© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Pankraz,
die Wissenschaft und das Quissen vor acht

Oft sagen die kaum wahrnehmbaren Quietscher aus dem Mauseloch mehr über die wahre Lage aus als die lautesten Töne offizieller Verlautbarungsglocken. So neulich im Fernsehen bei der ARD, die mit ihren Abendnachrichten um 20 Uhr ja zweifellos über eine der lautesten, wenn manchmal auch mißtönenden dieser Glocken verfügt. 

Dort bei der ARD gab es bisher, eingezwängt zwischenWerbespots, kurz vor Beginn dieser  Abendnachrichten die kleine Wissenschaftssendung „Wissen vor acht“, in der der Zuschauer im Sekundentakt mit neuesten Erkenntnissen aus den verschiedensten Wissenschaftszweigen bekannt gemacht wurde, in humorigem Tonfall zwar, aber durchaus sachhaltig. Vor einigen Tagen nun erschien vor der Sendung plötzlich ein gutgelaunter Herr auf dem Bildschirm und erklärte, daß „Wissen vor acht“ ab sofort – zunächst einmal probeweise für eine gewisse Zeit – durch „Quizzen vor acht“ ersetzt werde.

Der Zuseher bekomme künftig nur noch einen knappen Vorschein der neuen Erkenntnisse offeriert und könne also, ganz wie in den großen Quiz-Sendungen des Fernsehens, wenn auch nur in äußerster Kürze, selbst erraten, worum es sich handle und ob es tatsächlich eine Verbesserung der Zustände bedeute. Der Effekt der Mitteilung in dem Zuseherkreis, dem Pankraz angehörte, war bemerkenswert uninteressiert. Man fragte sich lediglich, ob der Mitteiler nicht „Quissen vor acht“ statt „Quizzen vor acht“ hätte sagen  müssen; schließlich würden Z und S im Deutschen scharf auseinandergehalten.


Im Englischen, aus dem das Wort stammt, ist das aber nicht der Fall, und so hätte man die Sache auf sich beruhen lassen können. Allerdings bedeutete es an seinem Ursprung so etwas wie bei uns die Meckerei, und diese Originalbedeutung ist  auf der Insel auch heute noch intensiv spürbar. Das Rätselraten, welches „Quiz“ inzwischen auch dort vorrangig bezeichnet, bleibt strikt auf die Sphäre der Unterhaltung, der Quiz-„Show“, beschränkt. Nie würde es einem Briten einfallen, einen ernsthaften Wissenschaftler, der verbissen um die Lösung eines Rätsels ringt, als Quizmaster zu titulieren.

Hierzulande ist das – leider, möchte Pankraz gleich hinzufügen – nicht mehr der Fall,  wie das „Quizzen vor acht“ bei der ARD nur allzu deutlich beweist. Zwar werden die großen Quiz-Sendungen durchweg als Show aufgezogen, alles strotzt geradezu vor Lachanfällen, und es wird von allen Seiten auch viel gemeckert. Doch der Respekt vor ernsthafter Wissenschaft und ihren Besonderheiten geht dabei sichtbar peu à peu über den Jordan. Tiefste Rätselfragen werden ungeniert mit lächerlichen Zufallsfragen durchmischt, und am Ende geht es gar nicht mehr um Wissenschaft, sondern nur noch ums Geld, ums „große Geld“.

Außer der Sekundensendung „Wissen vor acht“, plaziert zwischen den ausschließlich am Geld orientierten Werbespots im Vorabendprogramm, gab und gibt es in der ARD bisher kaum dem Gegenstand angemessene Wissenschaftssendungen, sieht man von den Arbeiten des indischstämmigen Luxemburgers Ranga Yogeshwar ab, bei dem allerdings nie die Wissenschaft als eigener Lebensbereich  mit speziellen Schicksalen und Abenteuerstrecken aufschien. Yogeshwar war immer mehr engagierter Politologe als „einfacher“ Wissenschaftler, und sein Publikum war’s zufrieden und genoß seine Sendungen.

Wissenschaftler sind in Deutschland zum bloßen Bestandteil der Politik respektive der Finanzwelt zusammengeschrumpft. Die Finanzwelt benutzt sie, um ihre Erträge durch neuartige Strategien und Tricks  zu steigern, die Politik, um ihre Zielsetzungen mehrheitlich abzusichern und sie mit der Gloriole echt demokratischer Willensbildung auszustatten. Wissenschaftler werden immer häufiger zu bloßen Abzählmaschinen; es sind jene Leute, die für viel Geld sogenannte „Studien“ erstellen, welche die politischen Absichten der jeweiligen Geldgeber mit dem Mantel der „wissenschaftlichen Objektivität“ umkleiden sollen.


Verbunden damit ist eine immer weiter zunehmende Spezifizierung. Wer bei den diversen Studien für sich in Anspruch nimmt, genau nachweisen zu können, wie viele Prozent für dies und wie viele für das sind, der muß schon ein erstklassiger „Fachmann“ sein; bloßer „Wissenschaftler“ genügt da nicht. So bewahrheitet sich mittlerweile, was Friedrich Nietzsche schon  vor hundertfünfzig Jahren als allgemein akzeptiertes Bild  des kommenden „modernen“ Wissenschaftlers vorausgesagt hat: „Er weiß, zum Beispiel, alles über die Wasserflöhe, aber sonst weiß er nichts.“

Big-Data-Kenner auf einem vergleichsweise winzigen Spezialgebiet plus Abzählmaschine für die aktuelle Politik beziehungsweise Finanzwelt – das ist gewiß kein stolzes Berufsbild, das da den Wissenschaftlern zugewachsen ist. Fast muß man sich darüber wundern, wie scharf viele prominente Politiker auf den Erwerb von Doktortiteln sind, so daß sie deshalb sogar bereits vorhandene wissenschaftliche Arbeiten ungeniert plagiieren, sie regelrecht ausplündern. Sie erweisen damit aber immerhin Respekt gegenüber einer jetzt offenbar untergehenden Epoche, in der die Wissenschaft noch einen eigenen hohen  Rang in der Gesellschaft und bei den Herrschenden einnahm.

Die Leute vom „Quizzen vor acht“ haben diesen Respekt leider verloren. Sie fühlen sich nicht einmal mehr in der Lage, eine wissenschaftliche Sekundensendung aus der Vorabendschau unbeschädigt durchgehen zu lassen. Die Armen! Sie hätten vorige Woche anläßlich der  Leonardo-da-Vinci-Feiern in dessen Tagebüchern nachlesen sollen, was der große Gelehrte und Lebenskünstler über die Wissenschaft dachte: „Sie verjüngt die Seele und dämpft die Unpäßlichkeiten des Alters.“

Und (wer anders?) Johann Wolfgang von Goethe hielt in seinen höchst lesenswerten  „Sprüchen über die Naturwissenschaft“ fest: „Wissenschaften im ganzen entfernen sich oft vom täglichen Leben, aber sie kehren, mag sein über Umwege, zu unser aller Glück immer wieder dahin zurück.“