© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Mit Fake News und Korruption
Die Hauptstadtfrage der Bundesrepublik zwischen Bonn und Frankfurt am Main fiel 1949 zweimal knapp für die Provinzstadt am Rhein aus
Michael Dienstbier

Frankfurt oder Bonn – welche Stadt sollte Regierungssitz des neuen westdeutschen Teilstaates werden? Der Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb war sich seiner Sache so sicher, daß er bereits vor der Abstimmung im Parlamentarischen Rat am 10. Mai 1949 eine Dankesrede vorbereitet hatte. Doch es kam anders: Mit 33 zu 29 setzte sich das häufig als „Bundesdorf“ verspottete Bonn gegen die Mainmetropole durch, die als Sitz der Paulskirchenversammlung 1848/49 auf eine positiv konnotierte parlamentarische Vergangenheit verweisen konnte. Dieser Überraschungssieg war nicht zuletzt auf einen strategischen Kniff Konrad Adenauers zurückzuführen.

Der Alte aus Rhöndorf hatte sich früh auf Bonn festgelegt und mußte zur Kenntnis nehmen, daß seine Fraktion mehrheitlich zu Frankfurt tendierte. Da die SPD-Vertreter ein einstimmiges Votum zugunsten Frankfurts ankündigten – Bonn erschien ihnen zu bürgerlich-miefig –, sah alles nach einem klaren Favoritensieg aus. Wenige Stunden vor der Abstimmung rief Adenauer seine Fraktion zusammen und las ihnen aus einer Pressemitteilung vor, in der sich der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher angeblich voller Schadenfreude über die „sichere Niederlage“ der Konservativen ausgelassen habe. Unerwähnt ließ er, daß diese von einem der CDU nahestehenden Journalisten völlig frei erfundene Meldung nie veröffentlicht, sondern ihm unter der Hand zugespielt worden war. Der Trick verfehlte seine Wirkung nicht und viele empörte Frankfurt-Unterstützer innerhalb der CDU/CSU-Fraktion wechselten ins Bonn-Lager. Heute nennt man so etwas wohl Fake News.

Ob Adenauer Bonn vor allem deshalb bevorzugte, um im nahe gelegenen heimischen Garten regelmäßig seiner geliebten Rosenzucht nachgehen zu können, sei dahingestellt. Es waren vor allem politisch-pragmatische Gründe, die für das kleine Städtchen am Rhein sprachen. Zum einen hatte es sich als Sitz des seit dem 1. September 1948 tagenden Parlamentarischen Rates bewährt – viele Mitglieder schätzten durchaus das Provinzelle ihres Tagungsortes, der eine ruhige Arbeitsatmosphäre garantierte. Zum anderen betonten alle Parteien den provisorischen Charakter der zu treffenden Entscheidung für einen Regierungssitz – eben nicht Hauptstadt! – bis zur zügig zu vollziehenden Wiedervereinigung. Und das periphere Bonn verkörperte den angestrebten Übergangscharakter viel besser als die stolze und tradtionsreiche Reichsstadt im Zentrum der Nation. Im Bewußtsein aller blieb Berlin die Hauptstadt Deutschlands, das aber aufgrund seiner geographischen Lage als politisches Zentrum des Weststaates nicht in Frage kam.

Mit harten Bandagen geführte Auseinandersetzung

Entschieden war der Kampf aber noch nicht, zu tief saß der Frust bei den „Frankfurtern“. Sie setzten durch, daß der im August 1949 gewählte erste Bundestag final über die sogenannte Hauptstadtfrage zu entscheiden habe. Wieder galt Frankfurt als Favorit, wieder setzte sich Bonn knapp durch, dieses Mal mit 200 zu 176 Stimmen. Wie dieses Abstimmungsergebnis zustande kam, beflügelt bis heute die Phantasie der interessierten Beobachter des Zeitgeschehens. Wurde der Sieg Bonns erkauft? Ein Untersuchungsausschuß des Bundestages kam 1951 zu dem Ergebnis, daß in der Tat Gelder an mehr als 100 Abgeordneter aller Fraktionen geflossen seien, es aber unklar sei, ob dieser Sachverhalt Auswirkungen auf das Abstimmungsverhalten gehabt habe. Auch sollte man den Bestechungsvorwurf durchaus kritisch sehen, da der Kronzeuge der Anklage, der fraktionslose Abgeordnete Hermann Aumer, selbst im Zentrum von Korruptionsvorwürfen stand, infolge derer seine Immunität später aufgehoben wurde.

Die Narben des emotional geführten Bonn-Frankfurt-Streites verheilten schnell, zu wichtig waren die wirklich relevanten Themen – Westbindung, Wiederbewaffnung – auf der politischen Tagesordnung der jungen Republik. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine der ersten mit harten Bandagen geführten politischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik, die noch heute einen realistischen Blick in demokratische Entscheidungsfindungsprozesse ermöglicht.