüssen beruhen und zu denen er weder einen Ermessensspielraum noch ein Meinungsäußerungsrecht hat, füllen seine Vormittage aus. Die Nachmittage stehen für die wissenschaftliche Arbeit zur Verfügung. 

So hatte Hirohito (1901–1989) wissenschaftliche Bücher über Seesterne und Meeresspinnen veröffentlicht. Auch sein Sohn Akihito (Jahrgang 1933) ist, nachdem seine historischen Interessen als zu politisch mißbilligt wurden, Meeresbiologe. Der neue Kaiser Naruhito (Jahrgang 1960) befaßt sich mit mittelalterlichen Wasserwegen in Europa und dem Seehandel.

Geblieben sind für den Kaiser religiöse Shinto-Zeremonien, wie die frühjährliche Auspflanzung der Reisschößlinge und der Dank für die Reisernte (weswegen Teile des Palastgartens wie ein Bauernhof aussehen), sowie Schreinbesuche auf Ise und die Zeremonien zur Volljährigkeit des Thronfolgers, der diesmal in Ermangelung eines eigenen Sohns sein Neffe Hisahito geworden ist.

Kaiserbesuche bringen Beteiligte in Nöte 

Hinzu kommen Repräsentationsbesuche bei wichtigen Eröffnungen und öffentliche Symbolhandlungen, wie das Pflanzen von Bäumen am Tag des Baumes. All diese Besuche sind minutiös vorbereitet und lösen bei allen Beteiligten äußerste Nervosität wegen des strengen Protokolls und möglicher unverzeihlicher Pannen aus. 

Schließlich muß man sich auch der ungewohnten kaiserlichen Hochsprache bedienen. Sie sind deshalb vorhersehbar steif und förmlich. Sie beschränken sich auf den Austausch ultrahöflicher Gemeinplätze und bleiben deshalb trotz der Freundlichkeit des Kaiserpaares inhaltlich unergiebig.

Das alte Kaiserpaar hat gerne und oft die Opfer der in Japan häufigen Naturkatastrophen besucht, wie den Evakuierten von Fukushima und den Opfern des Tsunami. Auch fuhren sie gemeinsam zu entlegenen Schlachtfeldern des Pazifikkrieges, um dort für die Seelen der Gefallenen zu beten, mutmaßlich weil Besuche am Yasukuni-Schrein der Regierung nach 1975 nicht mehr opportun erschienen. 

Häufig wird in der zeitgeistigen internationalen Presse versucht, einen Gegensatz zwischen dem angeblich liberalen und pazifistisch gesonnenen Kaiserhaus und der Regierung Shinzo Abes mit ihren geheimen militaristischen Absichten zu konstruieren. Spekulationen, die ohne jede Evidenz sind, und die durch ständiges Wiederholen auch in der deutschen Presse nicht wahrer werden.