© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Auch die Mücke will ihre Beute
Nach dem Zweiten Weltkrieg stieß Luxemburg mit seinen Gebietsansprüchen gegenüber Deutschland bei den Alliierten auf taube Ohren
Erich Körner-Lakatos

Am 10. Mai 1940 besetzten deutsche Truppen das Großherzogtum Luxemburg. Der Widerstand gegen die Wehrmacht war gering, die sogenannte Schusterlinie (Betonblöcke mit Stahltüren) erwies sich als wirkungslos. Als die deutschen Landser die Grenze überschritten, seien sie, so die Mär, von einem Gendarmen unter Androhung der Verhaftung aufgefordert worden, das Gebiet des neutralen Staates zu verlassen. Stattdessen wurde der pflichtbewußte Wachmann gefangengenommen und ein paar Stunden später nach Hause geschickt.

Wegen der deutschen Okkupation während des Krieges stellte der Kleinstaat schon bald nach seiner Befreiung durch die US-Amerikaner im September 1944 Gebietsforderungen. Man begehrte Landstriche östlich der 135 Kilometer langen Grenze, die entlang der Flüsse Our, Sauer und Mosel verläuft. 

Die Revision des Wiener Kongresses 1815 im Blick

Noch vor Kriegsende erlaubten die de Gaulle-Franzosen den wackeren Lützelburgern, welche am 30. November 1944 mit der Aufstellung einer Armee en miniature begannen, die Errichtung von zwei Garnisonen im Westteil des deutschen Regierungsbezirkes Trier, gleichsam als Sub-Besatzungszone. Niemand nahm die Angelegenheit so richtig ernst. Dann aber, am 22. Januar 1945, schickte die großherzogliche Regierung tatsächlich eine Note an die Siegerstaaten, in der sie als Ersatz für die vom Deutschen Reich verursachten Kriegsschäden, auch im Zuge der gerade beendeten Ardennen-Offensive, in Höhe von 600 Millionen US-Dollar die Abtretung von Territorien verlangten. Da keinerlei Reaktion erfolgte und diese Forderungen weder in Jalta (Februar 1945) oder Potsdam (Juli 1945) Gegenstand von Diskussionen waren, wiederholten die Luxemburger ihr Ansinnen am 27. November 1946. Konkret wurde nun ein Streifen von fünf bis zehn Kilometer östlich der Grenzflüsse begehrt. Die dort wohnenden 20.000 Menschen sprächen angeblich Letzebuergesch und sehnten sich nach der Heimkehr ins Mutterland, von dem sie der Wiener Kongreß 1815 getrennt habe. 

Wie schon bei der ersten Note 1945 ignorierten die Siegermächte die luxemburgische Forderung. Dafür sorgte diese innenpolitisch für Unruhe. Zum einen sind die im Süden des Großherzogtums, also im Industriegebiet mit den Stahlwerken des Arbed-Konzerns recht starken Sozialisten grundsätzlich gegen Gebietserweiterungen, außerdem fürchten sie den für sie nachteiligen Einfluß des politisch sehr konservativ geprägten Wahlvolks im Regierungsbezirk Trier. Andererseits meinen viele: Wenn man schon eine Revision des Wiener Kongresses in den Blick nähme, müßte man auch die Gebietsverluste aus dem Jahre 1839 thematisieren. Damals hatte das Land seinen Westteil (immerhin mit 4.443 Quadratkilometer fast doppelt so groß wie das spätere Großherzogtum) verloren, der seitdem die belgische Provinz Luxemburg bildete. Sich deswegen mit Brüssel anzulegen, kam freilich niemandem ernsthaft in den Sinn.

Nach Ansicht von Fachleuten sprach aber ein wichtiger Aspekt für eine Gebietsausdehnung Richtung Osten: Abgesehen von einer Vergrößerung der landwirtschaftlichen Nutzfläche und der dadurch bedingten Verringerung der Nahrungsmitteleinfuhren würde die effektiver arbeitende deutsche Bauernschaft einen positiven Einfluß auf die technischen Neuerungen nur recht schwer zugänglichen luxemburgischen Bauern ausüben. Auch deswegen läßt die von den Christlich-Sozialen beherrschte Regierung der Großherzogin Charlotte nicht locker, schickt am 7. Februar 1947 neuerlich ein Memorandum an die Großmächte, verlangt außerdem Koks-, Kohle- und Stromlieferungen aus Deutschland. Zudem müsse man auch über die Verfügungsgewalt über die grenznahen Eisenbahnen reden. Doch bei der Moskauer Außenministertagung der Siegermächte (10. März bis 24. April 1947) kommt das Thema wieder nicht auf den Tisch. 

Ein annektiertes Wäldchen wurde 1959 zurückgegeben

Nachdem Luxemburg seine Forderungen im Februar 1949 zurückschraubte, stellte sich endlich ein kleiner Erfolg ein. Das alliierte Komitee, welches sich mit der Westgrenze Deutschlands befaßte, sprach Ende März dem Großherzogtum eine winzige Ortschaft zu, namentlich einen Weiler namens Roth mit 70 Seelen. Jedoch bloß zur wirtschaftlichen Nutzung, denn das Terrain bleibt deutsches Hoheitsgebiet, die Bewohner deutsche Bürger. Einzig der sogenannte Kammerwald bei Vianden geht Deutschland verloren. 

Luxemburgs ursprüngliche Forderung (544 Quadratkilometer) ist damit auf rund fünfzig Morgen geschmolzen. Die Enttäuschung bei den wenigen Anhängern der Letzeburger National-Union, die von einem „Groß-Luxemburg“ im territorialen Umfang vor dem Pyrenäen-Frieden von 1659 träumten, war gewaltig. Der überwiegende Teil der Bevölkerung stand der Frage allerdings eher gleichgültig gegenüber.

Der abgetretene Kammerwald kam übrigens später durch einen Vertrag vom 11. Juli 1959 zur Bundesrepublik Deutschland zurück. Somit wurde der alte Grenzverlauf wieder hergestellt.